Sayed Ibadullah schaut skeptisch auf seine Prothesen. Er muss das Laufen neu lernen. Er hat im vergangenen Herbst in Kundus gekämpft, als der ehemalige Bundeswehrstandort im Norden Afghanistans kurzfristig in die Hände der Taliban fiel. Der junge Soldat verlor beide Beine und die rechte Hand.
"Wir waren in unserem Außenposten 18 Tage lang eingeschlossen. Dann konnten wir uns befreien. Als wir uns zurückziehen wollten, ist auf dem Weg die Sprengfalle explodiert."
Ibadullah hat nie etwas anderes gelernt als zu kämpfen. Der afghanische Krieg ist älter als er. Er würde gerne auf das Schlachtfeld zurückkehren.
"Ich spreche jeden Tag mit meinen alten Kameraden. Sie haben Gott auf ihrer Seite. Ich habe Hoffnung. Sie haben Kundus zurückerobert, sie würden es wieder tun."
Was Ibadullah nicht sagt: Die Rückeroberung gelang vor allem deshalb, weil seine Kameraden massive ausländische Unterstützung erhielten, obwohl die Nato ihren Kampfeinsatz 2014 offiziell beendet hat. Vor allem die USA griffen aktiv in das Geschehen ein. Aus der Luft und am Boden. Einer der amerikanischen Luftangriffe traf am 3. Oktober das Trauma-Krankenhaus der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen.
2015 war ein besonders verlustreiches Jahr für Afghanistan. Noch nie seit dem Sturz des Taliban-Regimes wurden so viele Zivilisten getötet oder verletzt. Afghanistans Armee und Polizei verloren in diesem einen Jahr mehr Männer als die Nato in den vergangenen 15 Jahren. Generalleutnant Frank Leidenberger ist der ranghöchste deutsche Soldat in Afghanistan. Er leitet den Stab im Nato-Hauptquartier in Kabul.
"Wir konnten uns eben immer mit gepanzerten Fahrzeugen schützen und auf Luftstreitkräfte zurückgreifen. Das alles haben die Afghanen nicht durchgängig zur Verfügung."
Keine politische Lösung in Afghanistan
Die Sicherheitslage ist prekär. Die Nato-Staaten investieren Milliarden in den Aufbau von Armee und Polizei. Doch Sprengfallen und Selbstmordattentäter zerstören das Vertrauen der Afghanen in ihren Staat. Die Nato ringt mit sich. Die letzten 15 Jahre sollen nicht umsonst gewesen sein.
"Wir werden sicher als Nato nicht zum Kampfeinsatz zurückkehren. Wir haben jedoch klar erkennen müssen in 2015, dass weder die Taliban so schwach waren wie wir sie angenommen hatten, noch waren die afghanischen Streitkräfte in der Lage, die Gefechts- und Kampfkraft zu entwickeln, die wir uns erhofft hatten."
US-Präsident Barack Obama hat Konsequenzen gezogen und seine ursprünglichen Rückzugspläne zurückgenommen. Auch im kommenden Jahr werden noch mehr als 8.000 amerikanische Soldaten in Afghanistan stationiert sein. Sie haben unter einem eigenen Anti-Terror-Mandat auch die Erlaubnis, ihre afghanischen Partner aktiv im Kampf zu unterstützen. Aus der Luft und am Boden. Generalleutnant Frank Leidenberger findet das richtig.
"Weil wir unseren afghanischen Partnern, die wir ja ausbilden, erziehen und trainieren, nicht beim Sterben zuschauen sollten."
Für die anderen Nato-Partner geht es darum, auf dem afghanischen Schlachtfeld die richtige Balance zu finden. Wo hört trainieren und unterstützen auf? Wann ist die rote Linie überschritten, die doch eine Rückkehr zum Kampfeinsatz bedeuten würde? Es zeichnet sich keine politische Lösung in Afghanistan ab.