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Die Nisman-Affäre
Ruf nach Gerechtigkeit

Der Staatsanwalt Alberto Nisman wollte eines der blutigsten antisemitischen Verbrechen seit Ende des Zweiten Weltkriegs aufklären: das Attentat auf die jüdische AMIA-Gemeinde in Buenos Aires 1994. Jetzt kam er unter mysteriösen Umständen ums Leben. Alberto Nisman war selbst Mitglied der AMIA-Gemeinde.

    Demonstranten in Buenos Aires fordern die Aufklärung des Todes von Staatsanwalt Alberto Nisman.
    Demonstranten in Buenos Aires fordern die Aufklärung des Todes von Staatsanwalt Alberto Nisman. (AFP / Alejandro Pagni)
    "Alberto Nisman ist unter uns!", skandiert eine Menschenmasse vor dem jüdischen Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires. Nisman, der Sonder-Staatsanwalt, der im Fall des schweren Terroranschlages gegen die AMIA im Jahr 1994 ermittelte und dabei Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner beschuldigte, die Ermittlungen zu behindern. Er starb durch einen Kopfschuss, einen Tag bevor er im Kongress Beweise für seine Anklage vorlegen sollte. Julio Schlosser, Präsident der jüdischen Dachorganisation von Argentinien DAIA, bezeichnete Nisman in diesen Tagen als 86. Opfer der AMIA:
    "Es ist notwendig, dass die Staatsanwälte Nismans Arbeit nun fortsetzen. Wir werden nicht erlauben, dass noch mal ein Staatsanwalt stirbt, wir werden nicht erlauben, dass man sie verfolgt. Deswegen haben sich heute so viele hier versammelt: Die Menschen haben genug. Sie wollen Gerechtigkeit."
    DNA-Spuren deuten im Fall Nisman auf Suizid hin, doch das glaubt hier bei der jüdischen Gemeinde kaum einer, für viele ist Nisman, der selbst Jude ist, eine Art Märtyrer. Der sterben musste, weil er den Mächtigen zu nahe kam:
    "Ich glaube, sie haben ihn umgebracht, oder zum Selbstmord gedrängt. Und dafür trägt die Regierung die Verantwortung."
    "Es ist eine schwere Bürde, dass all das passierte, kurz bevor er aussagen wollte, das wirft Zweifel auf."
    Drahtzieher des AMIA-Anschlags immer noch unbekannt
    Der Anschlag von 1994 ist eines der blutigsten antisemitischen Attentate außerhalb Israels seit Ende des Zweiten Weltkrieges, aufgeklärt ist er bis heute nicht. Spuren führen nach Syrien und in den Iran, sehr wahrscheinlich stecken Terroristen der Hisbollah dahinter. Der 2005 eingesetzte Sonderstaatsanwalt warf der Regierung Kirchner vor, mit Teheran zu paktieren, um mutmaßliche iranische Hintermänner aus der Schusslinie zu nehmen, darunter ranghohe Politiker. Im Austausch solle das kriselnde Argentinien Öllieferungen erhalten. Er war tot bevor er diese Vorwürfe im Kongress vorbringen konnte, seine Anklageschrift ist nun einsehbar. Ob sie Licht in dieses dunkle Kapitel bringt? Diana Malamud zweifelt daran, sie ist Vorsitzende von Memoria Activa, einer Vereinigung von AMIA-Opfern. Nismans Tod hat auch sie geschockt, doch sie hält den Sonderstaatsanwalt nicht für einen Märtyrer:
    "Für mich hat Nismans Anklage kein solides Fundament, keine juristisch zulässigen Beweise, er beruft sich vornehmlich auf geheimdienstliches Abhörmaterial. Ich glaube, dass die gesamte Affäre Nisman mit politischen Machtkämpfen zu tun hat, vielleicht ist es sogar ein Komplott gegen die Regierung, wer weiß. Seit fast 21 Jahren warten wir auf Aufklärung im Fall AMIA und nun wird er erneut für andere Interessen missbraucht, die nicht der Wahrheitsfindung dienen. Das macht einen wütend."
    "Wir wollen die Wahrheit"
    Die Affäre Nisman spaltet auch die rund 250 000 Seelen starke jüdische Gemeinde in Argentinien. Auch weil die Ermittlungen zum Fall AMIA selbst von Beginn an einem Verwirrspiel glichen. Beweise verschwanden, falsche Fährten wurden gelegt. Nicht nur die Politik und Justiz mischte mit, auch mafiöse Netzwerke in den Geheimdiensten. Daran habe sich seitdem nur wenig geändert, sagt Diana Malamud:
    "In Argentinien herrschte lange Jahre eine absolute Straflosigkeit. Man konnte die schmutzigsten Dinge tun, ohne Konsequenzen zu fürchten. Unser Geheimdienst stammt noch aus Diktaturzeiten, unser Justizapparat ist größtenteils korrupt ist, sich von den jeweiligen Regierungen genauso kaufen lässt wie von der Opposition. Der Fall AMIA ist ein Musterbeispiel dafür."
    Trotz aller Meinungsunterschiede: Die Affäre Nisman darf kein neues Kapitel in einer bereits viel zu langandauernden Geschichte aus Vertuschungen werden, dabei ist sich die jüdische Gemeinde einig. Leonardo Jmlenitsky, Präsident des Gemeindezentrums AMIA fordert:
    "Wir wollen keine Undurchsichtigkeiten mehr, keine Gerüchte, keine Verschwörungstheorien, wir wollen die Wahrheit."