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Die neuen Literaturen der Europäischen Union

Zwei schöne Mittelmeerinseln sind bekanntlich unter den Neuankömmlingen in der Europäischen Union: das Felseneiland Malta und das liebliche Zypern, an dessen Ufern der antiken Sage nach Aphrodite dem Schaum entstieg. Beide Inseln bringen zwar nur wenige Mitglieder, vermehren aber die babylonischen Probleme der EU. Der zyprische Kulturetat ist knapp, die Hoffnungen der Einwohner auf Europa groß: Im griechischen Süden und im türkischen Norden wollen die Menschen die Wiedervereinigung der Insel, um dann unterm europäischen Dach ihre eigene Identität zu finden; die Schriftsteller der Insel halten die Sprachprobleme für sekundär. Bald wird auch ein arabisches Idiom in Straßburg gesprochen: "Malti". Mit der Aufnahme von Malta, demnächst kleinster EU-Staat, wird auch Maltesisch eine der offiziellen Amtssprachen.

Von Elke Heinemann |
    Malta und Zypern, zwei Inseln im westlichen Mittelmeer, Miniaturstaaten zwischen Europa, Vorderasien und Nordafrika, seit dem 9. Jahrtausend vor Christus besiedelt, seit der Antike geprägt durch die Kulturen wechselnder Besatzungsmächte aus Orient und Okzident. Erst seit wenigen Jahrzehnten eigenständig, gehören die ehemaligen britischen Kron-Kolonien ab dem 1. Mai dem Europäischen Staatenbund an. Trotz der geographischen Distanz zum Kontinent behaupten sich auf beiden Inseln landessprachliche Literaturszenen, die sich europäischen Dichtungstraditionen verpflichtet fühlt.

    Malta wurde im Verlauf seiner Geschichte von so vielen europäischen Zivilisationen, Kulturen, Nationen und Traditionen beeinflusst, dass wir uns als essentiell europäisch begreifen, wir fühlen uns dem europäischen Kontinent zugehörig, wir fühlen uns der Hauptströmung kultureller Ideen und Gedanken zugehörig, die aus Europa stammen, obwohl unsere Sprache natürlich semitisch ist, beeinflusst zwar vom Italienischen, Französischen, Spanischen und Englischen, aber grundsätzlich mit dem Arabischen verwandt, und die einzige Amtssprache ihrer Art in der Europäischen Gemeinschaft.

    Joe Friggieri, Dichter, Erzähler, Dramatiker, Professor für Philosophie an der Universität von Malta, einer der bekanntesten Autoren des winzigen Archipels zwischen Sizilien und Nordafrika. Seine poetischen Vorfahren begründeten Ende des 19. Jahrhunderts mit historischen Romanen die Literatur in der Landessprache, die zuvor als Idiom der unteren Klassen galt. Malti, die einzige arabische Sprache mit lateinischem Schriftbild, wurde bis zu diesem Zeitpunkt vom Italienischen und Englischen verdrängt, den Amtssprachen der Besatzer. Maltas neorealistische Gegenwartsdichtung liegt fast ausschließlich in der Landessprache vor, die nur von rund 400.000 Menschen gesprochen wird.

    Es wird große Vorteile für die Schriftsteller Maltas infolge der EU-Mitgliedschaft geben, vorausgesetzt, wir sind fähig, alle Möglichkeiten zu erkennen, die sich anbieten. Natürlich ist es ein wenig schwierig, genau zu sagen, welche Wege man beschreiten sollte. Aber theoretisch könnte es nun einfacher für maltesische Schriftsteller sein, in die großen Sprachen übersetzt zu werden.

    Tatsächlich gibt es nur wenige maltesische Texte in deutscher Übersetzung. Im Unterschied dazu findet man im Kölner Romiosini-Verlag Dramen, Lyrik und Prosa aus Zypern, das seit der türkischen Invasion im Sommer 1974 geteilt. Der nationale Schriftstellerverband, geleitet von dem Erzähler und Romancier Christos Chatzipapas, versucht, die Kooperation von Autoren der türkischen Besatzungszone im Nordteil der Insel und der freien Gebiete zu fördern.

    Gerade weil wir Literaten sind, haben wir uns trotz Invasion und Teilung weiter getroffen: Um uns eben nicht in politischen Verstrickungen zu verlieren, sondern um aufrecht zu bleiben, um die Wahrheit zu sagen, nämlich dass wir ein Volk sind. Nachdem sich jetzt die Reise- und Grenzbestimmungen etwas gelockert haben, ist es uns gelungen, eine Veranstaltung im Norden durchzuführen, zusammen mit jeweils zwei griechisch- und türkisch-zyprischen Schriftstellern. Und eine ähnliche Veranstaltung wurde im freien Gebiet, in Nikosia, ausgerichtet, auch mit jeweils zwei griechisch- und türkisch-zyprischen Dichtern.

    Gemeinsame Anthologien, Veranstaltungen, wechselseitige Übersetzungen bestimmen die Literaturszene Zyperns, die eine bis in die Antike zurückgehende griechischsprachige Tradition mit der jungen, durch die Kriegsereignisse geprägten türkischsprachigen Dichtung vereint. Ideale Voraussetzung für die EU-Mitgliedschaft der Insel wäre die Zyprische Gemeinschaft, für die auf dem P.E.N.-Kongress 2004 in Nikosia geworben wurde. Die Dichter sind den Politikern offenbar einen Schritt voraus auf dem europäischen Weg.