Gemüseproduzenten sind in die Hauptstadt gekommen und verschenken auf der Straße Salatköpfe, Kohl und Spinat. Eine Protestaktion der Kleinbauern, die auf ihre schwierige wirtschaftliche Situation aufmerksam machen wollen – und zugleich ein solidarischer Akt mit bedürftigen Argentiniern. Charly Ormazabal steht ganz vorne:
"Ich bin hier, weil mein Geld hinten und vorne nicht reicht. Und das, obwohl ich sieben Stunden täglich, fünf Tage pro Woche arbeite – echt traurig! Die gestiegenen Rechnungen für Strom und Gas, die hohe Inflation – da komm ich mit meinem Lohn nicht mehr hinterher."
Klagt der 28-Jährige, der in einem städtischen Park angestellt ist und sich mit dem Verkauf von Schirmmützen etwas dazu verdient. Hinter ihm wartet geduldig eine alte Dame auf ihre Gemüsetüte. Sie ist 79 und geht einmal pro Woche putzen, denn ihre Rente beträgt umgerechnet knapp 240 Euro. Dass Menschen, vor allem aus der unteren Mittelklasse und Armenschicht, mit ihrem Geld nicht auskommen, ist in Argentinien nicht ungewöhnlich. Aber die derzeitige Krise hat das Problem noch einmal verschärft.
Regierung spart bei Infrastrukturausgaben
"Eine Währungs-Abwertung hat bei uns immer gleich Preiserhöhungen zur Folge – vor allem von Lebensmitteln. Mit der Folge, dass manch ein Niedrigverdiener in die Armut abgerutscht ist", erklärt der Soziologe Eduardo Donza. Er und seine Kollegen von der Katholischen Universität Buenos Aires informieren regelmäßig über die Entwicklung der Armut in Argentinien. Zwar liegen die Zahlen für dieses Jahr noch nicht vor, aber die Forscher rechnen mit einem Anstieg.
"2017 ist die Armut leicht gesunken, weil es mehr öffentliche Bauprojekte und damit mehr Arbeit gab. Aber jetzt, nach der Kreditaufnahme beim IWF und unter dem Druck, das Haushaltsdefizit zu senken, spart die Regierung bei Infrastrukturvorhaben und das bedeutet: weniger Beschäftigung für Menschen, die von Jobs auf Baustellen abhängig sind."
Ein Drittel der Bevölkerung hat zu wenig Einkünfte
Die Armut in Argentinien ist nicht zu übersehen. Im winterkalten Buenos Aires bietet die große Zahl von Obdachlosen einen bedrückenden Anblick. Suppenküchen berichten über einen gestiegenen Zulauf.
Mehr als dreieinhalb Millionen Kinder und Jugendliche erhalten Sozialhilfen, die die linksperonistische Präsidentin Cristina Kirchner 2009 einführte und ihr liberaler Nachfolger Mauricio Macri fortführt. Doch diese könnten die strukturelle Armut von einem knappen Drittel der Bevölkerung nur lindern, meint Soziologe Donza:
"Plus minus dreißig Prozent unserer Bevölkerung hat zu geringe Einkünfte, um in Würde leben zu können. Die Hilfen für Familien mit Kindern reichen gerade mal dafür aus, ihre Ernährung sicherzustellen. Aber sie holen die Leute nicht aus der Armut. Dafür müsste sich der Arbeitsmarkt nachhaltig verbessern."
Zahl der Jobs ist rückläufig
Doch das zeichnet sich nicht ab. Zwar hatte es 2017 einen spürbaren Aufschwung gegeben, doch seit einigen Monaten ist die Zahl der Jobs wieder rückläufig. Das liegt an der geschrumpften wirtschaftlichen Aktivität. Gerade kleine und mittlere Firmen und Geschäfte, die Arbeitsplätze schaffen könnten, haben mit schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen: Konsumflaute, kaum Zugang zu Krediten und gestiegene Energiepreise. Verónica Lico, Inhaberin eines Ladens für Reinigungsprodukte in einem Mittelklasseviertel von Buenos Aires erzählt:
"Die Leute haben weniger Kaufkraft. Und weil für mich wegen der Peso-Abwertung die Produkte teurer geworden sind, musste ich die Ladenpreise anheben. Aus all diesen Gründen verkaufe ich weniger. Hinzu kommt, dass meine Strom- und Wasserrechnungen drei bis fünf Mal so hoch sind wie vor zwei Jahren."
Lico erzielt seit einigen Monaten keinerlei Gewinn und überlegt, ihren Laden zu schließen.
Präsident wird als "Lügner" beschimpft
"In meinem Viertel geht es vielen Geschäften so und einige haben aufgegeben. Wir Argentinier wissen, was Krisen bedeuten. Diese erinnert mich an andere schlimme Momente, etwa den Beginn der Krise von 2001. Da mein Mann Arbeit hat, fehlt es in unserer Familie nicht an Essen. Aber es schmerzt, zu sehen, dass sich vor allem die Lage der Armen verschärft."
Präsident Macri leugnet die derzeitigen Probleme zwar nicht, versichert aber, es handele sich lediglich um ein "Gewitter", das sich in einigen Monaten verzogen haben werde. In der Schlange für das Gratisgemüse ist eine Frau so wütend, dass sie Macri als Lügner beschimpft, der seine Versprechen nicht erfüllt habe.