"Es ist einfach deprimierend zu sehen, ja, was habe ich denn nu heute eigentlich erreicht. Man redet sich den Mund fusselig, kann sich abends die Fusseln von den Lippen abschneiden, und man hat im Grunde genommen keinen erreicht."
Don David Schäfer schaut von seinem Balkon im dritten Stock auf den Platz direkt vor seinem Wohnhaus. Auf das Mosaik in der Mitte, in dem die Steinplatten fehlen, und auf die Bänke darum. Dort stehen Frauen und Männer Mitte 30 in einer großen Gruppe zusammen, mit Zigaretten und Bierflaschen in der Hand. Alltägliches Panorama für Don David Schäfer.
"Wenn die um Chorweiler eine Mauer ziehen könnten, dann wären die glücklich. Dann würden die sagen, da haben wir unser Hartz IV, und die anderen leben alle schön friedlich."
Die – das sind die mit festem Einkommen, meint der Arbeitslose, der sozial Schwache ehrenamtlich bei Rechtsfragen berät. Der große Grauhaarige mit dem tätowierten Papagei auf dem Oberarm ist bekannt in Chorweiler, einem Stadtteil von Köln. Für die Partei die Linke zieht er in Wahlkampfzeiten von Tür zu Tür.
In den Hochhausschluchten leben dicht an dicht 13.000 Menschen aus 220 Nationen. Die meisten – wie der 57-Jährige - von Hartz IV. Arm, abgehängt, meist ohne Chance: Eigentlich müsste der Stadtteil für Schäfers Partei eine Hochburg sein. Bei der Landtagswahl im Mai kamen die Linken in Chorweiler auf zehn Prozent der Stimmen, während sie auf Landesebene mit drei Prozent gnadenlos untergingen. Zehn Prozent klingt erst mal gut, doch 70 Prozent der Menschen in der Trabantenstadt geben ihre Stimme schon lange nicht mehr ab. Weder bei Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen. Der Nichtwähleranteil in Chorweiler ist erschreckend hoch. In welcher Wohnung gewählt wird und in welcher nicht, das sieht Schäfer an den Briefkästen, vor denen er sich im Erdgeschoss aufgebaut hat:
"Sie sehen jetzt hier ein großes Schild 'Reklameeinwurf' verboten. Sie sehen aber auch hier auf den Briefkästen ein Haufen Dreck an Ware, an Reklame. Und genau so sieht es aus mit dem Wahlmaterial, wenn alles damit voll liegt. Und dann kommt der böse Mann der Linken und sammelt den ganzen Kram ein."
Wahlkampf für die Mülltonne. Jedes Mal das Gleiche.
Eine deprimierende Angelegenheit, sagt er, und tritt vor die Haustür. Dort sitzen seine Nachbarn – allesamt Nichtwähler:
"Mann 1: Was bringt das, wenn ich wählen gehe, ich hab noch nie gewählt.
Mann 2: Das hier, das ist der Abschaum der Gesellschaft, und das dahinten ist die High Society der Gesellschaft. Es gibt keine Zwischenschicht mehr, entweder, es geht dir Scheiße oder es geht dir gut. Das ist die Asi-Schicht, wir haben unsere Probleme anders gelöst wie die. Wir gehen nicht hin und kaufen uns unsere Leute.
Frau: Jeder weiß schon jetzt, wer gewählt wird, das machen die untereinander.
Mann2 : Unnötig, uninteressant, für uns ist das uninteressant aus dem Grund, egal was wir machen, unsere Stimme zählt gar nichts: Aus dem Grund: hast du nichts, bist du nichts, hast du was, wird auch auf deine Stimme gehört."
Schäfer kennt die Sprüche. Er kennt die wütenden Wahlverweigerer, die müden, die nicht mehr daran glauben, dass ihre Stimme an ihrem Leben irgendetwas ändert. Der Alltag auf Hartz IV raubt Energie und Optimismus. Schäfer blickt zu seiner türkischen Nachbarin. Mit ihrem Mann – einem Kölner – wohnt sie seit 20 Jahren hier. Wählen sei sie noch nie gegangen, alles viel zu kompliziert:
"Ich weiß nicht, ob ich darf. Ich hab keine festen Papiere in Deutschland. Ok, ich bin verheiratet mit meinem Mann. Dann kann ich doch. Naja, ich hab Kopfschmerzen."
Die Nichtwähler: Bei der Bundestagswahl 2009 waren sie erstmals stärkste Kraft. Mehr als 18 Millionen Deutsche verweigerten die Stimmabgabe – das sind gut 30 Prozent aller Wahlberechtigten. 2005 lag der Nichtwähleranteil noch bei 22 Prozent. Der Nichtwähler ist kein unbekanntes Wesen, sagt Armin Schäfer. Für den Wissenschaftler am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ist klar, dass schlechte Ausbildung und Arbeitsmarktchancen immer mehr Menschen in die Wahlverweigerung treiben. Und doch ist es kein Unterschichten-Problem.
"Es gibt Nichtwähler in allen Gesellschaftsschichten, aber mit sehr unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit. Also, dass man selber einen kennt, einen Professor, der geht nicht wählen, dann ist es sicher richtig, dass es die gibt. Aber sie stellen sicher nicht das Gros der Nichtwähler. Sondern die Wahrscheinlichkeit zum Nichtwähler zu gehören, sind eben sehr unterschiedlich nach Einkommenspositionen, nach Bildung und anderen Faktoren."
Während in bürgerlichen Stadtteilen der Wähleranteil seit Jahrzehnten konstant bleibt, wird in sogenannten Problemvierteln mit hohem Migrantenanteil kaum noch gewählt, beobachtet Schäfer. Dort haben nur noch sehr wenige den Eindruck, dass eine Wahl das eigene Leben beeinflussen könnte. Besonders pessimistisch seien jüngere Menschen ohne Ausbildung. Der Wissenschaftler ist überzeugt, einen Nichtwähler zum Wähler zu machen, kostet Zeit und Geld:
"Es wäre schön, wenn man aus wissenschaftlicher Sicht sagen könnte: 'Ihr müsst nur die drei Sachen verändern, und schon ist das Problem gelöst.' Leider reden wir aber über Sachen, die sich über 30 Jahre hinweg verfestigt haben, wo die Unterschiede immer größer geworden sind. Und man kann dann nicht damit rechnen, dass man in ein, zwei Jahren wieder verändert. Die zugrunde liegenden sozialen Probleme sind so tief greifend, dass es tatsächlich eine riesige Aufgabe wäre, daran etwas zu ändern."
Schnelle einfache Lösungen: Die kennt auch Sozialberater Don-David Schäfer nicht. Und trotzdem: Wie jeden Tag wird er seinen Nachbarn auch morgen wieder in den Ohren liegen, nicht mehr den Kopf einzuziehen und desinteressiert zu sein – sondern bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr die Stimme abzugeben. Wenn möglich für die Linke, denn für die macht Schäfer Wahlkampf. Natürlich weiß er, dass er gegen Windmühlen kämpft. Doch auch bei der Konkurrenz – der SPD – sieht es nicht besser aus:
"Da müsste ich mehrere Arme haben, da müsste ich Tentakeln haben, denn ich würde die gerne oft schütteln. Weil sie einfach mal verstehen müssen: Wenn sie nicht den Mund aufmachen und für ihre Sache eintreten, dann wird sich nie was ändern."
Don David Schäfer schaut von seinem Balkon im dritten Stock auf den Platz direkt vor seinem Wohnhaus. Auf das Mosaik in der Mitte, in dem die Steinplatten fehlen, und auf die Bänke darum. Dort stehen Frauen und Männer Mitte 30 in einer großen Gruppe zusammen, mit Zigaretten und Bierflaschen in der Hand. Alltägliches Panorama für Don David Schäfer.
"Wenn die um Chorweiler eine Mauer ziehen könnten, dann wären die glücklich. Dann würden die sagen, da haben wir unser Hartz IV, und die anderen leben alle schön friedlich."
Die – das sind die mit festem Einkommen, meint der Arbeitslose, der sozial Schwache ehrenamtlich bei Rechtsfragen berät. Der große Grauhaarige mit dem tätowierten Papagei auf dem Oberarm ist bekannt in Chorweiler, einem Stadtteil von Köln. Für die Partei die Linke zieht er in Wahlkampfzeiten von Tür zu Tür.
In den Hochhausschluchten leben dicht an dicht 13.000 Menschen aus 220 Nationen. Die meisten – wie der 57-Jährige - von Hartz IV. Arm, abgehängt, meist ohne Chance: Eigentlich müsste der Stadtteil für Schäfers Partei eine Hochburg sein. Bei der Landtagswahl im Mai kamen die Linken in Chorweiler auf zehn Prozent der Stimmen, während sie auf Landesebene mit drei Prozent gnadenlos untergingen. Zehn Prozent klingt erst mal gut, doch 70 Prozent der Menschen in der Trabantenstadt geben ihre Stimme schon lange nicht mehr ab. Weder bei Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen. Der Nichtwähleranteil in Chorweiler ist erschreckend hoch. In welcher Wohnung gewählt wird und in welcher nicht, das sieht Schäfer an den Briefkästen, vor denen er sich im Erdgeschoss aufgebaut hat:
"Sie sehen jetzt hier ein großes Schild 'Reklameeinwurf' verboten. Sie sehen aber auch hier auf den Briefkästen ein Haufen Dreck an Ware, an Reklame. Und genau so sieht es aus mit dem Wahlmaterial, wenn alles damit voll liegt. Und dann kommt der böse Mann der Linken und sammelt den ganzen Kram ein."
Wahlkampf für die Mülltonne. Jedes Mal das Gleiche.
Eine deprimierende Angelegenheit, sagt er, und tritt vor die Haustür. Dort sitzen seine Nachbarn – allesamt Nichtwähler:
"Mann 1: Was bringt das, wenn ich wählen gehe, ich hab noch nie gewählt.
Mann 2: Das hier, das ist der Abschaum der Gesellschaft, und das dahinten ist die High Society der Gesellschaft. Es gibt keine Zwischenschicht mehr, entweder, es geht dir Scheiße oder es geht dir gut. Das ist die Asi-Schicht, wir haben unsere Probleme anders gelöst wie die. Wir gehen nicht hin und kaufen uns unsere Leute.
Frau: Jeder weiß schon jetzt, wer gewählt wird, das machen die untereinander.
Mann2 : Unnötig, uninteressant, für uns ist das uninteressant aus dem Grund, egal was wir machen, unsere Stimme zählt gar nichts: Aus dem Grund: hast du nichts, bist du nichts, hast du was, wird auch auf deine Stimme gehört."
Schäfer kennt die Sprüche. Er kennt die wütenden Wahlverweigerer, die müden, die nicht mehr daran glauben, dass ihre Stimme an ihrem Leben irgendetwas ändert. Der Alltag auf Hartz IV raubt Energie und Optimismus. Schäfer blickt zu seiner türkischen Nachbarin. Mit ihrem Mann – einem Kölner – wohnt sie seit 20 Jahren hier. Wählen sei sie noch nie gegangen, alles viel zu kompliziert:
"Ich weiß nicht, ob ich darf. Ich hab keine festen Papiere in Deutschland. Ok, ich bin verheiratet mit meinem Mann. Dann kann ich doch. Naja, ich hab Kopfschmerzen."
Die Nichtwähler: Bei der Bundestagswahl 2009 waren sie erstmals stärkste Kraft. Mehr als 18 Millionen Deutsche verweigerten die Stimmabgabe – das sind gut 30 Prozent aller Wahlberechtigten. 2005 lag der Nichtwähleranteil noch bei 22 Prozent. Der Nichtwähler ist kein unbekanntes Wesen, sagt Armin Schäfer. Für den Wissenschaftler am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ist klar, dass schlechte Ausbildung und Arbeitsmarktchancen immer mehr Menschen in die Wahlverweigerung treiben. Und doch ist es kein Unterschichten-Problem.
"Es gibt Nichtwähler in allen Gesellschaftsschichten, aber mit sehr unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit. Also, dass man selber einen kennt, einen Professor, der geht nicht wählen, dann ist es sicher richtig, dass es die gibt. Aber sie stellen sicher nicht das Gros der Nichtwähler. Sondern die Wahrscheinlichkeit zum Nichtwähler zu gehören, sind eben sehr unterschiedlich nach Einkommenspositionen, nach Bildung und anderen Faktoren."
Während in bürgerlichen Stadtteilen der Wähleranteil seit Jahrzehnten konstant bleibt, wird in sogenannten Problemvierteln mit hohem Migrantenanteil kaum noch gewählt, beobachtet Schäfer. Dort haben nur noch sehr wenige den Eindruck, dass eine Wahl das eigene Leben beeinflussen könnte. Besonders pessimistisch seien jüngere Menschen ohne Ausbildung. Der Wissenschaftler ist überzeugt, einen Nichtwähler zum Wähler zu machen, kostet Zeit und Geld:
"Es wäre schön, wenn man aus wissenschaftlicher Sicht sagen könnte: 'Ihr müsst nur die drei Sachen verändern, und schon ist das Problem gelöst.' Leider reden wir aber über Sachen, die sich über 30 Jahre hinweg verfestigt haben, wo die Unterschiede immer größer geworden sind. Und man kann dann nicht damit rechnen, dass man in ein, zwei Jahren wieder verändert. Die zugrunde liegenden sozialen Probleme sind so tief greifend, dass es tatsächlich eine riesige Aufgabe wäre, daran etwas zu ändern."
Schnelle einfache Lösungen: Die kennt auch Sozialberater Don-David Schäfer nicht. Und trotzdem: Wie jeden Tag wird er seinen Nachbarn auch morgen wieder in den Ohren liegen, nicht mehr den Kopf einzuziehen und desinteressiert zu sein – sondern bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr die Stimme abzugeben. Wenn möglich für die Linke, denn für die macht Schäfer Wahlkampf. Natürlich weiß er, dass er gegen Windmühlen kämpft. Doch auch bei der Konkurrenz – der SPD – sieht es nicht besser aus:
"Da müsste ich mehrere Arme haben, da müsste ich Tentakeln haben, denn ich würde die gerne oft schütteln. Weil sie einfach mal verstehen müssen: Wenn sie nicht den Mund aufmachen und für ihre Sache eintreten, dann wird sich nie was ändern."