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Die nächste Welle kommt bestimmt

Schwere Grippewellen gleichen Naturkatastrophen. Sie sind unberechenbar und kosten Millionen Menschen das Leben. Doch lassen sich die Folgen durch Frühwarnsysteme und Notfallpläne abmildern. Die Risikobewertung dazu ist komplex.

Von Grit Kienzlen | 27.02.2005
    Berichte aus Südostasien, denen zufolge regelmäßig gefährliche Vogelgrippeviren Menschen infiziert und getötet haben, alarmieren die Weltgesundheitsorganisation. Dennoch kann auch die WHO die Wahrscheinlichkeit nicht abschätzen, dass sich daraus eine weltweite Grippeepidemie entwickelt. Sie mahnt die Staaten, Pläne für Notfallmaßnahmen und eine zügige Impfstoffproduktion vorzubereiten, die nun ihrerseits entscheiden müssen, was sie in ihre Vorbereitung investieren wollen. Was ist an Vorbereitung nötig, möglich und sinnvoll?

    Die Seuche brach im September 1918 aus, und als sie vorbei war, waren zwischen 20 und 50 Millionen Menschen tot. Sie erreichte die entlegensten Winkel des Erdballs. Einige Inuitdörfer wurden beinahe ausgelöscht. Zwanzig Prozent der Bevölkerung Westsamoas starben. Am Anfang glaubten die Ärzte, es mit einer völlig neuen Erkrankung zu tun zu haben, denn die Grippe, die sie kannten, war keine so monströse Seuche. Sie raffte nicht innerhalb von Tagen kerngesunde junge Erwachsene dahin. Diese schon.

    Die Influenza-Pandemie von 1918 kam und ging wie ein schlimmer Spuk. Sie hinterließ wenig Spuren im kollektiven Gedächtnis der Menschheit, aber einen gewaltigen Einbruch bei der durchschnittlichen Lebenserwartung. Erst viele Jahrzehnte später begann die Wissenschaft zu verstehen, was damals eigentlich geschehen war. Vollständig aufgeklärt ist es bis heute nicht.

    Influenza A Viren sind eigentlich Vogelviren. Es gibt sehr viele unterschiedliche Viren die unter Wasservögeln zirkulieren. Und nur ein kleiner Teil dieser Viren hat je Menschen infiziert und sich in der menschlichen Bevölkerung etabliert. Im letzten Jahrhundert haben wir seit der Zeit, in der wir Viren überhaupt charakterisieren können, nur drei Influenza Subtypen bei Menschen gefunden von immerhin 200 möglichen Varianten die es bei Vögeln gibt.

    Alan Hay, Leiter des Influenza-Zentrums der Weltgesundheitsorganisation in London. Die Influenza A Viren, die heute beim Menschen kursieren, sind ihm zufolge im Grunde genommen ein Unfall der Natur. Von 200 möglichen Virus-Varianten bei Vögeln spricht Alan Hay, weil die Vögel sich mit viel mehr Influenza A Stämmen anstecken können als wir. Charakterisiert werden diese Stämme nach ihren Spikes; Molekülen, die wie die Stollen von Laufschuhen aus der Virusoberfläche herausragen. Mit ihrer Hilfe setzt sich der Influenza Erreger auf den Zellen der Atemwege fest, vermehrt sich darin und befreit sich schließlich wieder daraus. Außerdem stimulieren die beiden Sorten Spikes die es gibt, das Immunsystem, vor allem das Hämaglutinin. 15 verschiedene Hämaglutinine wurden bei Vogelgrippeviren gefunden und mit H1 bis H15 bezeichnet; Von den Neuraminidasen, der zweiten Sorte Spike kommen nur neun in der Natur vor, N1 bis N9. Jedes N, 1-9 kann mit jedem H, 1-15 kombiniert vorkommen und so viele Vogelgrippestämme gibt es theoretisch auch.

    Beim Menschen gehen dagegen seit den 60er Jahren nur die Influenza A Stämme H3N2 und H1N1 um. H1N1 ist dabei der Nachkomme DES Virus, das 1918 innerhalb weniger Wochen so viel Menschen tötete, wie die Aids-Epidemie seit den 80er Jahren bis heute insgesamt.

    Bei der 1918er Pandemie wissen wir bis heute nicht, ob das Virus damals komplett neu auf den Menschen überging oder ob es gemeinsame Komponenten mit früheren Viren teilte.

    Per Definition unterscheidet sich eine Grippe Pandemie von einer Epidemie darin, dass bei der Pandemie ein immunologisch ganz neues Virus der Menschheit zu schaffen macht. Es kann ein Virus sein, das schon einmal beim Menschen kursierte, aber verschwunden ist und daher für das Immunsystem der Mehrheit neu. Bei den letzten beiden Pandemien, 1957 und 1968 war das Virus ein Mischwesen:

    1957 passierte Folgendes: Das damals verbreitete menschliche Virus mischte sich genetisch mit einem Virus, das unter Vögeln kursierte und bildete so ein Hybrid-Virus. Dieses Hybrid-Virus hatte nicht nur die entscheidende Oberflächenkomponente, das Hämaglutinin vom Vogelvirus, sondern auch die Neuraminidase und ein internes Gen des Vogelvirus.
    1968 entstand bei einem ähnlichen Ereignis ein Virus mit zwei komplett neuen Genen aus der Vogelpopulation: Wieder das Hämaglutinin Gen und dasselbe interne Gen wie schon 1957. Aber dieses Virus behielt dieselbe Neuraminidase, die schon vor 1968 mit dem menschlichen Virus H2N2 im Umlauf gewesen war und es kann gut sein, dass die Immunität, die die Menschen gegen diese N2 Komponente entwickelt hatten, dafür sorgte, dass die 68er Pandemie nicht so schwer ausfiel.


    Bei dieser Pandemie waren in Anführungszeichen NUR gut eine Million Menschen ums Leben gekommen. Das Virus von 1918 könnte dagegen komplett neu vom Vogel zum Menschen übergegangen sein. Aus den Leichen von Grippeopfern in Alaska, die damals im Permafrostboden begraben worden waren, isolierten Forscher Ende der 90er Jahr das Erbgut des todbringenden Virus. Sein Hämaglutinin-Spike ähnelte stark dem aus Vogelviren, war aber so verändert, dass er nun auch an menschliche Zellen binden konnte.

    Wann haben wir mit so einem Ereignis wieder zu rechnen? Was muss geschehen, damit ein Grippevirus einen Seuchenzug um die Welt starten kann? Ein Grippevirus, das Atemwege und Lungen überschwemmt, so dass das Immunsystem erst zu spät und dann panisch Abwehrstoffe herstellt; seine Opfer damit in Fieber lullt und die Zellen der Lunge zerstört bis die Kranken schneller und flacher atmen, in ein Koma fallen, weil es dem Gehirn an Sauerstoff mangelt, und so dem Tod entgegen dämmern…

    Es ist Alan Hays Aufgabe, darüber zu wachen, wie sich die kursierenden, unserem Immunsystem vertrauten Grippeviren wandeln, denn ein wenig verändern sie sich von Monat zu Monat. Jedes Jahr treffen 1500 bis 2000 Virenisolate aus Europa und Afrika an seinem Institut in London ein, die bis ins molekulare Detail analysiert werden. Mit Alan Hays Hilfe entschied die WHO vor zwei Wochen, gegen welche drei Grippestämme der Impfstoff für die Saison 2005/2006 gerichtet sein wird. Alan Hays Labor ist aber auch Teil des Frühwarnsystems, das die ersten Anzeichen einer Grippe-Katastrophe verzeichnen soll.

    Eine weiteres prinzipielles Ziel unserer Arbeit betrifft die Pandemien. Es besteht darin so früh wie möglich jegliches neue Influenza Virus in der Bevölkerung aufzuspüren, das das Potential besitzt, eine Pandemie auszulösen. Da haben wir jetzt natürlich gerade mit dem H5N1 Virus zu tun, das einerseits große Geflügelbestände in den Ländern Ostasiens befallen hat und andererseits bereits 50 Menschen infiziert hat, von denen drei Viertel starben.

    Vor allem Kinder hat das H5N1-Virus in Vietnam getötet, nachdem sie sich bei Enten und Hühnern angesteckt hatten. Alan Hay kann heute recht genau sagen, wie der Hämaglutinin-Spike auf der Virusoberfläche geformt sein muss, damit es leicht an Zellen binden, sie befallen und sich darin vermehren kann.

    Wir wissen einiges darüber, aber dennoch sind wir nicht in der Lage vorherzusagen, welche Veränderungen mit dem H5N1 Virus vorgehen müssten, damit es eine Pandemie auslösen kann.

    Fest steht: je öfter das H5N1 Virus auf den Menschen übergeht und ihn krank macht, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass dabei einmal die entscheidende genetische Veränderung geschieht, die es von Mensch zu Mensch ansteckend macht. In Thailand und Vietnam hatte man auch deshalb letztes Jahr in Massen die Hühnerbestände gekeult. Doch unter Menschen war die Vogelgrippe in diesem Jahr so häufig wie im Vorjahr, sagt Klaus Stöhr, der Koordinator der Influenza-Programmes der Weltgesundheitsorganisation in Genf:

    Interessant ist – und das ist eigentlich Besorgniserregend – dass in diesem Jahr die Anzahl der betroffenen Geflügelbestände weitaus geringer ist, als im letzten Jahr, aber die Anzahl der erkrankten Menschen etwa genau so hoch. Das zeigt eigentlich, dass wir es mit einem Reservoir für die menschliche Infektion zu tun haben, das ausserhalb dieser großen Geflügelbestände liegt, das sind die kleinen Geflügelfarmen, die Hinterhoffarmen, die einzelnen Enten, die irgendwo hinter einem Haus gehalten werden, die höchstwahrscheinlich die größte Gefahr darstellen und gerade bei solchen Tieren ist natürlich ist die Bekämpfung außerordentlich schwer, denn letztendlich ist das ganze Hinterland in Vietnam ein einziges großes Farmgebiet, in dem die Kleinbauern ihre Tiere halten.

    Die H5N1 Grippe ist ein permanenter Begleiter des Geflügels in Südostasien geworden und durch Massenschlachtungen nicht mehr einzudämmen. Das Virus wird immer wieder Kontakt zum Menschen bekommen, auch zu Menschen, die gleichzeitig mit einem der normalen Grippeviren, H3N2 zum Beispiel, infiziert sind. Dabei könnte ein Hybridvirus entstehen wie 1957 und -68. Gleichzeitig beobachten die Forscher eine ungute Entwicklung des H5N1 Virus selber. Es taucht in immer mehr Säugetierarten auf, hat Tiger in einem thailändischen Zoo dahin gerafft, wurde auch in Hauskatzen sowie Schweinen nachgewiesen und es wird aggressiver.

    Es ist ein gefährliches Virus, befällt regelmäßig Menschen und hat auch schon eine begrenzte Fähigkeit von Mensch zu Mensch überzugehen bei sehr engem, familiärem Kontakt. Wir wissen auch, dass es jetzt öfter schwere Krankheiten auslöst. In den vergangenen fünf Jahren gab es Studien an wilden Enten und Gänsen in China, die eine genetische Veränderung bei dem Virus in den Wildvögeln nachweisen. Es kann die Vögel jetzt viel leichter töten und parallel zu dieser Evolution wurde es auch für Menschen gefährlicher.

    John Wood arbeitet am britischen Institut für Biologische Standards, NIBSC in London und hat dort in den letzten zwei Jahren Impfviren von H5N1 hergestellt. Sie tragen die immunologischen Eigenschaften des Vogelgrippevirus und können sich gut in bebrüteten Hühnereiern vermehren, der Produktionsstätte für Grippeimpfstoff. Diese Saatviren kann sich die Pharmaindustrie bei John Wood bestellen, wenn sie einen Impfstoff gegen die H5N1 Vogelgrippe entwickeln will. Allerdings sehen es Experten wie John Wood keinesfalls als erwiesen an, dass H5N1 uns die nächste Grippepandemie bringen wird. Es könnte auch ein ganz anderer Stamm werden. Vor wenigen Jahren hat die WHO eine Art Hitliste zusammengestellt mit den heißesten Pandemie-Kandidaten.

    Viren mit H5 und H7 stehen ganz oben auf der Liste. H5 ist ja jetzt bekannt. H7-Geflügelviren verursachten 2003 ein paar menschliche Infektionen in den Niederlanden. Dritter auf der Liste ist H2, denn ein H2-Stamm löste zwischen 1957 und 1968 Grippewellen aus, wir finden ihn heute nur bei Wildvögeln. Alle Leute, die nach 1968 geboren wurden, besitzen daher keine Immunität mehr gegen das H2N2 Virus. Falls das zurückkäme, wären also viele Menschen gefährdet. Ein ernstzunehmender Pandemiekandidat!

    Ein weiterer Stamm auf der Liste ist das Vogelvirus H9N2. H9N2 verursachte vor ein paar Jahren in Hongkong einige Infektionen bei Menschen. Es ist sehr weit verbreitet und ist mit dem H5N1 Virus verwandt. Sie haben einen gemeinsamen Vorfahren.
    Dann haben wir noch die H6 Subtypen, denn auch die haben gemeinsame Vorfahren mit H5N1 und H9N2 und sind verbreitet beim Geflügel in Südostasien.
    Ich denke, dass es wichtig wäre Impfstämme von all diesen Pandemie-Kandidaten anzulegen, damit, falls - sagen wir H2N2 eine Grippepandemie verursachte, wir unseren Impfstamm aus dem Gefrierfach holen und sofort einsetzen können.

    Wenn die nächste Pandemie kommt, ist es wichtig, keine Zeit zu verlieren bei der Herstellung von Impfstoff. John Wood schwebt deshalb vor, eine Kollektion an Saatviren, also gut in Hühnereiern vermehrbaren Impfviren anzulegen – eine Saatvirenbibliothek:

    Wir machen das jetzt hier. Wir haben uns gemeinsam mit einigen europäischen Kollegen um EU-Fördermittel beworben und unser Beitrag zu der Arbeit wäre eben die Herstellung einer Bibliothek von Impfviren gegen all die Stämme auf der WHO-Prioritäten-Liste und dann gegen die übrigen Hämaglutinin Subtypen, es gibt ja 15 insgesamt.

    John Wood hofft, dass die EU-Mittel dieses Frühjahr bewilligt werden.
    Es ist keine sonderlich aufwändige biotechnologische Arbeit, die Impfvirenbibliothek herzustellen; normale Labortätigkeit, wie sie an tausenden öffentlich geförderten Instituten stattfindet. Zwei Jahre würde sie dauern.

    Wenn wir viele Leute hier hätten und ein großes Budget ginge das auch in ein paar Monaten", sagt Wood. Leider seien sie nicht so gut ausgestattet.

    Wer öffentliche Gelder locker machen will für Katastrophenschutzmaßnahmen welcher Art auch immer, der steckt regelmäßig im selben Dilemma: Warnt er zu eindringlich vor der Gefahr, handelt er sich den Vorwurf ein, Panik zu schüren und das Risiko zu übertreiben. Ein Bonmot das unter Katastrophenplanern kursiert, geht so: "Das einzige, was schwieriger ist, als für den Notfall zu planen, ist hinterher zu erklären, warum man es nicht getan hat." Klaus Stöhr bei der WHO in Genf schlägt seit vergangenem Herbst wegen der H5N1 Vogelgrippe in Vietnam Alarm. Jetzt sollen Laborversuche helfen, einzuschätzen, warum H5N1 noch immer keine Pandemie ausgelöst hat, obwohl das Virus nach wie vor gegenwärtig ist. Die Grippeexperten der Weltgesundheitsorganisation sind verunsichert.

    Wenn Sie mich im letzten Jahr gefragt hätten, im Januar oder Februar, was sind den die möglichen Ergebnisse, würden wir sagen: Entweder verschwindet das Virus aus der Geflügelproduktion und wir schaffen, es zu bekämpfen, oder es gibt eine Pandemie. Das H5N1 Virus hat uns die letzten Jahre überrascht und das hört nicht auf. Was wichtig ist jetzt sind Laborversuche, bei denen dieses Geflügelvirus zusammengebracht wird mit einem menschlichen Virus – das ist ja diese schlimme Variante, die in der Natur auftreten könnte – und im Labor müssen wir nachvollziehen, was aus dieser unglücklichen Hochzeit wird – sind die Viren tatsächlich übertragbar auf den Menschen, sind sie krankmachend – und dann kann man besser vorhersagen, inwieweit die gegenwärtigen Bekämpfungsstrategien, nämlich den Erreger loszuwerden, die Übertragung auf den Menschen zu verhindern, angebracht sind, oder vielleicht sogar überzogen.

    Die hochgefährlichen Experimente zur Grippeviren-Vermischung, die im November erst an der US-Seuchenkontrollbehörde, CDC in Atlanta begonnen haben, stecken noch in der Vorbereitungsphase. An Frettchen wollen die Forscher am Ende testen, ob in ihren Reagenzgläsern ein Virus mit Pandemie-Potential entstanden ist. Wenn es ihnen dann in die Natur entweicht, wenn sich einer der Laboranten infiziert, könnten sie die Pandemie selbst lostreten. Doch Klaus Stöhr besteht auf der Notwendigkeit der Versuche:

    Es gibt viele die sagen, das ist eigentlich gar nicht notwendig, denn was dort herauskommen wird, wird nur das bestätigen, was wir alle wissen, nämlich, dass diese Viren sich vermischen können, dass aus den 256 möglichen Varianten der Vermischung der genetischen Information Viren entstehen werden, die krankmachend sind, die übertragbar sind, und die eine Pandemie verursachen können; Wir glauben, dass diese Versuche notwendig sind, um die Strategien anpassen zu können an das Risiko und deswegen unterstützen wir das so weit wie es geht.

    Im Frühjahr 1976 schien die Welt schon einmal unmittelbar vor einer Pandemie wie im Jahre 1918 zu stehen, die Angst davor steckte den Verantwortlichen in den Knochen. Doch die Natur blieb unberechenbar.

    Im amerikanischen Armeelager Fort Dix erlag im 4. Februar 1976 der Soldat David Lewis einem Influenzavirus aus Schweinen. 500 Rekruten steckten sich an, 13 bekamen Fieber von der Schweinegrippe. Waren dies die Vorzeichen der nächsten Grippekatastrophe? Es sah so aus. Erstens war da ein neuer Virusstamm aufgetaucht, der sich auf einige Menschen übertrug. Zweitens hatte man gelernt, dass einem neuen Virusstamm, der beim Menschen auftaucht, eine schwere Grippewelle auf den Fuß folgt. Und drittens hatte man zum ersten Mal in der Geschichte das Wissen und auch die Zeit, Vorkehrungen für eine Massenimpfung zu treffen.
    Wer wollte also die Verantwortung tragen, wenn die Schweingrippe-Pandemie kam und nichts unternommen worden war, die Bevölkerung zu schützen? Die Massenimpfung kündigte Präsident Gerald Ford mit den Worten an: "Niemand weiß derzeit genau, wie ernst die Bedrohung ist. Dennoch dürfen wir kein Risiko eingehen und die Gesundheit unserer Nation aufs Spiel setzen."
    1976 blieb es bei dem einen toten Soldaten in Fort Dix. Dafür verklagten rund 4000 Impflingen die Regierung wegen angeblicher Nebenwirkungen des Impfserums auf insgesamt 3,5 Milliarden Dollar Schadensersatz.


    Im Rückblick auf die Schweingrippe-Episode gab es da eine enorme Überreaktion auf ein oder zwei Krankheitsfälle und als Lehre daraus hat die Weltgesundheitsorganisation einen Pandemie-Alarmplan mit verschiedenen Phasen entwickelt. Träte die Schweineinfluenza heute auf, würden die Amerikaner anders reagieren und erst Massenimpfungen anordnen, wenn der Pandemiefall erklärt ist, nicht schon wenn ein neuer Virussubtyp im Menschen auftaucht. Genau das geschieht ja auch in Vietnam seit nunmehr 1 ½ Jahren und doch empfiehlt die WHO keine Massenimpfungen. Da hat sich seit 1976 einiges getan bei der Risikobewertung.

    Sehr wohl hat Klaus Stöhr im vergangenen Dezember aber empfohlen, dass sich die Regierungen ein Impfstofflager anlegen und zwar mit derselben Argumentation, mit der die Verantwortlichen 1976 handelten: Zum ersten Mal in der Geschichte sei der Virus Subtyp einer sich abzeichnenden Pandemie bekannt und Impfstoffe dagegen könnten vorbereitet werden, um zum Einsatz zu kommen sobald die WHO eine effiziente Mensch zu Mensch Übertragung feststellt und den Pandemie-Fall erklärt.

    Die USA haben bei Sanofi-Pasteur zwei Millionen Impfstoffdosen produzieren lassen, die nun zunächst in die klinische Testung gehen. Auch Japan, Frankreich und Italien sollen Bestellungen aufgegeben haben. In Deutschland steht man dem skeptisch gegenüber und Klaus Stöhr hat dafür inzwischen Verständnis:

    Letztendlich haben alle Leute Recht, die sagen, wir sollen Impfstoffe einlagern und andere die sagen: Nein, es lohnt sich nicht. Denn diese Maßnahme die an sich sinnvoll ist, ist natürlich an bestimmte Bedingungen gebunden: natürlich ist es so, dass wir zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ungefähr voraussagen können, welches Virus eine Pandemie verursachen könnte, aber gleichzeitig wird niemand 100 Prozent voraussagen können, dass dieser Stamm H5N1 aus Asien auch die Pandemie verursacht.
    Deswegen sagen wir: Überlegt ob es sich lohnt, kleinere Mengen dieses Impfstoffes H5N1 einzulagern, aber bedenkt, dass der Impfstoff nach ein bis zwei Jahren seine Wirkung verliert, einfach weil er in der Konzentration schwächer wird, bedenkt, dass die Pandemie vielleicht durch ein anderes Virus verursacht wird, bedenkt, dass die klinischen Versuche noch gar nicht abgeschlossen sind, dass man den Impfstoff noch gar nicht abfüllen kann – aber natürlich der Vorteil würde sein, dass man falls die Pandemie auftritt und H5 sie verursacht man in der ersten Zeit tatsächlich strategische Reserven hat, um tatsächlich sofort den Impfstoff einzusetzen.


    Zwei Millionen Dosen sind nicht viel. Sie würden nicht einmal reichen, um in Deutschland alle Ärzte und Krankenpfleger zu impfen. Verteilungskämpfe wären vorprogrammiert. Andererseits ist klar: Eine Grippewelle zieht in Deutschland in vier bis acht Wochen durch das ganze Land. So schnell vermehren sich die Impfviren in den Hühnereiern oder Zellkulturen nicht. Beginnt die Impfstoffproduktion erst, wenn der Pandemiefall erklärt ist, kann man die Bevölkerung damit also höchstens noch vor einer zweiten Infektions-Welle schützen, die bei Pandemien häufig nachkommt, sagt Johannes Löwer, Leiter des Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe bei Frankfurt:

    Die Vorstellung, dass wir im Falle der Pandemie ausreichend Impfstoff produzieren können, bevor sich die Krankheit ausbreitet, ist sicherlich irrig.

    Große Bedeutung messen die mit der Pandemieplanung betrauten nationalen Behörden, auch die deutschen, deshalb antiviralen Medikamenten zu. Sie hemmen zum Beispiel die Neuraminidase, mit deren Hilfe sich die Viren aus den Atemwegszellen befreien können, nachdem sie sich darin vermehrt haben. Davon sollen nun Lager angelegt werden,

    Also die antiviralen Medikament, wenn man die 1-2 Tage nach der Infektion nimmt, können sie zumindestens den Krankheitsverlauf abmildern, aber das Problem ist, dass die ein bis zwei Tage nach der Infektion eingenommen werden müssen und man oft natürlich auch nicht weiß, wann man infiziert worden ist.
    Das ist auch der Grund dafür, warum diesen Medikamenten bislang nur mäßiger wirtschaftlicher Erfolg beschert war und warum die WHO sich weiterhin darauf konzentriert, die Herstellung von Impfstoff so gut wie möglich vorzubereiten. Etwa mit der Idee des Attrappen-Impstoffes.
    Dahinter steckt die Erkenntnis, dass ein Pandemie-Impfstoff anders zusammengesetzt sein müsste als der Grippe-Impfstoff, der jedes Jahr zum Einsatz kommt. Der Pandemie-Impfstoff würde nur vor dem einen für das Immunsystem neuartigen Grippestamm schützen, nicht vor den anderen kursierenden Stämmen. Möglicherweise müsste er deshalb anders konzentriert sein, andere Hilfsstoffe enthalten, die das Immunsystem stimulieren oder in zwei Schüben verimpft werden, erklärt John Wood, der das Konzept mit entwickelt hat.

    Es gibt also viele Unterschiede bei einem Pandemie-Impstoff, wie wir ihn uns vorstellen und das Problem ist, dass bislang kein solcher Pandemie-Impfstoff zugelassen ist. Normalerweise dauert das Zulassungsverfahren viele Monate. Wenn es eine Pandemie gibt, haben wir diese Zeit nicht.

    So entstand die Idee, dass die Impfstoffhersteller ein Impfserum gegen irgendeines der Kandidaten-Viren für eine Pandemie entwickeln sollten, sei es H5N1, oder H2N2, oder H9N2. Wichtig ist nur, dass es neu für das Immunsystem ist.

    Der Hersteller produziert dann mit diesem Stamm eine Charge Pilot-Impstoff , mit dem er kleine Studien zur Verträglichkeit und Wirksamkeit an Tieren und Menschen macht. So erhalten sie außerdem die Daten zur Qualitätskontrolle bei der Herstellung. Alle Daten sollten dann in einem Dossier zusammengefasst und bei der Europäischen Lizensierungsbehörde eingereicht werden, die dann, falls die Daten in Ordnung sind, eine Pandemie-Zulassung für diesen Attrappen-Impfstoff erteilt.

    Sollte die WHO eine Pandemie erklären, dann wüssten die Hersteller sofort, wie das Impfserum konzipiert sein muss. Sie würden es mit Hilfe das Saatvirus herstellen, das die WHO von dem Pandemie-Stamm verschickt. Aus Sicht von Johannes Löwer vom Paul Ehrlich Institut wäre dafür keine komplette Neuzulassung fällig.

    Diese Zulassung – ich sage das jetzt mit Anführungszeichen – ist eine so genannte Änderung der ursprünglichen Zulassung und die Vorstellung ist, dass das in 2-3 Tagen erledigt werden kann.

    Die Industrie, erzählt John Wood, reagierte zögerlich auf dieses Konzept.

    Die Reaktion war durchwachsen. Alle fanden die Idee gut, weltweit eigentlich und andere Zulassungsbehörden auf der Welt haben dieses Konzept der Pandemie-Impfstoff-Zulassung aufgegriffen. Das Problem ist, dass die Hersteller sagen, sie hätten nicht genug Geld für so eine Attrappen-Impfstoff-Entwicklung. Denn sie müssten einen Teil ihrer Produktionsanlage dafür reservieren und klinische Studien durchführen, was teuer ist. Deshalb sagen sie, die Regierungen sollten in die Entwicklung dieser Attrappen-Impstoffe investieren.

    Einige Regierungen tun dies auch. In den USA laufen ja gerade die klinischen Studien für den Impfstoff, den die Bush-Administration bestellt hat. Kanada hat sogar einen Partnerschaftsvertrag mit einem Unternehmen geschlossen, das im Katastrophenfall exklusiv für den Eigenbedarf des Landes Impfserum produzieren kann, denn Kanada hat bereits einmal die Erfahrung machen müssen, dass es nicht mit der Solidarität des US-Nachbarn rechnen darf, wenn der Impfstoff knapp wird.

    In Deutschland begann Glaxo Smith Kline in Dresden auf eigene Initiative bereits vor Jahren mit klinischen Studien für einen Pandemie-Impstoff und wird sein Attrappen-Dossier demnächst wohl als erste Firma vorlegen können. Chiron arbeitet nach eigenen Angaben in Italien in diese Richtung. Dennoch werden die Kapazitäten der Pharmaunternehmer immer begrenzt sein auf ihre Kapazitäten in den normalen Grippejahren. Da verbraucht Deutschland rund 17 Millionen Impfdosen jährlich. Sollen sie mehr Kapazitäten vorhalten, wollen sie Abnahmegarantien von Seiten der Politik. Ebenso wie sie Garantien brauchen, falls sie doch eine Notfallration Vogelgrippeserum für die Lagerung herstellen. In Deutschland, sagt Reinhard Kurth vom Robert-Koch-Institut, wäre dieser Auftrag Ländersache:

    Natürlich sollte jetzt nicht jedes Land alleine losmarschieren, sondern es gibt ja auch die Gesundheitsministerkonferenz und so steht es dann auch im detaillierten Aktionsplan, dass diese Länder dann mit einer Stimme sprechend auf die Hersteller zugehen müssen und einer Art von Finanzierung, die im übrigen nicht so hoch ist, wie wir es bei den Pockenimpfstoffen erleben mussten, eine Art von Finanzierung mit denen vereinbart, um für gewisse Bevölkerungsteile einen Impfstoff zur Verfügung zu haben.

    Der Pandemie-Notfallplan des Robert-Koch-Institutes krankt ganz allgemein daran, dass die öffentliche Gesundheit in Deutschland den Ländern obliegt, die Pflichten wie diese aber gerne an die Bundesbehörden abtreten würden. Der Streit darum, wer die Kompetenz haben muss, ist im Augenblick voll entbrannt.

    Es ist ganz klar, dass der Föderalismus Vorteile und Nachteile hat.

    Merkt dazu lakonisch Johannes Löwer vom Bundesamt für Impfstoffe an.
    Falls die Pandemie uns nicht in den nächsten ein bis zwei Jahren trifft, werden wir bis dahin womöglich die wichtigsten Hausaufgaben erledigt haben. Die Industrie wird auch im Auftrag anderer, zentralistisch regierter Nationen Impfseren entwickelt haben und zunehmend in der Lage sein, diese in großen Zellkulturanlagen herzustellen, von denen in Europa derzeit vier Stück im Aufbau sind. Damit wäre die Produktion weniger abhängig von der Verfügbarkeit angebrüteter Hühnereier und John Wood müsste irgendwann keine Saatviren mehr herstellen, die sich optimal im Ei vermehren.
    Noch besser wäre es, wenn sich die DNA-Impfstoffe als funktionierendes Konzept erwiesen, es wäre sogar perfekt, sagt John Wood:

    DNA-Impfstoffe sind schon seit einigen Jahren in der Entwicklung, aber trotz erster viel versprechender Ergebnisse bei Tierexperimenten sind bei klinischen Patientenstudien bislang keine überzeugenden Daten mit DNA-Impfstoffen gegen Grippe erzielt worden. Wir hoffen aber, dass das weiter entwickelt wird und dass dies die Impfstoffe der Zukunft sein werden wegen ihres enormen Potentials.

    DNA-Impfstoffe würden aus den Erbmolekülen von Grippeviren bestehen, die das Immunsystem stimulieren. Dabei würde man nicht die Erbinformation für die Oberflächenmoleküle Hämaglutinin und Neuraminidase einsetzen, die sich ja ständig verändern, sondern Erbinformation von einem der internen, weniger variablen Moleküle des Virus. Damit hätte man einen universalen Impfstoff, der gegen alle Grippeviren schützen würde und für jede noch so große Pandemie eingelagert werden könnte. Perfekt, tatsächlich. Merck arbeitet an solchen DNA-Grippeimpfstoffen und eine kleine Firma in England, Powdermed.

    Die haben gerade ein paar klinische Daten vorgelegt, wonach ihr Serum die Antikörperproduktion stimuliert. Das ist das erste Mal, dass ich so was über einen DNA-Grippeimpfstoff gelesen habe.

    In den Wochen nach der Tsunami-Katastrophe ist viel von der Globalisierung der Hilfe geredet worden. Klaus Stöhr von der Weltgesundheitsorganisation macht darauf aufmerksam, dass die Gefahr eine Grippepandemie ein wahrhaft globales Problem ist. Ebenso wenig wie Tailand ein Tsunami-Frühwarnsystem besaß, gibt es in Vietnam eine nationale Tierseuchenkontrolle oder Grippeimpstoffproduktion. Doch kommt es dort zur Pandemie, dann sind sehr bald auch wir betroffen, und zwar nicht nur emotional:

    Das sind ja die Länder, die am wenigsten an Infrastruktur haben, um mit der Pandemie fertig zu werden. Und viele andere Länder schauen zu und sagen: Na wollen wir mal sehen, wie dort mit der Geflügelseuche fertig geworden wird und überhaupt nicht darüber nachdenken, dass die Bekämpfung der Geflügelseuche in Asien letztlich ja auch Pandemievorbereitung für die Länder in den anderen Kontinenten ist.