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Die Nacht, bevor Martin Luther King starb

Auch 43 Jahre nach seiner Ermordung ist Martin Luther King die amerikanische Symbolfigur für Widerstand gegen einen untragbaren Status quo. Nun ist er Thema am New Yorker Broadway - natürlich mit Hollywood-Starbesetzung. Samuel L. Jackson und Angela Bassett spielen in "The Mountaintop".

Von Andreas Robertz |
    Präsident Barak Obama zitiert gerne sein großes Vorbild Martin Luther King jr. und imitiert sogar dabei dessen Redestil und Tonfall. So zuletzt am 16. Oktober, als er ein Denkmal von Martin Luther King jr. auf der National Mall in Washington einweihte und davon sprach, dass Besserung kommen wird, wenn das amerikanische Volk nicht aufgibt. Und dass Martin Luther King, selbst nachdem er den Friedensnobelpreis verliehen bekam, immer noch von seinen eigenen Leuten angefeindet wurde. Auf völlig andere Weise benutzen die immer stärker werdende Protestbewegung "Occupy Wall Street" den großen Kämpfer für Gerechtigkeit als ihren Verbündeten. Ob als herausragender Redner oder als unermüdlicher Kämpfer, Martin Luther King ist die amerikanische Symbolfigur für Widerstand gegen einen untragbaren Status quo. Kein Wunder also, dass nun ein Stück über ihn am Broadway eröffnet, natürlich mit Hollywood-Starbesetzung: Samuel L. Jackson und Angela Bassett in "The Mountaintop"

    Ein schäbiges Motelzimmer, sintflutartiger Regen, der sich im Laufe das Stückes zu einem ausgewachsenen Sturm entwickelt, ein hustender, aufgedrehter Martin Luther King, der gerade von einer Rede vor streikenden Müllmännern in Memphis kommt: So beginnt Katori Halls Stück "The Mountaintop". Das Stück ist nach Kings Rede "I've been to a Mountaintop" benannt. Er wartet ungeduldig auf seine Pall-Mall-Zigaretten und während er den Raum nach versteckten Mikrofonen absucht, ruft er mit lauter Stimme: "Why America may go to Hell?" Er lächelt grimmig. Er hat den Titel einer neuen Rede gefunden.

    Das Stück findet im Loraine Motel in Memphis am 3. April 1968 statt, dem Abend, bevor er einem Attentat zum Opfer fallen wird. Das Dienstmädchen Camae, gespielt von Angela Bassett, bricht mit Kaffee, Pall Malls und vorwitzig-frivolem Humor in diese einsame Welt ein. Angela Bassett scheint seit ihrer preisgekrönten Darstellung von Tina Turner in "What's Love Got to Do With It.” im Jahr 1993 nicht gealtert zu sein. Sie ist in Wahrheit ein Engel, der von Gott gesandt wurde, um King auf seinen Tod vorzubereiten und ihm den Übergang in die andere Welt zu erleichtern - jedoch nicht, ehe er seinen Frieden mit dieser Welt gemacht hat.

    Mit dieser Prämisse hat sich die junge Autorin Katori Hall, die aus Memphis stammt und "The Mountaintop" 2010 in London uraufgeführt hat, ein großes Thema gesetzt: Den Helden der Bürgerrechtsbewegung von seinem Rednerpodest zu holen und ihn als Mensch zu zeigen. Samuel L. Jackson, der, seit er den predigenden Auftragskiller in Tarantinos "Pulp Fiktion" spielte, zu den ganz großen Stars in Hollywood gehört, spielt Dr. King in seinem Broadway Debüt als sanften, sympathischen und etwas eitlen Mann, der diese Welt nicht verlassen will, weil soviel noch getan werden muss. Er und Cannae rauchen zusammen, liefern sich eine Kissenschlacht, flirten ein wenig. Und dann darf er sogar mit Gott telefonieren: Gott ist eine schwarze dickköpfige Frau, die einfach auflegt, als er eine Diskussion um sein Verbleiben in der Welt beginnt. Am Ende bekommt er noch in einer zugegeben eindrucksvollen 3-D Bühnenprojektion den Lauf der Geschichte von seinem Tod bis hin zur Barack Obamas "Yes, we can" zu sehen.

    "The Mountaintop" bleibt bei dem Versuch, Martin Luther King zu entmystifizieren, in harmlosen Details stecken. Da gibt es keinen Wutausbruch, kein wirkliches Hadern mit Gott, kein Verzweifeln über die ohnmächtige Frustration angesichts der Stagnation im Bürgerrechtslager. Angela Bassett kleistert jeden Moment nachdenklicher Stille mit ihrer quirligen und überdrehten Art zu. Auf diese Weise wird das Stück auf einen netten Abend mit minimaler intellektueller Anforderung reduziert. Dabei handelt das Stück von einem dramatischen Moment in der US-amerikanischen Geschichte - einem Akt extremer Gewalt, der den Lauf der Geschichte verändern sollte. Leider findet sich nichts von dieser Tragweite in der Geschichte wieder.

    Es verwundert, dass die bis dato völlig unbekannte Autorin Katori Hall für "The Mountaintop" 2010 den begehrten Olivier Award, England wichtigsten Theaterpreis, gewann. Lag es an der britischen Besetzung, oder daran, dass das Stück ursprünglich für ein viel kleineres Theater geschrieben wurde? Oder war man am Broadway zu kleinmütig, einen wirklich kontroversen Dr. King zu zeigen? Nachvollziehbar ist die Aufregung über "The Mountaintop" jedenfalls nicht, wenn man die amerikanische Erstaufführung gesehen hat. So sah es auch die New York Times und schrieb treffend: "Wenn das Stück ins Süß-Spirituelle driftet, muss man einfach an Geschenkkarten und Weihnachtsfernsehshows denken."