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Die neue Generation

"Glücklich ist der, der sich Türke nennen darf." So steht es auf einem großen Banner in der Innenstadt von Diyarbakir, der kurdischen Metropole im Südosten der Türkei. In diesem Landesteil ist die Hoffnung auf Europa besonders groß. Kaum jemand hier zweifelt daran, dass die Europäische Union den Kurden endlich die ersehnte politische Gleichberechtigung bringen wird. Schon jetzt herrscht vielerorten Aufbruchstimmung. Erst vor knapp zwei Jahren wurde der Ausnahmezustand in der Region aufgehoben, nach Jahren des Bürgerkriegs zwischen Kurden und türkischer Armee.

Von Gunnar Köhne |
    Heute ist es erlaubt, kurdische Musik zu hören, heute ist es möglich, einen kurdischen Sprachkurs zu besuchen, und kurdische Radio- und Fernsehprogramme, die gibt es mittlerweile auch. Allerdings mit einigen Einschränkungen: Die Sendungen sind nur für Erwachsene und dauern höchstens eine halbe Stunde am Tag. Die Marschrichtung aber ist klar, und mit dem nötigen Druck aus Brüssel geht es weiter aufwärts - daran glaubt vor allem die junge Generation, besonders die Frauen.

    "Solu Seri", "Kopf oder Zahl", ist ein Stück der jungen Theatergruppe "Roja Avesta". Die Vorstellungen im Theater der Stadtverwaltung von Diyarbakir sind jeden Abend ausgebucht. Die Komödie hat Witz – und sie ist auf kurdisch. Das wäre noch vor einem Jahr undenkbar gewesen.

    In der Pause fläzen sich die Schauspieler hinter der Bühne auf ein paar durch gesessene Sofas und genießen den Erfolg und die neue Freiheit. Die erst 24jährige Cigdem Celik spielt eine gewiefte, lebenskluge kurdische Bäuerin. Die Studentin streicht ihre dunkelschwarze Mähne nach hinten und lächelt:

    Für mich war es von Anfang an wichtig, ein Theater zu spielen, das der Gesellschaft, vor allem aber den Frauen eine Botschaft vermittelt. Mein Theater soll helfen, die Gesellschaft zu verändern. Weil viele Kurdinnen kein und nur sehr wenig Türkisch sprechen, kommen viele erst jetzt ins Theater.

    Die Schauspielerei war Celiks Traum – ein Traum, den sie erst verwirklichen wollte, als sie auch in ihrer Muttersprache auftreten durfte.

    Auf der Bühne sehen die Frauen Szenen aus ihrem Leben. Die Reaktionen der Mädchen und Frauen sind wunderbar. Wenn zum Beispiel eine Frau einen Mann schlägt, dann feuern sie manchmal die Frau regelrecht an. Nach dem Motto: Wir können es nicht, hau für uns mit drauf.

    Den Frauen in dieser Region wurde jahrzehnte lang übel mitgespielt. Sowohl vom System als auch in ihren Familien. Darum finde ich es so wichtig, dass wir Frauen nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kultur unseren Platz erobern und das Erlebte thematisieren. Es sind vor allem die Frauen, die in unsere Vorstellungen kommen. Die wollen etwas nachholen. Und ich merke, dass ich für die jungen Mädchen so etwas wie ein Vorbild bin.

    Nach der Vorstellung hat sich Cigdem mit ihrer Freundin Zelal Özleyen verabredet. Treffpunkt ist die "Strasse der Kunst", eine autofreie Grünanlage in Diyarbakirs Neustadt. Ein Teegarten reiht sich an den anderen, Wasserpfeifen gluckern, Backgammonsteine klacken, Teegläser klingen. Hier trifft sich die akademische Jugend der Stadt.

    Zelal Özleyen arbeitet für einen lokalen Radiosender. Der darf zwar noch nicht auf kurdisch senden, aber immerhin schon kurdische Musik spielen. Zelal und Cigdem sind sich einig, dass die Veränderung in der Türkei auch für Kurdinnen eine große Chance darstellen.

    Auf Kurdisch Theater zu spielen bedeutet mir unglaublich viel. Jetzt müssen wir Kurden etwas Vernünftiges machen mit der Freiheit, vor allem wir Frauen müssen die Chance nutzen.

    Dass den Leuten beim Stichwort kurdischer Kultur und Traditionen "Ehrenmorde" einfallen, ist schlimm. Ich kenne viele Menschen, die aktiv gegen solche Praktiken sind, und umgekehrt viele, die das immer noch verteidigen. Aber man muss bedenken: wegen des Krieges hat sich hier nichts entwickeln können, auch nicht das Bewusstsein für Frauenrechte.

    Die beiden jungen Frauen begrüßen ein paar Freunde. Wie sie tragen die beiden Männer Jeans und T-Shirt, der eine trägt seine langen Haare zu einem Zopf zusammen gebunden. Cigdem schiebt ihnen zwei Holzhocker hin.

    Ans heiraten denke ich noch nicht, aber für manche gelte ich mit 26 Jahren schon als eine, für die der Zug abgefahren ist (lacht). Aber ich kenne inzwischen viele in meinem Alter, die auch noch nicht verheiratet sind. Ich wohne noch bei meinen Eltern. Die machen keinen Druck. Aber total liberal sind sie auch nicht. Sie mögen es zum Beispiel nicht, wenn ich zu spät nach Hause komme.

    Zelal moderiert am späteren Abend noch ihre Musikwunschsendung auf Radio Gün, "Der Tag". Den schmucklosen Raum, der als Studio dient, teilt sie sich mit dem Techniker, der ihr die von den Hörern gewünschten Stücke aus einem Computer heraussuchen muss.

    Ich war vorher oben in der Buchhaltung. Das war mir zu langweilig. Ich hab gesagt, ich wollte auch mal ans Mikrophon und habe mich durchgesetzt. Ein paar kurdische Musikstücke dürfen wir nicht spielen. Die stehen wegen ihres Inhalts noch auf der roten Liste der Behörden. Meine männlichen Kollegen erinnern sich noch an die schlimmen Zeiten für Journalisten und sind immer sehr vorsichtig und wollen sich ganz genau an alles halten. Aber ich hab’ keine Angst. Kein bisschen.