Meral Akşener, 61 Jahre, akkurate Kurzhaarfrisur, Businesskostüm, wirkt auf den ersten Blick nicht wie eine, die Massen bewegt. Doch wenn die türkische Politikerin dieser Tage eine Bühne betritt, geht ein Ruck durch die Menge. "Meral for president", skandieren ihre Anhänger im Chor, Plakate und Fäuste werden in die Luft gereckt, Blitzlichter erhellen den Raum. "Wir brauchen einen Neuanfang. Und nur sie kann ihn bringen", schwärmt ein Mann. Und ein anderer fügt hinzu: "Diese Frau liebt ihr Land und ihre Nation. Ich hoffe, wir sehen sie schon bald an der Regierung."
Wer also ist Meral Akşener, deren geplanter Zentrumspartei Meinungsforscher auf Anhieb 20 Prozent der türkischen Wählerstimmen prognostizieren? Eine Frau, die in einer patriarchalischen Gesellschaft sämtlichen Männern die Stirn bietet – und schon jetzt ankündigt, 2019 als Herausforderin von Präsident Recep Tayyip Erdoğan antreten zu wollen?
Anti-kurdische Rhetorik
Zwei Kernbegriffe prägen die bald 30 Jahre währende Politkarriere Meral Akşeners: Nationalismus und Säkularismus. Den islamischen Autoritarismus Erdoğans lehnt sie genauso ab, wie Zugeständnisse an die kurdische Minderheit. Meral Akşener:
"Die AKP-Regierung hat zugelassen, dass die Kurden ihre so genannte Flagge hissen. Schämen sollte sie sich dafür!"
Harte Worte gegen Minderheiten sind nichts Besonderes in der Türkei. Nicht nur in der rechts-nationalistischen MHP, der Meral Akşener bis vor kurzem noch angehörte, gehören sie längst zum politischen Alltag. Doch mit ihrer Zentrumspartei will Meral Akşener offensichtlich auch alte Kampflinien aufbrechen: In einer Zeit, in der das Land gespalten ist wie nie, versucht sie zu einen. Denn mit Klientelpolitik ist der Übermacht Recep Tayyip Erdoğans nicht beizukommen, das zeigen die Beispiele der politisch erfolglosen prokurdischen HDP und der kemalistischen CHP.
"Anstatt allein auf Nationalismus, setzt Meral Akşener bewusst auf einen Zentralismus, der versucht, liberale und konservative Werte miteinzubeziehen",
so Journalist Hüseyin Sengül, der den Aufstieg Meral Akşeners genau beobachtet.
"Sie betont in diesem Sinne, dass sie Recep Tayyip Erdoğans Verfassungsänderung ablehnt – und dass sie, im Gegensatz zu nationalistischen Hardlinern, auch die Beziehungen zum Westen und der EU aufrechterhalten will. (…) Ihre große Chance ist, dass ein wachsender Teil der AKP- und der MHP-Anhänger unzufrieden sind. Aber sie hatten bisher keine Alternative."
Immer beliebter und damit gefährlich für die AKP
Das könnte sich mit Meral Akşeners Parteigründung nun ändern. Kein Zufall also, dass AKP-nahe Medien die immer beliebter werdende Oppositionspolitikerin regelmäßig als Verschwörerin bezeichnen, sie gar in die Nähe von Terrororganisationen stellen. Als Devlet Bahçeli, Chef der nationalistischen MHP, sich von Meral Akşener in seinem Parteivorsitz bedroht sah, half ihm Präsident Recep Tayyip Erdoğan persönlich, sie aus der Partei auszuschließen – und sicherte sich so die Unterstützung Devlet Bahçelis für seine Verfassungsreform. Meral Akşener aber machte das nur noch beliebter. Als ihr bei einer Rede kurzerhand der Strom abgestellt wurde, sprach sie im Licht tausender Handy-Taschenlampen in ein Megaphon.
"Ach, wie sehr sie sich doch vor einer einfachen Frau ohne Titel fürchten. Ich gebe euch mein Wort: Ich fürchte mich vor nichts. Ich bin bereit für jeden Zentimeter dieses Landes, für jedes Mitglied dieser Nation zu sterben."
Dass Meral Akşener neuen Wind in die festgefahrene türkische Parteienlandschaft bringt, steht schon vor der für Oktober geplanten Gründung ihrer Zentrumspartei fest. Doch das Beispiel der prokurdischen HDP, deren Spitze seit Monaten im Gefängnis sitzt, zeigt: Ihr Weg nach ganz oben wird beschwerlich sein.