Das Tiroler Bergdorf Alpbach ist mit seinen fast tausend Metern Meereshöhe für Gipfeltreffen wie geschaffen. Leicht kommt Feierlichkeit auf, wenn Staats- und Wirtschaftslenker aus ganz Europa sich hier alljährlich im Spätsommer treffen, um einander zuzuhören und sich interessierten Journalisten zu präsentieren. In diesem Jahr klang es gar ein wenig nach Friedensnobelpreis, als der Präsident des Kosovo, Hashim Thaçi, das Wort ergriff:
"Ich trete für den Abschluss eines Abkommens ein, und entsprechend den Forderungen von Vertretern der Gemeinden Preševo, Medvedja und Bujanovac habe ich die Korrektur der Grenze zu Serbien vorgeschlagen."
Ein historisches Abkommen also, eine Versöhnung, begleitet nur von einigen unbedeutenden Grenzänderungen: So hörte es sich an. Sollten das albanisch dominierte Kosovo und das Nachbarland Serbien, von dem es sich vor fast zwanzig Jahren in einem blutigen Krieg gelöst hat, eine alte Feindschaft in eine Völkerfreundschaft umwandeln?
Serbien erkennt Unabhängigkeit des Kosovo bis heute nicht an
Noch heftiger wehte der Atem der Geschichte, als Thaçis Widerpart, der serbische Präsident Aleksandar Vučić, sich wenig später in der geteilten Stadt Mitrovica an seine Serben wandte, umrahmt von einem Kinderchor in Landestracht und kräftig beklatscht von seinen Parteigängern:
"Wenn man einen Krieg verliert, muss man dafür einen Preis zahlen. Einen hohen Preis. Wir Serben dagegen tun so, als wäre nichts passiert."
Auch nach fast zwanzig Jahren erkennt Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo, eine Folge des Krieges der Jahre 1998 und 1999, nicht an. Würde nun Vučić eine historische Umkehr andeuten? Immerhin sprach der Präsident die Binsenweisheit, dass sein Land den Krieg damals verloren hat, erstmals offen aus.
"Wir hatten große Illusionen über uns selbst und die anderen: Dass wir übermächtig wären, so zahlreich, ewig mächtig, und dass die anderen schwächer und weniger fähig wären als wir."
Dumpfer Unterton der nationalen Posaune
Aber auf dem Balkan hat Vučić mit seinem Vorstoß weit mehr Beklemmung als Begeisterung ausgelöst. Der Grund ist nicht fortdauernder nationaler Hass - im Gegenteil. Es ist vielmehr die Formel, die die beiden Präsidenten gefunden haben. Zwischen Serbien und dem Kosovo soll die Grenze neu gezogen werden, und zwar entsprechend den ethnischen Verhältnissen: Der Norden des Kosovo, in dem vor allem Serben leben, soll zu Serbien kommen, und ein überwiegend albanisch besiedelter Zipfel im Süden Serbiens soll dem Kosovo zugeschlagen werden. Vor allem im Nachkriegsstaat Bosnien-Herzegowina werden schlimme Befürchtungen wach. Lauter als die Friedensschalmei klingt in bosnischen Ohren aus Vučićs Rede der dumpfe Unterton, die nationale Posaune. Wieder geht es um die Umrisse des Landes, die Größe der Nation, die historischen Ansprüche des eigenen Volkes - wie zuletzt vor zwanzig Jahren.
Als vor drei Wochen die Präsidenten in Alpbach ihren Plan vorstellten, rührte sich als erster ein junger Mann aus Bosnien und widersprach heftig. Seine Generation ist aufgewachsen mit dem europäischen Versprechen, dass es eben nicht darauf ankommt, welche Nationalität im Staat die Mehrheit hat. Dem 32-jährigen Adnan Ćerimagić, einem in Brüssel und Graz ausgebildeten Politologen, blieb es vorbehalten, den anwesenden europäischen Politikern ihre eigene Politik zu erläutern:
"Im westlichen Balkan kommt es darauf an, dass alle, die irgendwo in der Minderheit sind, über alle Rechte verfügen - dass sie sich sicher fühlen, dass sie zur Schule gehen können, Arbeit finden, nach einem besseren Leben trachten, dass sie genauso leben können wie ihre Nachbarn, die in der Mehrheit sind. Das muss das Ziel sein."
Neue Forderungen nach Unabhängigkeit beunruhigen
Der Umgang mit Minderheiten als Test für den Entwicklungsgrad der Gesellschaft: so die Idee. Wer das Zusammenleben mit Menschen anderer Konfession oder Sprache nicht aushält, sich mit Nachbarn, die ebenfalls seit Jahrhunderten im gleichen Gebiet leben, nicht auf Kompromisse einigen kann, wird auch in einem ethnisch gesäuberten Ambiente keine Demokratie ausbilden.
Der Plan der beiden Präsidenten beunruhigt den jungen Ćerimagić vor allem um seines eigenen Landes willen. In Bosnien hat der Präsident des serbischen Landesteils die Gunst der Stunde sofort begriffen und unter der Parole der ethnischen Selbstbestimmung erneut die Unabhängigkeit gefordert. Was der Krieg nicht erreicht hat, die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas nach ethnischen Mehrheiten, soll nun Wirklichkeit werden.
Auch im Kosovo selbst, das ja von dem Abkommen vor allem profitieren soll, herrscht breite Ablehnung. Der Regierungschef ist dagegen, ebenso die stärkste Oppositionspartei, und sogar die von ihm selbst gegründete größte Regierungspartei will ihrem Präsidenten Hashim Thaçi nicht folgen. Agron Bajrami, der Chef der wichtigsten Zeitung im Kosovo:
"Also mal ehrlich: Wenn wir uns darauf einigen, dass die Albaner im Süden Serbiens dem Kosovo beitreten dürfen und die Serben im Nordkosovo wiederum Serbien, wer erklärt dann den Albanern in Mazedoniern, dass sie dieses Recht nicht haben sollen? Oder den Bosniaken im Sandschak?"
Schock für die EU und Reformer in der Region
Gefördert hat den Vorstoß der beiden Präsidenten die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Federica Mogherini, flankiert vom 74-jährigen Präsidenten Österreichs, Alexander van der Bellen, und dem EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn, einem weiteren Österreicher. Gerade für die Reformer in der Region, die die lange Zeit der ethnischen Gegensätze endlich hinter sich lassen wollen, ist es ein Schock, dass mit der Europäischen Union nun ihr bester Bündnispartner wegzufallen scheint. Agron Bajrami:
"Und dann lässt die Europäische Union das auch noch ausdrücklich zu! Das widerspricht jeder Balkanpolitik der EU und des Westens in den letzten fünfundzwanzig Jahren! Wir nehmen da eine antieuropäische Richtung!"
Dass wenigstens Grenzen der einstigen Teilrepubliken Jugoslawiens auch nach dem Auseinanderfallen des Bundesstaates erhalten bleiben sollten, war seit 1991 ein eherner Grundsatz der westlichen Balkan-Politik. Kosovo war zwar keine Republik gewesen, nur eine autonome Provinz in Serbien - aber auch an deren Grenzen sollte, wenn der Gesamtstaat schon nicht zu halten wäre, nicht gerüttelt werden.
Gebietstausch, Macht, Geschäfte
Selbst wenn Vučić und Thaçi tatsächlich auf Versöhnung aus sein sollten, würde der erste anerkannte Gebietstausch auf dem Balkan all denen die Schleusen öffnen, die nach wie vor auf ethnische Trennung setzen, der eigenen Volksgruppe die Bedrohung durch die je andere einreden und sich so die Macht verschaffen, die sie für ihre Geschäfte brauchen.
"Wir müssen im Kopf behalten, dass nicht nur Kosovo, sondern die ganze Region, der Balkan, noch immer voll ist von Politikern und Parteien, die aus nationalistischen Bewegungen hervorgegangen sind. Deren Denken fußt im Nationalismus und sie produzieren die Ideen, mit denen man im 19. Jahrhundert nationale Fragen lösen wollte."
Der Balkan sei blockiert durch die andauernden ethnischen Gegensätze, heißt es allenthalben, nichts gehe weiter, und da müsse man eben einmal andere Lösungen versuchen: Das ist das Hauptargument der Befürworter eines Gebietstauschs. Der Bosnier Adnan Ćerimagić widerspricht. Ja, es gehe langsam.
"Aber dass sich seit 1996 nichts verändert hätte, dass es nicht vorangehe, das stimmt absolut nicht, und es gibt dafür auch genügend Belege."
Skepsis über die Inszenierung von Alpbach
Tatsächlich leben in der Republik Srpska, die im Krieg der Jahre 1992 bis 1995 durch Vertreibungen so gut wie "ethnisch rein" wurde, inzwischen wieder 30.000 Nicht-Serben - was man sich vor zehn Jahren noch nicht vorstellen konnte.
Heftiger Widerspruch kommt auch aus dem Kosovo - von Florina Duli etwa, Chefin der Kosovo-Stabilitätsinitiative, einer Denkfabrik in Prishtina:
"Wenn es um die Beziehung zwischen den Volksgruppen geht, dann war Kosovo wohl noch nie so stabil wie jetzt. Wir haben Probleme beim Regieren, wir haben demokratische Defizite - wenn auch im Moment, ehrlich gesagt, weniger als Serbien sie hat. Aber die ethnischen Beziehungen sind wahrscheinlich so circa unser Problem Nummer dreißig."
Die Inszenierung von Alpbach kommt bei den Reformern in der Region im Jahr 2018 nicht mehr als Durchbruch an - eher als eine Art Retro-Show. Gewalt zwischen Albanern und Serben gibt es nicht mehr, alle können sich im Kosovo frei bewegen. Selbst auf der Verwaltungsebene gestaltet sich das Zusammenleben, wenn auch nicht gerade eng, so doch weitgehend reibungslos. Auf einen Befreiungsschlag jedenfalls hat niemand gewartet.
Lösung bei Gebietstausch gilt nicht als sicher
Mag der Gebietstausch auch für die ganze Region etliche Gefahren mit sich bringen, so sollte er doch wenigstens völkerrechtlich und beim EU-Beitritt den beiden unmittelbar beteiligten Staaten, Kosovo und Serbien, Vorteile bringen. Kosovo ist nicht Mitglied der Vereinten Nationen, weil Russland als Veto-Macht im Sicherheitsrat der Aufnahme nicht zustimmt. Serbien wiederum hat von der Europäischen Union die Auflage, vor einem möglichen Beitritt seine Verhältnisse mit dem Kosovo in Ordnung zu bringen. Aber dass der Gebietstausch beide Länder einer Lösung näherbringen würde, ist keineswegs sicher.
So lehnt nicht nur Russland, sondern auch China die Aufnahme des Kosovo in die UNO ab – nicht aus Sympathie für Serbien, sondern weil es keine separatistischen Bewegungen im eigenen Land ermuntern will. Und selbst fünf EU-Staaten erkennen Kosovo nach wie vor nicht an, darunter Spanien, das eine Vorbildwirkung für das abtrünnige Katalonien fürchtet und Kosovo deshalb auch dann nicht anerkennen will, wenn Serbien es tut. Agron Bajrami, der Chefredakteur der Zeitung Koha Ditore:
"Nicht einmal der EU-Beitritt ist mit dem Deal garantiert."
Parlamentspräsident des Kosovo lehnt Teilung ab
Was also der Fortschritt wäre, ist völlig offen. Entsprechend gering sind zurzeit die Chancen, dass ein Gebietstausch mit Serbien im Parlament des Kosovo die nötige Zweidrittelmehrheit finden könnte. Kadri Veseli, der Parlamentspräsident und Chef der größten Partei des Kosovo, glaubt nicht, dass sein Land mit der Abtrennung des serbisch besiedelten Nordens ein Problem weniger hätte.
"Im Gegenteil! Wir werden noch stärker arbeiten, um unsere Kommunitäten hier, serbische und andere Kommunitäten, alle zu integrieren. Teilung ist keine Option für Kosovo."
Und Veseli unterstützt ausdrücklich die Haltung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die sich sofort und klar gegen die Teilungspläne ausgesprochen hat:
"Wir wollen integriert werden in die Europäische Gemeinschaft und in die NATO. In diesem Sinne ist die deutsche Rolle sehr wichtig für uns als Kosovo."
Nicht einmal die Idee, einfach nur die albanisch besiedelten Gemeinden im Süden Serbiens an das Kosovo anzuschließen, findet die Zustimmung des vielleicht mächtigsten Mannes im Lande.
"Wir respektieren die Souveränität Serbiens, aber Serbien als ein unabhängiges Land soll mehr Bemühungen machen, um die albanische Gemeinschaft dort zu respektieren."
Zweifel am Nutzen für betroffene Albaner und Serben
Nur einen Vorteil will der geschickte Veseli aus der Debatte ziehen: Die mehrheitlich serbischen Gemeinden im Kosovo sollen sich zwar zu einem Gemeindeverband zusammenschließen dürfen, sie sollen aber keine gemeinsamen Institutionen unterhalten. Andernfalls, so die Befürchtung im Kosovo, entstünde ein Staat im Staate.
"Es wird keine Teilung geben, und in derselben Zeit wird es keinen Gemeindeverband mit exekutiver Macht geben."
Aber wenn die große Geste von Alpbach weder völkerrechtliche Probleme löst, noch die Gesellschaften voranbringt, noch überhaupt populär ist und stattdessen die ganze Region in Unruhe bringt: Wem nützt sie dann? Profitieren sollten wenigstens die unmittelbar Betroffenen – die rund 50.000 Serben im Norden des Kosovo und die ebenfalls rund 50.000 Albaner im äußersten Süden Serbiens, die den Staat wechseln würden. Tun sie das?
Shqiprim Arifi aus Mannheim ist Bürgermeister von Preševo
Preševo ist das Zentrum der albanischen Minderheit im Dreiländereck zwischen Kosovo, Serbien und Mazedonien. Der Bürgermeister der Stadt heißt Shqiprim Arifi. Er ist in Mannheim geboren und aufgewachsen; vor vier Jahren ist er in die Heimat seiner Eltern gezogen, ein Land, das er bis dahin nur aus den Sommerferien kannte. Mit anderen jungen Leuten hat er eine Initiative gegründet und bei der Kommunalwahl kandidiert - mit Erfolg. Eine neue Generation hatte das Gerede und die Träume von Anschluss und Unabhängigkeit satt: Endlich sollte es um praktische Probleme gehen. Seit zwei Jahren nun ist Shqiprim Arifi Bürgermeister von Preševo.
"Wir haben die höchste Arbeitslosenrate in der ganzen Region. Wir haben über 50 Prozent Arbeitslosigkeit hier."
Albaner sollten Zugang zu den großen Betrieben in der Region bekommen. Und die Kinder endlich Schulbücher für den albanisch-sprachigen Unterricht, sagt er.
"Wir lernen noch per Diktat. Der Lehrer redet, die Schüler schreiben."
Nationale Spielchen, wie Arifis Vorgänger sie noch spielte, haben dazu geführt, dass Preševo und die Nachbargemeinde Bujanovac kein Amtsgericht mehr haben. Man hatte die Volkszählung boykottiert, und Belgrad schlug zurück.
"Als Gegenantwort haben wir natürlich dann von der serbischen Regierung bekommen: Okay, ja gut, jetzt habt ihr boykottiert, jetzt kriegt ihr kein Gericht mehr, jetzt kriegt ihr keine Staatsanwaltschaft mehr. Das ist ja keine Logik!"
Albaner fordern Anschluss an das Kosovo
Vor gut vier Wochen rief plötzlich Hashim Thaçi an, der Präsident des Kosovo. Ob die Albaner in den drei südserbischen Gemeinden nicht den Anschluss an das Kosovo fordern wollten? Der Anruf traf die junge Truppe in der Stadtverwaltung wie ein Keulenschlag. Thaçi, der im Kosovo den Spitznamen "die Schlange" trägt, wusste, dass die Albaner in Südserbien ihm den Wunsch nicht abschlagen konnten: Seit 26 Jahren schon fordern sie offiziell den Anschluss ans Kosovo, und auch wenn das Ansinnen längst nur noch deklamatorischen Charakter trägt, kann sich niemand leisten, es förmlich aufzugeben.
Schnell kursierten wieder alte Pläne: Die Eisenbahnlinie, die im Osten der Gemeinde verläuft, sollte die neue Grenze zwischen Albanern und Serben werden. Arifi wehrt ab.
"Das kommt für uns nicht in Betracht, und wir werden es auch nicht akzeptieren. Falls es da irgendwie auf EU-Ebene eine Einigung gibt, werden wir das nicht machen. Warum? Wir wollen nicht, dass ein Teil unserer albanischen Gesellschaft jetzt Teil des Kosovo wird, und dafür ein anderer Teil jetzt trotzdem noch im Serbischen bleibt und dadurch auch riskiert, dass diese Albaner dort assimiliert werden oder auswandern."
Konkret heißt das: Die südserbischen Gemeinden sollen alle drei vollständig von Serbien ins Kosovo wechseln - und das, obwohl in einer der drei, Medvedja, überhaupt nur zu einem Viertel Albaner leben.
"Entweder werden wir komplett, als Ganzes uns anschließen, oder wir bleiben als Ganzes hier in Serbien",
sagt der junge Bürgermeister. Eine ganz und gar unrealistische Forderung oder, anders ausgedrückt, die eleganteste Form zu sagen: Nein, die Grenze soll bleiben, wo sie ist.
"Die möglichen Risiken und die side-effects, die entstehen können durch diesen Anschluss an Kosovo, die sind uns auch bekannt. Deshalb haben wir auch die Messlatte ganz hochgelegt. Ich will kein Spielkärtchen sein für irgendjemand hier in der Region, sei es Vučić, sei es Thaçi."
Westliche Garantiemächte haben eigentlich das Sagen in Prishtina
Konkretion, der Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse und vor allem die Wünsche der Betroffenen, sind der Debatte fremd. Die gleiche Kritik, wie sie in Preševo laut wird, ist auf der anderen Seite der Grenze, im Kosovo zu hören.
"Worin besteht nun eigentlich der Deal? Es herrscht totale Fehlkommunikation, keine Transparenz, man weiß nicht, wo die Initiative eigentlich herkommt."
Florina Duli von der Kosovo-Stabilitätsinitiative stellt in Abrede, dass Kosovo-Präsident Thaçi für seinen weitreichenden Vorschlag die Zustimmung der Bevölkerung genießt - vom fehlenden parlamentarischen Mandat ganz zu schweigen.
"Wir wissen doch alle, wie Thaçi Präsident wurde. Alle Arten und Formen von Einschüchterung kamen zur Anwendung, nicht nur von Kosovo-Politikern, auch von ausländischen Diplomaten, um Thaçi an die Macht zu bringen."
Und auch heute sei es nicht das Vertrauen der Bevölkerung, das dem Präsidenten, dem im Kosovo seit Jahren großflächige Korruption nachgesagt wird, sein Amt sichere, meint Duli. Das sei vielmehr die internationale Gemeinschaft, repräsentiert von den Botschaftern der fünf westlichen Garantiemächte USA, Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland, die in Prishtina über die eigentliche Macht verfügen. Das gelte sowohl für Thaçi als auch für Vučić.
Zeit der großen Deals zwischen starken Männern
"Sie wissen, dass sie ewig an der Macht bleiben können, wenn sie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gewinnen."
Dort aber, in der internationalen Gemeinschaft, stehen nicht mehr allgemeingültige Regeln, Recht und Verlässlichkeit und schon gar nicht die Interessen kleiner Gemeinden im Mittelpunkt. Es ist die Zeit der großen Deals zwischen starken Männern – wie Donald Trump und Kim Jong-Un. Und damit schlägt auch die Stunde der halbstarken, wie Aleksandar Vučić aus Serbien und Hashim Thaçi aus dem Kosovo. Für den Gebietstausch auf dem Balkan machen sich die EU-Kommission und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stark. Dagegen stehen Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und, wenn auch mit weniger Verve, Großbritanniens Theresa May.
Russlands Wladimir Putin hält sich zurück. Dabei gilt er als der eigentliche Profiteur des Deals: Erkennt Russland gemeinsam mit Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo an, sollen umgekehrt die Amerikaner die Annexion der Krim gutheißen. Das Flüstern an der Hohen Pforte zu Istanbul sei bis ins ferne Preševo-Tal zu hören, hieß es zu osmanischer Zeit. Und von den Höhen eines Tiroler Bergdorfs sind auf dem Balkan keine Menschen zu erkennen.