"Volksgenossen, Parteigenossen! Eben das war unser Fehler! Dass wir uns die Kolonien haben wegnehmen lassen wie ein schönes Dekorationsstück, das gut zu haben ist, das man aber auch entbehren kann, wenn es eben nicht anders geht!"
Franz Xaver Ritter von Epp auf einer "Kolonialkundgebung" in Köln im Mai 1939. Von Epp gilt als eine Schlüsselfigur der deutschen Kolonialbewegung. Vor dem ersten Weltkrieg war der Berufssoldat beteiligt an der Niederschlagung des "Boxeraufstandes" in China und an der Niederwerfung der Herero in "Deutsch-Südwestafrika", dem heutigen Namibia. Als Deutschland im Friedensvertrag von Versailles seine Kolonien abtreten musste, gehörte von Epp zu den entschiedensten Widersachern. 1928 trat er der NSDAP bei. Als Chef des "Reichskolonialbundes" wurde er nach 1936 zum Transmissionsriemen zwischen NSDAP und Kolonialfanatikern.
Es ist wenig bekannt, dass während der nationalsozialistischen Diktatur sehr konkrete Pläne für die Wiedererringung des deutschen Kolonialbesitzes, vor allem in Afrika, geschmiedet wurden. Wie sich die braunen Machthaber ein künftiges "Mittelafrika" unter NS-Knute vorstellten, schildert Karsten Linne in seinem Buch "Deutschland jenseits des Äquators?" Ziel der nazi-deutschen Kolonialpolitik, so der Hamburger Historiker, sei im Unterschied zu den Eroberungsfeldzügen Richtung Osten, nicht die Gewinnung von Lebensraum gewesen.
"Man kann klar sagen, dass die in dem Titel des Buchs anklingende Frage, ob es um eine Massensiedlung in Afrika gehen sollte, von den allermeisten Nationalsozialisten verneint wurde. Die meisten gingen davon aus, dass die Kolonien der wirtschaftlichen Ergänzung Deutschlands dienen sollten, dass eben keine Massen an Deutschen dort siedeln sollten, sondern lediglich eine kleine Herrenschicht, unter der dann die afrikanischen Arbeiter die Rohstoffe zu produzieren hätten."
Vor allem Tropenholz, Erze, Kautschuk, Sisal und pflanzliche Fette, also zum Beispiel Ölpalmen und Erdnüsse, sollten die künftigen Kolonien dem darbenden Reich liefern. Mit den vier ehemaligen, zersplitterten deutschen Kolonien Ostafrika, Südwestafrika, Togo und Kamerun geben sich die NS-Strategen freilich nicht zufrieden. Auf Kosten des portugiesischen, belgischen und französischen Kolonialbesitzes sollte ein riesiges "Mittelafrika" unter dem Hakenkreuz entstehen. Ab Mitte der 30-er Jahre bis in die letzten Kriegsjahre werkelt ein vielköpfiger Stab mit deutscher Gründlichkeit, darunter viele Experten mit Kolonialerfahrung, an Vorschriften für Verwaltung und Recht der Kolonien in spe. Polizeibeamte können sich sofort zu einem "Kolonial-Sonderkurs" melden, man entwirft schmucke tropenfeste Häuser für Kolonialbeamte und rechnet schon mal hoch, dass das künftige Reichs-Kolonialministerium in Berlin einen Raumbedarf von 500 bis 600 Zimmern hat. Auch die Rolle der schwarzen Bevölkerung steht fest, längst bevor daran gedacht werden kann, die Hakenkreuzflagge auf "mittelafrikanischem" Boden zu hissen.
"Der Rassismus war die Matrix, war die Vorgabe, und gleichzeitig auch das spezifische Kennzeichen der nationalsozialistischen Kolonialplanung. Also es gab eine ganz klare rassische Hierarchie, bei der die Deutschen die Herrenschicht gebildet hätten und die Afrikaner eben die billigen Arbeitskräfte."
Nach dem Vorbild der Nürnberger Rassegesetze lassen sich die Planer 1940 ein "Kolonialblutschutzgesetz" einfallen, das Ehen und Geschlechtsverkehr zwischen Weißen und Schwarzen unter schwerste Strafen stellt. All diese Überlegungen waren allerdings nichts anderes als Sandkastenspiele: Es gab keine deutschen Besitzungen in Afrika, denen man die nationalsozialistische Zwangsjacke hätte überstülpen können. Hitler selber war kein Kolonialenthusiast, der fremde Boden, den das "Volk ohne Raum" an sich reißen sollte, lag für ihn im Osten. Das wirft die Frage nach der Relevanz und der Ernsthaftigkeit der NS-Kolonialplanungen auf, die doch immerhin - mit Wissen und Unterstützung der Reichskanzlei, der Wehrmacht und nicht zuletzt auch der Kaufmannschaft in den Hansestädten - eine Heerschar von Beamten und Wissenschaftlern auf Trapp hielt. Karsten Linne weist mit Recht darauf hin, dass für einen kurzen Zeitraum die Kolonialplanungen in blutige Taten hätten umschlagen können. Das war nach den siegreichen "Blitzkriegen" gegen die Niederlande, Belgien und Frankreich Mitte 1940. Damit rückte die Einverleibung des belgischen und französischen Kolonialbesitzes in Afrika in den Bereich des Denkbaren. Das zeigt sich exemplarisch am so genannten ungeheuerlichen "Madagaskar-Projekt": Eine Zeitlang spielte der Nationalsozialismus mit der Idee, die Juden Europas auf die französische Insel Madagaskar zwangsumzusiedeln. War das ein bloßer Propagandacoup?
"Es war auf jeden Fall eine ernsthafte Überlegung, die allerdings nur kurze Zeit Relevanz hatte, da Großbritannien nicht die Waffen streckte und nicht besiegt werden konnte. Bei gleichzeitigem Weiterbestehen der britischen Seeherrschaft war natürlich klar, dass man nicht mit Tausenden von Schiffen nach Madagaskar würde fahren können. Gleichwohl ist der Madagaskar-Plan natürlich eine wichtige Etappe auf dem Weg hin zum Holocaust."
Leider behandelt Karsten Linne das "Madagaskar-Projekt", das spätestens mit der berüchtigten Wannsee-Konferenz im Januar 1942 zu den Akten gelegt wurde, nur am Rande. Eine abschließende Gewichtung der kolonialen Ambitionen des Nationalsozialismus ist schwierig, zumal Hitler in dieser Frage schwankte.
"Im nachhinein kann es ja so erscheinen, als wenn Hitler von vorne herein auf einen Krieg mit der Sowjetunion fixiert war. Dem steht entgegen, dass beispielsweise 1940, noch vor dem Waffenstillstand, Epp aufgefordert wurde, konkrete Kolonialplanungen für die Kolonialverwaltung vorzulegen und sämtliche Reichsstellen von Lammers, dem Leiter der Reichskanzlei, dazu aufgefordert wurden, Epp in diesem Bemühen zu unterstützen."
Mit seiner Untersuchung hat Karsten Linne einen bisher oft vernachlässigten Aspekt nationalsozialistischen Expansionsstrebens in den Mittelpunkt gerückt. Er kann überzeugend belegen, dass zumindest bis zum Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 die Wiedergewinnung der deutschen Kolonien in Afrika ein durchaus ernst gemeintes Ziel war.
Karsten Linne: Deutschland jenseits des Äquators? Die NS-Kolonialplanungen für Afrika. Das Buch ist im Ch. Links Verlag erschienen, ist 216 Seiten stark und kostet 24 Euro 90. Unser Rezensent war Günter Beyer.
Franz Xaver Ritter von Epp auf einer "Kolonialkundgebung" in Köln im Mai 1939. Von Epp gilt als eine Schlüsselfigur der deutschen Kolonialbewegung. Vor dem ersten Weltkrieg war der Berufssoldat beteiligt an der Niederschlagung des "Boxeraufstandes" in China und an der Niederwerfung der Herero in "Deutsch-Südwestafrika", dem heutigen Namibia. Als Deutschland im Friedensvertrag von Versailles seine Kolonien abtreten musste, gehörte von Epp zu den entschiedensten Widersachern. 1928 trat er der NSDAP bei. Als Chef des "Reichskolonialbundes" wurde er nach 1936 zum Transmissionsriemen zwischen NSDAP und Kolonialfanatikern.
Es ist wenig bekannt, dass während der nationalsozialistischen Diktatur sehr konkrete Pläne für die Wiedererringung des deutschen Kolonialbesitzes, vor allem in Afrika, geschmiedet wurden. Wie sich die braunen Machthaber ein künftiges "Mittelafrika" unter NS-Knute vorstellten, schildert Karsten Linne in seinem Buch "Deutschland jenseits des Äquators?" Ziel der nazi-deutschen Kolonialpolitik, so der Hamburger Historiker, sei im Unterschied zu den Eroberungsfeldzügen Richtung Osten, nicht die Gewinnung von Lebensraum gewesen.
"Man kann klar sagen, dass die in dem Titel des Buchs anklingende Frage, ob es um eine Massensiedlung in Afrika gehen sollte, von den allermeisten Nationalsozialisten verneint wurde. Die meisten gingen davon aus, dass die Kolonien der wirtschaftlichen Ergänzung Deutschlands dienen sollten, dass eben keine Massen an Deutschen dort siedeln sollten, sondern lediglich eine kleine Herrenschicht, unter der dann die afrikanischen Arbeiter die Rohstoffe zu produzieren hätten."
Vor allem Tropenholz, Erze, Kautschuk, Sisal und pflanzliche Fette, also zum Beispiel Ölpalmen und Erdnüsse, sollten die künftigen Kolonien dem darbenden Reich liefern. Mit den vier ehemaligen, zersplitterten deutschen Kolonien Ostafrika, Südwestafrika, Togo und Kamerun geben sich die NS-Strategen freilich nicht zufrieden. Auf Kosten des portugiesischen, belgischen und französischen Kolonialbesitzes sollte ein riesiges "Mittelafrika" unter dem Hakenkreuz entstehen. Ab Mitte der 30-er Jahre bis in die letzten Kriegsjahre werkelt ein vielköpfiger Stab mit deutscher Gründlichkeit, darunter viele Experten mit Kolonialerfahrung, an Vorschriften für Verwaltung und Recht der Kolonien in spe. Polizeibeamte können sich sofort zu einem "Kolonial-Sonderkurs" melden, man entwirft schmucke tropenfeste Häuser für Kolonialbeamte und rechnet schon mal hoch, dass das künftige Reichs-Kolonialministerium in Berlin einen Raumbedarf von 500 bis 600 Zimmern hat. Auch die Rolle der schwarzen Bevölkerung steht fest, längst bevor daran gedacht werden kann, die Hakenkreuzflagge auf "mittelafrikanischem" Boden zu hissen.
"Der Rassismus war die Matrix, war die Vorgabe, und gleichzeitig auch das spezifische Kennzeichen der nationalsozialistischen Kolonialplanung. Also es gab eine ganz klare rassische Hierarchie, bei der die Deutschen die Herrenschicht gebildet hätten und die Afrikaner eben die billigen Arbeitskräfte."
Nach dem Vorbild der Nürnberger Rassegesetze lassen sich die Planer 1940 ein "Kolonialblutschutzgesetz" einfallen, das Ehen und Geschlechtsverkehr zwischen Weißen und Schwarzen unter schwerste Strafen stellt. All diese Überlegungen waren allerdings nichts anderes als Sandkastenspiele: Es gab keine deutschen Besitzungen in Afrika, denen man die nationalsozialistische Zwangsjacke hätte überstülpen können. Hitler selber war kein Kolonialenthusiast, der fremde Boden, den das "Volk ohne Raum" an sich reißen sollte, lag für ihn im Osten. Das wirft die Frage nach der Relevanz und der Ernsthaftigkeit der NS-Kolonialplanungen auf, die doch immerhin - mit Wissen und Unterstützung der Reichskanzlei, der Wehrmacht und nicht zuletzt auch der Kaufmannschaft in den Hansestädten - eine Heerschar von Beamten und Wissenschaftlern auf Trapp hielt. Karsten Linne weist mit Recht darauf hin, dass für einen kurzen Zeitraum die Kolonialplanungen in blutige Taten hätten umschlagen können. Das war nach den siegreichen "Blitzkriegen" gegen die Niederlande, Belgien und Frankreich Mitte 1940. Damit rückte die Einverleibung des belgischen und französischen Kolonialbesitzes in Afrika in den Bereich des Denkbaren. Das zeigt sich exemplarisch am so genannten ungeheuerlichen "Madagaskar-Projekt": Eine Zeitlang spielte der Nationalsozialismus mit der Idee, die Juden Europas auf die französische Insel Madagaskar zwangsumzusiedeln. War das ein bloßer Propagandacoup?
"Es war auf jeden Fall eine ernsthafte Überlegung, die allerdings nur kurze Zeit Relevanz hatte, da Großbritannien nicht die Waffen streckte und nicht besiegt werden konnte. Bei gleichzeitigem Weiterbestehen der britischen Seeherrschaft war natürlich klar, dass man nicht mit Tausenden von Schiffen nach Madagaskar würde fahren können. Gleichwohl ist der Madagaskar-Plan natürlich eine wichtige Etappe auf dem Weg hin zum Holocaust."
Leider behandelt Karsten Linne das "Madagaskar-Projekt", das spätestens mit der berüchtigten Wannsee-Konferenz im Januar 1942 zu den Akten gelegt wurde, nur am Rande. Eine abschließende Gewichtung der kolonialen Ambitionen des Nationalsozialismus ist schwierig, zumal Hitler in dieser Frage schwankte.
"Im nachhinein kann es ja so erscheinen, als wenn Hitler von vorne herein auf einen Krieg mit der Sowjetunion fixiert war. Dem steht entgegen, dass beispielsweise 1940, noch vor dem Waffenstillstand, Epp aufgefordert wurde, konkrete Kolonialplanungen für die Kolonialverwaltung vorzulegen und sämtliche Reichsstellen von Lammers, dem Leiter der Reichskanzlei, dazu aufgefordert wurden, Epp in diesem Bemühen zu unterstützen."
Mit seiner Untersuchung hat Karsten Linne einen bisher oft vernachlässigten Aspekt nationalsozialistischen Expansionsstrebens in den Mittelpunkt gerückt. Er kann überzeugend belegen, dass zumindest bis zum Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 die Wiedergewinnung der deutschen Kolonien in Afrika ein durchaus ernst gemeintes Ziel war.
Karsten Linne: Deutschland jenseits des Äquators? Die NS-Kolonialplanungen für Afrika. Das Buch ist im Ch. Links Verlag erschienen, ist 216 Seiten stark und kostet 24 Euro 90. Unser Rezensent war Günter Beyer.