"Ich hatte beantragt, den Artikel 3 so zu formulieren: Männer und Frauen sind gleichberechtigt, ganz kurz und bündig."
Selbst wenn dieser Verfassungsartikel heute in der Praxis noch immer nicht ganz umgesetzt ist - wir haben uns daran gewöhnt, ihn als selbstverständlich anzusehen.
Dabei war der Antrag, den die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert stellte, bei der Abstimmung in der verfassunggebenden Versammlung, dem Parlamentarischen Rat, zweimal durchgefallen. Und so griff Elisabeth Selbert zu einem politischen Mittel, das wir eher mit der 68er-Bewegung verbinden: Sie mobilisierte die außerparlamentarische Opposition. Waschkörbeweise erreichten Protestbriefe den Parlamentarischen Rat.
"Ich möchte eigentlich diese Zeit noch einmal erleben: Welchen ungeheuren Einfluss diese politische Bewegung der Frauen, die plötzlich wie ein Sturm über den Rat wegging, bedeutet hat - erst dann trat diese große Wende ein, und dann kam ein gewisses Gestammel von allen Seiten - wir waren ja gar nicht dagegen, wir wollten nur nicht das Rechtschaos - wir sehen ein, dass die Frau Ungeheures geleistet hat, wir sehen ein, dass wir das den Frauen unserer Zeit - nach einem Zweiten Weltkrieg schuldig sind."
Nach der dritten Beratung passierte der Gleichheitsgrundsatz die gesetzgeberischen Hürden. Einen Tag später, am 18. Januar 1949, sagte Elisabeth Selbert im Radio:
"Ich bin Jurist und unpathetisch. Und ich bin Frau und Mutter und zu frauenrechtlerischen Dingen gar nicht geeignet. Ich spreche aus dem Empfinden einer Sozialistin heraus, die nach jahrzehntelangem Kampf um diese Gleichberechtigung nun das Ziel erreicht hat."
Elisabeth Selbert hatte in ihrer Praxis als Anwältin und Notarin erlebt, was es für Frauen bedeutete, wenn der Ehemann über ihren Besitz und ihr Vermögen verfügte, ohne ihr Wissen ihren Arbeitsvertrag kündigen oder im Konfliktfall die Kindererziehung allein bestimmen durfte. Die Verschärfung der Ungleichheit, die der Nationalsozialismus gebracht hatte, war mit Kriegsende keineswegs erledigt - sie trat, etwa im Scheidungsrecht, nur umso deutlicher ans Licht:
"Das Bürgerliche Gesetzbuch in seinen Tendenzen widerspricht in einer ganzen Reihe von Bestimmungen der Würde und der Wertigkeit einer persönlichkeitsbewussten Frau, die heute nicht mehr aus der Obhut und der Biedermeiersphäre eines guten Elternhauses, sondern aus dem harten Berufsleben heraus in die Ehe tritt und die in den langen Jahren und besonders in den letzten Jahren die ganze Härte des Lebens erfahren hat."
Elisabeth Selbert kam nicht aus gutbürgerlichem Haus, und sie kannte das harte Berufsleben. Geboren am 22. September 1896 in Kassel, ließ sie sich zur Fremdsprachenkorrespondentin ausbilden, ging in den mittleren Dienst bei der Post und lernte 1918, während der Novemberrevolution, ihren Mann, den Sozialdemokraten Adam Selbert kennen. Die beiden trafen eine ungewöhnliche Entscheidung: Sie würde studieren, er den Unterhalt für sie und ihre beiden Söhne verdienen. Elisabeth Selbert war auch als eine der wenigen Jurastudentinnen ihrer Zeit eine Pionierin. Nach nur sieben Semestern promovierte sie über die Zerrüttung der Ehe als Scheidungsgrund - eine Vorstellung, die erst 1977 an die Stelle des Schuldprinzips treten sollte. Im Nationalsozialismus war sie die letzte Frau, die die Anwaltszulassung bekam, eine ihrer ersten Aufgaben war es, ihren Mann aus dem Konzentrationslager freizukämpfen.
Nach dem Krieg wurden die Beiden von den Amerikanern ermutigt, sich politisch zu engagieren. Elisabeth Selbert schrieb mit an der hessischen Verfassung und wurde schließlich in den Parlamentarischen Rat berufen. Gern wäre sie für die SPD in den Bundestag gezogen, noch lieber wäre sie Verfassungsrichterin geworden. Aber sie wurde nicht berufen, und Elisabeth Selbert war keine Frau, die sich vordrängte. Vielleicht aber war sie einfach zu unbeugsam, zu eigenwillig für ihre Partei. Es bedurfte noch einiger Jahrzehnte - und der Frauenbewegung - um die Gleichstellung in Gesetzgebung und Rechtsprechung wirklich durchzusetzen. Elisabeth Selbert betrieb ihre Kasseler Kanzlei noch bis in ihr 85. Lebensjahr, sie starb am 9. Juni 1986.
Selbst wenn dieser Verfassungsartikel heute in der Praxis noch immer nicht ganz umgesetzt ist - wir haben uns daran gewöhnt, ihn als selbstverständlich anzusehen.
Dabei war der Antrag, den die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert stellte, bei der Abstimmung in der verfassunggebenden Versammlung, dem Parlamentarischen Rat, zweimal durchgefallen. Und so griff Elisabeth Selbert zu einem politischen Mittel, das wir eher mit der 68er-Bewegung verbinden: Sie mobilisierte die außerparlamentarische Opposition. Waschkörbeweise erreichten Protestbriefe den Parlamentarischen Rat.
"Ich möchte eigentlich diese Zeit noch einmal erleben: Welchen ungeheuren Einfluss diese politische Bewegung der Frauen, die plötzlich wie ein Sturm über den Rat wegging, bedeutet hat - erst dann trat diese große Wende ein, und dann kam ein gewisses Gestammel von allen Seiten - wir waren ja gar nicht dagegen, wir wollten nur nicht das Rechtschaos - wir sehen ein, dass die Frau Ungeheures geleistet hat, wir sehen ein, dass wir das den Frauen unserer Zeit - nach einem Zweiten Weltkrieg schuldig sind."
Nach der dritten Beratung passierte der Gleichheitsgrundsatz die gesetzgeberischen Hürden. Einen Tag später, am 18. Januar 1949, sagte Elisabeth Selbert im Radio:
"Ich bin Jurist und unpathetisch. Und ich bin Frau und Mutter und zu frauenrechtlerischen Dingen gar nicht geeignet. Ich spreche aus dem Empfinden einer Sozialistin heraus, die nach jahrzehntelangem Kampf um diese Gleichberechtigung nun das Ziel erreicht hat."
Elisabeth Selbert hatte in ihrer Praxis als Anwältin und Notarin erlebt, was es für Frauen bedeutete, wenn der Ehemann über ihren Besitz und ihr Vermögen verfügte, ohne ihr Wissen ihren Arbeitsvertrag kündigen oder im Konfliktfall die Kindererziehung allein bestimmen durfte. Die Verschärfung der Ungleichheit, die der Nationalsozialismus gebracht hatte, war mit Kriegsende keineswegs erledigt - sie trat, etwa im Scheidungsrecht, nur umso deutlicher ans Licht:
"Das Bürgerliche Gesetzbuch in seinen Tendenzen widerspricht in einer ganzen Reihe von Bestimmungen der Würde und der Wertigkeit einer persönlichkeitsbewussten Frau, die heute nicht mehr aus der Obhut und der Biedermeiersphäre eines guten Elternhauses, sondern aus dem harten Berufsleben heraus in die Ehe tritt und die in den langen Jahren und besonders in den letzten Jahren die ganze Härte des Lebens erfahren hat."
Elisabeth Selbert kam nicht aus gutbürgerlichem Haus, und sie kannte das harte Berufsleben. Geboren am 22. September 1896 in Kassel, ließ sie sich zur Fremdsprachenkorrespondentin ausbilden, ging in den mittleren Dienst bei der Post und lernte 1918, während der Novemberrevolution, ihren Mann, den Sozialdemokraten Adam Selbert kennen. Die beiden trafen eine ungewöhnliche Entscheidung: Sie würde studieren, er den Unterhalt für sie und ihre beiden Söhne verdienen. Elisabeth Selbert war auch als eine der wenigen Jurastudentinnen ihrer Zeit eine Pionierin. Nach nur sieben Semestern promovierte sie über die Zerrüttung der Ehe als Scheidungsgrund - eine Vorstellung, die erst 1977 an die Stelle des Schuldprinzips treten sollte. Im Nationalsozialismus war sie die letzte Frau, die die Anwaltszulassung bekam, eine ihrer ersten Aufgaben war es, ihren Mann aus dem Konzentrationslager freizukämpfen.
Nach dem Krieg wurden die Beiden von den Amerikanern ermutigt, sich politisch zu engagieren. Elisabeth Selbert schrieb mit an der hessischen Verfassung und wurde schließlich in den Parlamentarischen Rat berufen. Gern wäre sie für die SPD in den Bundestag gezogen, noch lieber wäre sie Verfassungsrichterin geworden. Aber sie wurde nicht berufen, und Elisabeth Selbert war keine Frau, die sich vordrängte. Vielleicht aber war sie einfach zu unbeugsam, zu eigenwillig für ihre Partei. Es bedurfte noch einiger Jahrzehnte - und der Frauenbewegung - um die Gleichstellung in Gesetzgebung und Rechtsprechung wirklich durchzusetzen. Elisabeth Selbert betrieb ihre Kasseler Kanzlei noch bis in ihr 85. Lebensjahr, sie starb am 9. Juni 1986.