Unser heutiger Essay "Die Oper, die Massen und die Politik" geht dieser Frage nach. Er untersucht die politischen Bezüge im Leben und Werk des Komponisten sowie die Affinitäten Mussolinis zur Kunst.
Autor ist Albrecht Betz. Er lehrt Literaturgeschichte in Aachen und Paris. 2002 gab er das Buch "Französisches Pathos. Selbstdarstellung und Selbstinszenierung" heraus. Bei Essay und Diskurs untersuchte Betz unter anderem die ideologischen Varianten eines "neuen Menschen" im 20. Jahrhundert.
"Damals waren viele Italiener von Mussolinis Charme geblendet. Sie akzeptierten die Umstände einfach und hingen staunend an seinen Lippen - ohne zu verstehen, was sich da abspielte..."
... erinnert sich der heute 90-jährige Regisseur Franco Zeffirelli. Seinen im Florenz der 30er-Jahre spielenden, weithin autobiografischen Film "Tee mit Mussolini" stattete er ebenso opulent aus wie seine vorausgegangenen Verdi-Verfilmungen "La Traviata" und "Otello". Zwei Opern, die zum Innersten der italianità gehören; dies, obwohl ihre Sujets "von außen" bezogen wurden: "La Traviata" geht zurück auf die "Kameliendame" von Alexandre Dumas, der eine Pariser Edelkokotte zur Romanheldin erhoben hatte; dem Otello wiederum liegt der "Kaufmann von Venedig" zugrunde. Shakespeare - und dann Schiller - waren Verdis bevorzugte Dramatiker.
Der Gefangenenchor aus Nabucco trat einmal Mitte der 1930-er Jahre in Anwesenheit des Duce unter dem Dirigat des Komponisten Pietro Mascagni vor 7000 Arbeitern des Dopolavoro, der italienischen Kraft-durch-Freude-Bewegung, auf.
Der charismatische Führer und das Volk als Gefolge: Er ist zugleich das Idol über ihnen und einer von ihnen. Die Musik erreicht alle: Sie steigert das Gefühl des Dazugehörens, der unverbrüchlichen Gemeinschaft; sie funktioniert als emotionaler Verstärker von, wie es scheint, ursprünglicher Kraft. Das Schlussbild der Wochenschau: Jubel der Massen, ein Beifall spendender Duce und ein devot den römischen Gruß entbietender Dirigent.
Dass Verdis Gefangenenchor beinahe der Rang der eigentlichen italienischen Nationalhymne zuwuchs, ist nicht zu trennen von der Zeit seiner Entstehung: dem Italien unter österreichischer Besatzung. So wie in der 1842 uraufgeführten Oper - Nabucco gleich Nebukadnezar, König der Babylonier - die Israeliten ihre babylonische Gefangenschaft beklagen, so schienen die Italiener unter dem Joch der Habsburger und Bourbonen zu leiden. Die Klage, zugleich Trost und indirekter Appell, die Fremdherrschaft nicht ewig zu dulden.
Das Libretto stammte von Solera, dem Hausdichter der Mailänder Scala; die Zeile, die Verdi inspiriert hatte, lautete: "Va, pensiero, sull'ali dorate - Erhebe dich, Gedanke, auf goldenen Flügeln". Und noch eine weitere Zeile hatte Signalwirkung: "Oh mia patria si bella e perduta! - Mein Vaterland, so schön und so verloren!" Das konnte verstanden werden als Blick zurück in eine Vergangenheit italienischer, gar römischer Größe: wiederzugewinnen in künftiger Zeit. Diese künftige Zeit mit einem diktatorischen Kraftakt in die Gegenwart vorzuziehen sollte sich später der Duce - siehe Wochenschau - mit imperatorischer Geste vornehmen.
Autor ist Albrecht Betz. Er lehrt Literaturgeschichte in Aachen und Paris. 2002 gab er das Buch "Französisches Pathos. Selbstdarstellung und Selbstinszenierung" heraus. Bei Essay und Diskurs untersuchte Betz unter anderem die ideologischen Varianten eines "neuen Menschen" im 20. Jahrhundert.
"Damals waren viele Italiener von Mussolinis Charme geblendet. Sie akzeptierten die Umstände einfach und hingen staunend an seinen Lippen - ohne zu verstehen, was sich da abspielte..."
... erinnert sich der heute 90-jährige Regisseur Franco Zeffirelli. Seinen im Florenz der 30er-Jahre spielenden, weithin autobiografischen Film "Tee mit Mussolini" stattete er ebenso opulent aus wie seine vorausgegangenen Verdi-Verfilmungen "La Traviata" und "Otello". Zwei Opern, die zum Innersten der italianità gehören; dies, obwohl ihre Sujets "von außen" bezogen wurden: "La Traviata" geht zurück auf die "Kameliendame" von Alexandre Dumas, der eine Pariser Edelkokotte zur Romanheldin erhoben hatte; dem Otello wiederum liegt der "Kaufmann von Venedig" zugrunde. Shakespeare - und dann Schiller - waren Verdis bevorzugte Dramatiker.
Der Gefangenenchor aus Nabucco trat einmal Mitte der 1930-er Jahre in Anwesenheit des Duce unter dem Dirigat des Komponisten Pietro Mascagni vor 7000 Arbeitern des Dopolavoro, der italienischen Kraft-durch-Freude-Bewegung, auf.
Der charismatische Führer und das Volk als Gefolge: Er ist zugleich das Idol über ihnen und einer von ihnen. Die Musik erreicht alle: Sie steigert das Gefühl des Dazugehörens, der unverbrüchlichen Gemeinschaft; sie funktioniert als emotionaler Verstärker von, wie es scheint, ursprünglicher Kraft. Das Schlussbild der Wochenschau: Jubel der Massen, ein Beifall spendender Duce und ein devot den römischen Gruß entbietender Dirigent.
Dass Verdis Gefangenenchor beinahe der Rang der eigentlichen italienischen Nationalhymne zuwuchs, ist nicht zu trennen von der Zeit seiner Entstehung: dem Italien unter österreichischer Besatzung. So wie in der 1842 uraufgeführten Oper - Nabucco gleich Nebukadnezar, König der Babylonier - die Israeliten ihre babylonische Gefangenschaft beklagen, so schienen die Italiener unter dem Joch der Habsburger und Bourbonen zu leiden. Die Klage, zugleich Trost und indirekter Appell, die Fremdherrschaft nicht ewig zu dulden.
Das Libretto stammte von Solera, dem Hausdichter der Mailänder Scala; die Zeile, die Verdi inspiriert hatte, lautete: "Va, pensiero, sull'ali dorate - Erhebe dich, Gedanke, auf goldenen Flügeln". Und noch eine weitere Zeile hatte Signalwirkung: "Oh mia patria si bella e perduta! - Mein Vaterland, so schön und so verloren!" Das konnte verstanden werden als Blick zurück in eine Vergangenheit italienischer, gar römischer Größe: wiederzugewinnen in künftiger Zeit. Diese künftige Zeit mit einem diktatorischen Kraftakt in die Gegenwart vorzuziehen sollte sich später der Duce - siehe Wochenschau - mit imperatorischer Geste vornehmen.
Italiens Sehnsucht nach politischer Selbstbestimmung
Der triumphale Mailänder Erfolg des Nabucco hatte sich in den europäischen Hauptstädten der 1840er-Jahre fortgesetzt; die jeweils eigenen feudalen Regime mit ihren parasitären Adelsprivilegien wurden vom bürgerlichen Opernpublikum mehr und mehr als Systeme der Unterdrückung wahrgenommen. Sie seien abzuschütteln - als längst von der Geschichte überholt. In Italien blieb Verdis Engagement, wenn auch später mythisiert, mit dem Geist des Risorgimento verbunden: dem Erringen nationaler Einheit, politischer Mündigkeit und Selbstbestimmung.
Mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs und den anschließenden Korrekturen auf der europäischen Landkarte hatte sich in Italien die Überzeugung verbreitet, vom Sieg ausgeschlossen worden zu sein als - gleichsam auf den Scherben sitzender - "Kuli der Nationen". Ein ungerechtes Urteil der Geschichte, das einer massiven Revision bedürfe. Die deutsche Parallele war die vom Land, das - obwohl "im Felde unbesiegt" - nun in den "Ketten von Versailles" schmachte, inakzeptabel und unverdient.
Demagogen beider Länder attackierten mit diesem Schicksal zugleich die Staatsform der westlichen Siegermächte. Republik, Demokratie, Parlamentarismus und Parteienstaat wurden von der extrem rechten Propaganda als Schimpfworte verwendet. Dieser unerwünschte Import sei politisch wesensfremd, nicht geerdet, ohne Verbindung mit dem Boden oder der Scholle des Landes und denen, die seit Generationen von ihr lebten. Es war ein Mix von Abwehrhaltungen und einer vagen Sehnsucht nach Größe, zugleich rückwärts und vorwärts gewandt, der breite Schichten in beiden Ländern für unterschiedliche Spielarten des Faschismus empfänglich machte.
Mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs und den anschließenden Korrekturen auf der europäischen Landkarte hatte sich in Italien die Überzeugung verbreitet, vom Sieg ausgeschlossen worden zu sein als - gleichsam auf den Scherben sitzender - "Kuli der Nationen". Ein ungerechtes Urteil der Geschichte, das einer massiven Revision bedürfe. Die deutsche Parallele war die vom Land, das - obwohl "im Felde unbesiegt" - nun in den "Ketten von Versailles" schmachte, inakzeptabel und unverdient.
Demagogen beider Länder attackierten mit diesem Schicksal zugleich die Staatsform der westlichen Siegermächte. Republik, Demokratie, Parlamentarismus und Parteienstaat wurden von der extrem rechten Propaganda als Schimpfworte verwendet. Dieser unerwünschte Import sei politisch wesensfremd, nicht geerdet, ohne Verbindung mit dem Boden oder der Scholle des Landes und denen, die seit Generationen von ihr lebten. Es war ein Mix von Abwehrhaltungen und einer vagen Sehnsucht nach Größe, zugleich rückwärts und vorwärts gewandt, der breite Schichten in beiden Ländern für unterschiedliche Spielarten des Faschismus empfänglich machte.
Der junge Mussolini hält Trauerrede für Verdi
Am Beginn des Jahrhunderts wird ausgerechnet Verdis Tod - im Januar 1901 - zum Startschuss für die Karriere Mussolinis als Redner. Der 17-jährige Schüler der Lehrerbildungsanstalt Forlimpopoli in der Romagna soll vor versammeltem Kollegium die Rede der Verdi-Gedenkfeier halten. Der junge Mussolini, von dem man weiß, dass er Geige spielt, absolviert seine Aufgabe mit solcher Bravour, dass ihm sogar das Organ der Sozialisten - Avanti in Mailand - eine kleine Notiz widmet. Nur elf Jahre später wird er den Chefsessel dieses wichtigen Meinungsblattes erobert haben und es auf einen radikalen Kurs bringen. Forlimpopoli hingegen war ein Örtchen der tiefsten Provinz, dem der schon als Junge mit massivem Geltungsdrang gesegnete Mussolini nach seinem Lehrerexamen rasch zu entkommen trachtete.
In Mailand hatten Abertausende den Trauerzug durch die Straßen begleitet, berichtet wurde von kollektiven Gefühlsausbrüchen, die dem Nationalhelden Verdi, dem Opernschöpfer und Symbol des Risorgimento, galten.
Die offizielle Totenfeier folgte wenige Tage später in der Scala. Große italienische Gesangsstars, darunter der junge Caruso, sangen Arien aus Verdi-Opern, Toscanini dirigierte einen Chor von 820 Sängern, die emphatisch - man ist versucht zu sagen selbstverständlich - Va pensiero vortrugen.
Und die Entfaltung des Mythos konnte zum Selbstläufer werden. In einer Epoche, in der Völkerpsychologie und nationale Wesensschauen blühten, avancierte Verdi zur Inkarnation der italienischen Volksseele. Seine rustikale Selbstinszenierung zu Lebzeiten trug erheblich dazu bei, Einfachheit und Schlichtheit des tief im Heimatboden verwurzelten Mannes aus dem Volke, eigentlich ein idealer Bauer - so wollte der späte Verdi gesehen werden und unterschlug dabei, dass er es - dank enormer Honorare - zu einem Landbesitz von sieben Quadratkilometern gebracht hatte und nun politisch, gelinde gesagt, konservativen Positionen zuneigte.
In Mailand hatten Abertausende den Trauerzug durch die Straßen begleitet, berichtet wurde von kollektiven Gefühlsausbrüchen, die dem Nationalhelden Verdi, dem Opernschöpfer und Symbol des Risorgimento, galten.
Die offizielle Totenfeier folgte wenige Tage später in der Scala. Große italienische Gesangsstars, darunter der junge Caruso, sangen Arien aus Verdi-Opern, Toscanini dirigierte einen Chor von 820 Sängern, die emphatisch - man ist versucht zu sagen selbstverständlich - Va pensiero vortrugen.
Und die Entfaltung des Mythos konnte zum Selbstläufer werden. In einer Epoche, in der Völkerpsychologie und nationale Wesensschauen blühten, avancierte Verdi zur Inkarnation der italienischen Volksseele. Seine rustikale Selbstinszenierung zu Lebzeiten trug erheblich dazu bei, Einfachheit und Schlichtheit des tief im Heimatboden verwurzelten Mannes aus dem Volke, eigentlich ein idealer Bauer - so wollte der späte Verdi gesehen werden und unterschlug dabei, dass er es - dank enormer Honorare - zu einem Landbesitz von sieben Quadratkilometern gebracht hatte und nun politisch, gelinde gesagt, konservativen Positionen zuneigte.
Mussolini pflegte das Image eines Kunst- und Musikkenners
Dass das Italien der Jahrhundertwende politisch durch eine Oligarchie beherrscht wurde, bestehend aus wenigen Industriellen und zahlreichen Großgrundbesitzern (zu denen er jetzt selbst gehörte), schien ihm in Ordnung; revolutionären Veränderungen hatte er stets misstrauisch gegenübergestanden, auch in der Kunst bevorzugte er die Evolution - im Gegensatz zu seinem späteren Antipoden Richard Wagner. Als Künstler bezeichnete sich Verdi - fast so, als sei ihm der Begriff des Komponisten zu anspruchsvoll - als "Mann des Theaters", jemand, der für den Effekt der Szenen entscheidend sei, ihre emotionale Wirksamkeit, das In-Bann-schlagen des Publikums.
Über die Theatralik der großen Auftritte Mussolinis ist viel geschrieben worden. Dass überdies Diktatoren dazu neigen, die komplexe Geschichte der Nation, einschließlich der Kulturgeschichte, auf sich selbst als Höhepunkt zulaufen zu lassen, als den Retter des Landes - durch Nacht zum Licht -, ist bekannt. Als Führer einer großen Kulturnation gab sich Mussolini das Image eines Kunst- und Musikkenners, eines Politikers, der selbst ein Künstler hätte werden können.
"In meinen seltenen Musestunden lese ich alte und neue Bücher insbesondere historischen oder politischen Charakters. Ich habe nicht viel Zeit, in die Oper zu gehen, wo ich dann lyrischer und freudiger Musik den Vorzug gebe, dem kriegerischen Lyrismus eines Verdi oder Wagner."
Das nationale Prestige, italienische Größe und Stärke, standen über allem und wurden nach Möglichkeit bombastisch inszeniert. Künstler früherer Epochen konnten sich nicht dagegen wehren, dass ihre Werke dafür in Anspruch genommen wurden: als schon vorausdeutend auf die heroische Gegenwart. Es lag nahe, dass Mussolini und das faschistische Regime auch daran interessiert waren, die erfolgreichsten und populärsten italienischen Komponisten - so Puccini - für ihre Sache zu gewinnen, wissend um die gemeinschaftsfördernde Kraft der Musik und ihre Bedeutung für die Konsensbildung der Nation.
Pietro Mascagni, der Verdi zum Inbegriff der italianità - und sich selbst zum Retter des melodramma , der nicht von Modernität angekränkelten italienischen Oper, ausgerufen hatte und seit Langem vom Ruhm seiner Cavalleria rusticana zehrte: Mascagni wurde zum eigentlichen Komponisten des Regimes. Keiner bemühte sich so intensiv wie er um die Gunst des Duce, keiner wurde so oft wie er in Audienz von ihm empfangen. Bereits 1928 hatte er eine "Hymne der Arbeit" im Sinne des neuen Staates geschrieben. Mitte der 30er-Jahre folgte seine letzte Oper Nerone - Nero, als Künstler, der Rom angezündet habe, um die Metropole in größerer Schönheit wiederauferstehen zu lassen. Die Uraufführung in der Scala dirigierte Mascagni selbst. Kurz nach der Premiere schrieb er an Mussolini:
"Inspiriert ist der 'Nerone' durch das großartige Werk der Wiedererscheinung jenes imperialen Rom, welches die Hauptstadt der Welt war und welches durch die Kraft von Eurer Eminenz im Begriffe ist, das Wunder zu wiederholen. Dieses mein Werk schenke ich ergebenst dem Vaterland und seinem Duce."
War der junge Verdi ganz frei von solchen, die Karriere stabilisierenden Versuchungen? Bekannt ist, dass er sich seit den 1830er-Jahren in Mailand um die Protektion adliger Gönner und kunstliebender Patrizier bemühte, stets die Scala als Ziel seiner Ambitionen vor Augen.
Über die Theatralik der großen Auftritte Mussolinis ist viel geschrieben worden. Dass überdies Diktatoren dazu neigen, die komplexe Geschichte der Nation, einschließlich der Kulturgeschichte, auf sich selbst als Höhepunkt zulaufen zu lassen, als den Retter des Landes - durch Nacht zum Licht -, ist bekannt. Als Führer einer großen Kulturnation gab sich Mussolini das Image eines Kunst- und Musikkenners, eines Politikers, der selbst ein Künstler hätte werden können.
"In meinen seltenen Musestunden lese ich alte und neue Bücher insbesondere historischen oder politischen Charakters. Ich habe nicht viel Zeit, in die Oper zu gehen, wo ich dann lyrischer und freudiger Musik den Vorzug gebe, dem kriegerischen Lyrismus eines Verdi oder Wagner."
Das nationale Prestige, italienische Größe und Stärke, standen über allem und wurden nach Möglichkeit bombastisch inszeniert. Künstler früherer Epochen konnten sich nicht dagegen wehren, dass ihre Werke dafür in Anspruch genommen wurden: als schon vorausdeutend auf die heroische Gegenwart. Es lag nahe, dass Mussolini und das faschistische Regime auch daran interessiert waren, die erfolgreichsten und populärsten italienischen Komponisten - so Puccini - für ihre Sache zu gewinnen, wissend um die gemeinschaftsfördernde Kraft der Musik und ihre Bedeutung für die Konsensbildung der Nation.
Pietro Mascagni, der Verdi zum Inbegriff der italianità - und sich selbst zum Retter des melodramma , der nicht von Modernität angekränkelten italienischen Oper, ausgerufen hatte und seit Langem vom Ruhm seiner Cavalleria rusticana zehrte: Mascagni wurde zum eigentlichen Komponisten des Regimes. Keiner bemühte sich so intensiv wie er um die Gunst des Duce, keiner wurde so oft wie er in Audienz von ihm empfangen. Bereits 1928 hatte er eine "Hymne der Arbeit" im Sinne des neuen Staates geschrieben. Mitte der 30er-Jahre folgte seine letzte Oper Nerone - Nero, als Künstler, der Rom angezündet habe, um die Metropole in größerer Schönheit wiederauferstehen zu lassen. Die Uraufführung in der Scala dirigierte Mascagni selbst. Kurz nach der Premiere schrieb er an Mussolini:
"Inspiriert ist der 'Nerone' durch das großartige Werk der Wiedererscheinung jenes imperialen Rom, welches die Hauptstadt der Welt war und welches durch die Kraft von Eurer Eminenz im Begriffe ist, das Wunder zu wiederholen. Dieses mein Werk schenke ich ergebenst dem Vaterland und seinem Duce."
War der junge Verdi ganz frei von solchen, die Karriere stabilisierenden Versuchungen? Bekannt ist, dass er sich seit den 1830er-Jahren in Mailand um die Protektion adliger Gönner und kunstliebender Patrizier bemühte, stets die Scala als Ziel seiner Ambitionen vor Augen.
Verdi als Stimme Italiens
Die Lombardei war eine von Wien ferngesteuerte Provinz, meist hatten sich ihre Adelsfamilien mit dem Hause Habsburg arrangiert. So hatte etwa Graf Borromeo zum Geburtstag des Kaisers Ferdinand einen unterwürfigen Text gedichtet und dem jungen Verdi den Auftrag zur Komposition erteilt.
Die Druckkosten seiner ersten Veröffentlichung ließ sich Verdi finanzieren vom Träger der Widmung, dem Grafen Favagroßa. - Die Herzogin von Parma, Marie Luise, war eine Tochter des Kaisers Franz. Ihr, der der junge Verdi einige Förderung verdankte, widmete er 1843 die Partitur seiner Kreuzfahrer-Oper "I Lombardi alla prima crociata" - als der "verehrten, hocherhabenen Herrscherin". Die Partitur seiner
erfolgreichen Oper Ernani widmete er der Gräfin Spaur aus Tirol als der "herausragenden Gönnerin italienischer Musik".
Noch 1875 ließ sich Verdi in Wien von Kaiser Franz Joseph mit einem hohen Orden auszeichnen, dem Komturkreuz mit Stern - was alles nicht sehr passt zum Nationalidol eines Landes, das sich Jahrzehnte lang von österreichischer Fremdherrschaft zu befreien suchte. Dass Verdi zur Kultfigur des Risorgimento, zur Stimme Italiens, zum Italianissimo werden konnte, wirft manche Fragen auf; weniger fraglich ist, dass Mussolini den Ruhm, der den Namen des Komponisten umgab, zu instrumentalisieren suchte und seine Popularität für die eigenen Zwecke einsetzte.
Die Oper sei das 19. Jahrhundert als Kunstform, wurde behauptet, mit all seinen "übersungenen" Widersprüchen; und das gilt - Stichwort: Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen - einmal mehr für Italien und seine Opernindustrie. Man schätzt, dass um 1840 etwa 200 Theater regelmäßig Opern aufführten; mindestes 800 Neuinszenierungen kamen dabei heraus. Jährlich gelangten etwa 60 neu komponierte Opern auf italienische Bühnen, es gab Komponisten, die mehrere Opern in einem Jahr schrieben: eine, nach heutigen Vorstellungen, inflationäre Produktion.
Ein scharfsinniger Beobachter wie Antonio Gramsci stellte rückblickend die These auf, dass, da eine populäre italienische Literatur fehle, die Oper "in gewisser Weise der vertonte Populärroman" sei. Wobei das Wort "populär" der Relativierung bedarf im Italien einer noch überwiegend analphabetischen Landbevölkerung, die sich schwerlich Opernbillets leisten konnte. Obgleich war die Oper im Bewusstsein der Bevölkerung nirgends so verankert wie hier in den Städten von Turin bis Neapel und erfüllte zum Teil die Funktion, die in den folgenden Epochen das Kino übernahm.
Während in der europäischen Opernwelt das erste Drittel des 19. Jahrhunderts von Rossini dominiert wurde, gefolgt, für einige Jahre von Bellini und Donizetti, war die eigentliche Referenzfigur Giacomo Meyerbeer - schon wegen seiner Präsenz in Paris als Stadt der tonangebenden Grand Opéra, dem damals renommiertesten Opernhaus der Welt. Ihn vom Thron zu stoßen war - in der Mitte des Jahrhunderts und ganz unabhängig voneinander - sowohl das strategische Ziel des noch wenig bekannten Wagner wie das des vor allem in Italien schon berühmten Verdi.
Meyerbeer hatte in seinen Opern Chöre in großen Massenszenen vorgeführt, in wirksamem Kontrast zu Solopartien und Duetten; doch galt er als synkretistischer Verwerter aller Stile und Richtungen, ohne eine eigene Sprache zu finden. Sich von Meyerbeer abzustoßen versuchte Wagner bekanntlich in einem wahrhaft abstoßenden, antisemitischen Text; Verdi komponierte - nur wenige Jahre nach der 48er Revolution - die drei Opern, die seine Popularität bis heute sichern: "Rigoletto", "Der Troubadour" und "La Traviata". Verdis ästhetisches Credo
"Klar fassbare Charaktere , Leidenschaft, Bewegung und viel Pathos."
Gilt für die Komposition individueller wie kollektiver Szenen, für erotische Konflikte der Opernhelden ebenso wie für soziale Konflikte, wenn er die Leiden eines Volkes unter Unfreiheit in Musik setzt oder, wie in der Traviata, die gesellschaftlichen Konventionen anklagt.
Die Druckkosten seiner ersten Veröffentlichung ließ sich Verdi finanzieren vom Träger der Widmung, dem Grafen Favagroßa. - Die Herzogin von Parma, Marie Luise, war eine Tochter des Kaisers Franz. Ihr, der der junge Verdi einige Förderung verdankte, widmete er 1843 die Partitur seiner Kreuzfahrer-Oper "I Lombardi alla prima crociata" - als der "verehrten, hocherhabenen Herrscherin". Die Partitur seiner
erfolgreichen Oper Ernani widmete er der Gräfin Spaur aus Tirol als der "herausragenden Gönnerin italienischer Musik".
Noch 1875 ließ sich Verdi in Wien von Kaiser Franz Joseph mit einem hohen Orden auszeichnen, dem Komturkreuz mit Stern - was alles nicht sehr passt zum Nationalidol eines Landes, das sich Jahrzehnte lang von österreichischer Fremdherrschaft zu befreien suchte. Dass Verdi zur Kultfigur des Risorgimento, zur Stimme Italiens, zum Italianissimo werden konnte, wirft manche Fragen auf; weniger fraglich ist, dass Mussolini den Ruhm, der den Namen des Komponisten umgab, zu instrumentalisieren suchte und seine Popularität für die eigenen Zwecke einsetzte.
Die Oper sei das 19. Jahrhundert als Kunstform, wurde behauptet, mit all seinen "übersungenen" Widersprüchen; und das gilt - Stichwort: Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen - einmal mehr für Italien und seine Opernindustrie. Man schätzt, dass um 1840 etwa 200 Theater regelmäßig Opern aufführten; mindestes 800 Neuinszenierungen kamen dabei heraus. Jährlich gelangten etwa 60 neu komponierte Opern auf italienische Bühnen, es gab Komponisten, die mehrere Opern in einem Jahr schrieben: eine, nach heutigen Vorstellungen, inflationäre Produktion.
Ein scharfsinniger Beobachter wie Antonio Gramsci stellte rückblickend die These auf, dass, da eine populäre italienische Literatur fehle, die Oper "in gewisser Weise der vertonte Populärroman" sei. Wobei das Wort "populär" der Relativierung bedarf im Italien einer noch überwiegend analphabetischen Landbevölkerung, die sich schwerlich Opernbillets leisten konnte. Obgleich war die Oper im Bewusstsein der Bevölkerung nirgends so verankert wie hier in den Städten von Turin bis Neapel und erfüllte zum Teil die Funktion, die in den folgenden Epochen das Kino übernahm.
Während in der europäischen Opernwelt das erste Drittel des 19. Jahrhunderts von Rossini dominiert wurde, gefolgt, für einige Jahre von Bellini und Donizetti, war die eigentliche Referenzfigur Giacomo Meyerbeer - schon wegen seiner Präsenz in Paris als Stadt der tonangebenden Grand Opéra, dem damals renommiertesten Opernhaus der Welt. Ihn vom Thron zu stoßen war - in der Mitte des Jahrhunderts und ganz unabhängig voneinander - sowohl das strategische Ziel des noch wenig bekannten Wagner wie das des vor allem in Italien schon berühmten Verdi.
Meyerbeer hatte in seinen Opern Chöre in großen Massenszenen vorgeführt, in wirksamem Kontrast zu Solopartien und Duetten; doch galt er als synkretistischer Verwerter aller Stile und Richtungen, ohne eine eigene Sprache zu finden. Sich von Meyerbeer abzustoßen versuchte Wagner bekanntlich in einem wahrhaft abstoßenden, antisemitischen Text; Verdi komponierte - nur wenige Jahre nach der 48er Revolution - die drei Opern, die seine Popularität bis heute sichern: "Rigoletto", "Der Troubadour" und "La Traviata". Verdis ästhetisches Credo
"Klar fassbare Charaktere , Leidenschaft, Bewegung und viel Pathos."
Gilt für die Komposition individueller wie kollektiver Szenen, für erotische Konflikte der Opernhelden ebenso wie für soziale Konflikte, wenn er die Leiden eines Volkes unter Unfreiheit in Musik setzt oder, wie in der Traviata, die gesellschaftlichen Konventionen anklagt.
Verdi-Melodien entfachen psychische Intensität
Stoffe aus der Geschichte bieten Raum für große und machtvolle Chöre, klanglich ausgestattet mit dramatischer Schlagkraft; Verdi baut sie zahlreich ein, weil er um die Identifikationsmöglichkeiten weiß, die sie dem Publikum bieten. In einer krisenhaften politischen Situation kann fast jedes Opernsujet zur Projektionsfläche eigener Hoffnungen werden, in dem es um Völker unter fremdem Joch geht oder um gedemütigte Gruppen, die nach Freiheit streben, oder um Gestalten, die aus der Heimat ins Exil verstoßen wurden und ihres besiegten und erniedrigten Vaterlands gedenken, wie Aida.
Es ist der Ton und die Allüre, meist auch der mitreißende Elan der Verdi-Melodien, die eine psychische Intensität entfachen, die bis in ekstatische Zustände führen kann. Dennoch war es weniger die Kunst Verdis oder seine Ästhetik, sondern sein "Mythos", der den begabten Propagandisten Mussolini überzeugt sein ließ, die Zurschaustellung seiner eigenen Grandiosität in Verbindung mit dem großen Namen steigern zu können.
Vom Massentheoretiker Georges Sorel hatte er gelernt, man könne den mythe social bewusst einsetzen, um Gemeinschaft zu erzeugen und Energien zu aktivieren.
Auch den patriotischen Rausch. Schließlich stand die Erneuerung des Imperium Romanum als Ziel im Horizont. Italien, so äußerte Mussolini als Duce, brauche einen Mann, der sowohl über die Hand des Kriegers wie die des Künstlers verfüge.
Im Frühjahr 1932 - Mussolini gebietet über den Faschismus noch als Monopol - steht er dem deutschen, in der Schweiz lebenden Publizisten Emil Ludwig Rede und Antwort in einer Reihe von Gesprächen. Sie erscheinen im gleichen Jahr in Berlin und Wien. Der Duce regiert Italien seit zehn Jahren. Ludwig ist Autor auflagenstarker Biografien und spricht italienisch. Unter dem Titel "Gespräche über Probleme der Macht" bündelt er einige Interviews, von denen eines um die "Wirkung auf die Massen" kreist. Ein Ausschnitt sei hier als längeres Zitat wiedergegeben. Ludwig notiert:
"Er machte eine Pause, bevor er langsam erklärte: 'Die Masse ist für mich nichts als eine Herde Schafe, solange sie nicht organisiert ist. Ich bin keineswegs gegen sie. Ich negiere nur, dass sie sich selbst regieren kann. Führt man sie aber, so muss man sie an zwei Zügeln führen: Enthusiasmus und Interesse. Wer nur eins von beiden verwendet, kommt in Gefahr. Die mystische und die politische Seite bedingen einander. Das eine ohne das andere ist trocken, das andere ohne das eine zerblättert im Winde der Fahnen. Jede Rede zur Menge hat den zweifachen Zweck, die Lage zu klären und der Masse etwas zu suggerieren. Deshalb ist auch die Volksrede zur Erregung eines Krieges unentbehrlich.' - 'Vielleicht sind Sie heute der größte Experte für Massen', sagte ich. 'Was bleibt denen, die kein Interesse an die Bewegung bindet ?' - 'Denen bleibt die Hoffnung und der Gedanke, einer schönen Sache zu dienen. Ich kenne die Masse seit 30 Jahren. In Mailand nannten sie mich den Barbarossa. Da konnte ich die Straßen leermachen!' Seine Stimme klang stolz. Ich fragte: 'Und was bedeutet darin die Musik, was bedeuten die Frauen? Die Gesten und die Embleme ? - 'Ein festliches Element', sagte er im gleichen schwingenden Ton [...] Der römische Gruß, alle die Lieder und Formeln, die Daten und Erinnerungsfeiern sind unentbehrlich, um einer Bewegung das Pathos zu erhalten. So ist es schon im antiken Rom gewesen'."
Ludwig lässt in diesem Punkt nicht nach:
"'Sie haben einmal geschrieben', fragte ich weiter, 'die Masse solle nicht wissen, sondern glauben. Halten Sie diesen Grundsatz der Jesuiten wirklich noch heute für praktikabel, mitten zwischen allen Instrumenten der Technik ?' - Er sah entschlossen drein. 'Nur der Glaube versetzt Berge', sagte er, 'nicht die Vernunft. Sie ist ein Instrument, aber sie kann niemals der Motor der Menge sein. Heute weniger als früher. Die Leute haben heute weniger Zeit zu denken. Die Bereitschaft des modernen Menschen zu glauben, ist unglaublich. Wenn ich dann die Masse in meinen Händen fühle, wie sie glaubt, oder wenn ich mich unter sie mische und sie mich beinahe zerdrückt, dann fühle ich mich ein Stück dieser Masse. Und doch bleibt zugleich ein Stück Aversion, wie sie der Dichter gegen die Materie fasst, die er bearbeitet [...] Alles hängt davon ab, die Masse wie ein Künstler zu beherrschen.'"
"Über Kunst" geht es im Abschnitt "Gespräche über Genie und Charakter". Ludwig:
"Ich brachte ihn auf die Musik und erzählte ihm, Bismarck habe von der Musik bedeutungsvoll gesagt, sie errege in ihm die Gefühle entweder des Krieges oder der Idylle. 'Stimmt genau', sagte er, 'Ob ich selber noch Geige spiele? Seit zwei Jahren nicht mehr. Zuerst ist es eine Erholung, dann verbraucht es die Nerven. Nach einer halben Stunde Geigen bin ich beruhigt, nach einer Stunde aufgeregt. Das ist wie bei allen Giften. Aber davon abgesehen: In ihrer Sprache ist die Musik international, in ihrem inneren Wesen ganz national. Ich halte sie sogar für den tiefsten Ausdruck einer Rasse. Das geht bis zur Ausführung. Verdi wird von uns nur besser gespielt, weil wir ihn im Blute haben. Hören Sie Toscanini, den größten Dirigenten der Welt.'"
Was Mussolini seinem Gesprächspartner übrigens verschweigt, ist, dass Toscanini seit kurzem bei ihm in Ungnade gefallen ist. - Er hatte sich standhaft geweigert, vor Opernaufführungen die faschistische Hymne Giovinezza zu spielen.
Die Bemerkungen des Nietzscheaners Mussolini zu Krieg, Fest, Musik und Ritualen sind nicht so unschuldig, wie sie sich geben. In Diktaturen sind offizielle Massenfeste eine Zurschaustellung des kollektiven Enthusiasmus. Bei der festlichen Begegnung von Volk und charismatischem Führer entsteht eine ekstatische Emotionalität, die auf Gruppengefühl hin angelegt ist. Das Ereignis wird als Enthebung aus dem Alltag erfahren. Tritt gewaltverherrlichende Propaganda hinzu, wirken alle Elemente zusammen und lassen Gewalt und Krieg als "Großen Rausch" erscheinen.
Festmusik, kaum von ihren liturgischen Wurzeln zu trennen, nutzt zwecks Manipulation wiedererkennbares nationales Kulturgut und ist auf ein kollektiv übersteigertes Gefühlserlebnis hin angelegt; sie dient der politischen Identitätsstiftung und soll den Gruppenzusammenhang festigen. Gemeinschaft kommt vereint in Raum und Zeit zusammen, wird animiert zu begeistertem Tatendrang und kann ihre Affekte steigern bis zur Bereitschaft zum Märtyrertum.
inschränkend lässt sich zu solcher Macht der Inszenierungen totaler Herrschaft sagen, dass das "Rauschangebot" bei vielen schon deshalb funktionierte, weil die Bereitschaft bestand,
"Sich überwältigen und in eine Welt der Grandiosität jenseits des nüchternen Alltags führen zu lassen. Zudem verliehen die Erfolge des Regimes in den ersten Jahren dem Versprechen, man könne alle möglichen sozialen, politischen und anderen Grenzen überschreiten, eine gewisse Glaubwürdigkeit."
Es ist der Ton und die Allüre, meist auch der mitreißende Elan der Verdi-Melodien, die eine psychische Intensität entfachen, die bis in ekstatische Zustände führen kann. Dennoch war es weniger die Kunst Verdis oder seine Ästhetik, sondern sein "Mythos", der den begabten Propagandisten Mussolini überzeugt sein ließ, die Zurschaustellung seiner eigenen Grandiosität in Verbindung mit dem großen Namen steigern zu können.
Vom Massentheoretiker Georges Sorel hatte er gelernt, man könne den mythe social bewusst einsetzen, um Gemeinschaft zu erzeugen und Energien zu aktivieren.
Auch den patriotischen Rausch. Schließlich stand die Erneuerung des Imperium Romanum als Ziel im Horizont. Italien, so äußerte Mussolini als Duce, brauche einen Mann, der sowohl über die Hand des Kriegers wie die des Künstlers verfüge.
Im Frühjahr 1932 - Mussolini gebietet über den Faschismus noch als Monopol - steht er dem deutschen, in der Schweiz lebenden Publizisten Emil Ludwig Rede und Antwort in einer Reihe von Gesprächen. Sie erscheinen im gleichen Jahr in Berlin und Wien. Der Duce regiert Italien seit zehn Jahren. Ludwig ist Autor auflagenstarker Biografien und spricht italienisch. Unter dem Titel "Gespräche über Probleme der Macht" bündelt er einige Interviews, von denen eines um die "Wirkung auf die Massen" kreist. Ein Ausschnitt sei hier als längeres Zitat wiedergegeben. Ludwig notiert:
"Er machte eine Pause, bevor er langsam erklärte: 'Die Masse ist für mich nichts als eine Herde Schafe, solange sie nicht organisiert ist. Ich bin keineswegs gegen sie. Ich negiere nur, dass sie sich selbst regieren kann. Führt man sie aber, so muss man sie an zwei Zügeln führen: Enthusiasmus und Interesse. Wer nur eins von beiden verwendet, kommt in Gefahr. Die mystische und die politische Seite bedingen einander. Das eine ohne das andere ist trocken, das andere ohne das eine zerblättert im Winde der Fahnen. Jede Rede zur Menge hat den zweifachen Zweck, die Lage zu klären und der Masse etwas zu suggerieren. Deshalb ist auch die Volksrede zur Erregung eines Krieges unentbehrlich.' - 'Vielleicht sind Sie heute der größte Experte für Massen', sagte ich. 'Was bleibt denen, die kein Interesse an die Bewegung bindet ?' - 'Denen bleibt die Hoffnung und der Gedanke, einer schönen Sache zu dienen. Ich kenne die Masse seit 30 Jahren. In Mailand nannten sie mich den Barbarossa. Da konnte ich die Straßen leermachen!' Seine Stimme klang stolz. Ich fragte: 'Und was bedeutet darin die Musik, was bedeuten die Frauen? Die Gesten und die Embleme ? - 'Ein festliches Element', sagte er im gleichen schwingenden Ton [...] Der römische Gruß, alle die Lieder und Formeln, die Daten und Erinnerungsfeiern sind unentbehrlich, um einer Bewegung das Pathos zu erhalten. So ist es schon im antiken Rom gewesen'."
Ludwig lässt in diesem Punkt nicht nach:
"'Sie haben einmal geschrieben', fragte ich weiter, 'die Masse solle nicht wissen, sondern glauben. Halten Sie diesen Grundsatz der Jesuiten wirklich noch heute für praktikabel, mitten zwischen allen Instrumenten der Technik ?' - Er sah entschlossen drein. 'Nur der Glaube versetzt Berge', sagte er, 'nicht die Vernunft. Sie ist ein Instrument, aber sie kann niemals der Motor der Menge sein. Heute weniger als früher. Die Leute haben heute weniger Zeit zu denken. Die Bereitschaft des modernen Menschen zu glauben, ist unglaublich. Wenn ich dann die Masse in meinen Händen fühle, wie sie glaubt, oder wenn ich mich unter sie mische und sie mich beinahe zerdrückt, dann fühle ich mich ein Stück dieser Masse. Und doch bleibt zugleich ein Stück Aversion, wie sie der Dichter gegen die Materie fasst, die er bearbeitet [...] Alles hängt davon ab, die Masse wie ein Künstler zu beherrschen.'"
"Über Kunst" geht es im Abschnitt "Gespräche über Genie und Charakter". Ludwig:
"Ich brachte ihn auf die Musik und erzählte ihm, Bismarck habe von der Musik bedeutungsvoll gesagt, sie errege in ihm die Gefühle entweder des Krieges oder der Idylle. 'Stimmt genau', sagte er, 'Ob ich selber noch Geige spiele? Seit zwei Jahren nicht mehr. Zuerst ist es eine Erholung, dann verbraucht es die Nerven. Nach einer halben Stunde Geigen bin ich beruhigt, nach einer Stunde aufgeregt. Das ist wie bei allen Giften. Aber davon abgesehen: In ihrer Sprache ist die Musik international, in ihrem inneren Wesen ganz national. Ich halte sie sogar für den tiefsten Ausdruck einer Rasse. Das geht bis zur Ausführung. Verdi wird von uns nur besser gespielt, weil wir ihn im Blute haben. Hören Sie Toscanini, den größten Dirigenten der Welt.'"
Was Mussolini seinem Gesprächspartner übrigens verschweigt, ist, dass Toscanini seit kurzem bei ihm in Ungnade gefallen ist. - Er hatte sich standhaft geweigert, vor Opernaufführungen die faschistische Hymne Giovinezza zu spielen.
Die Bemerkungen des Nietzscheaners Mussolini zu Krieg, Fest, Musik und Ritualen sind nicht so unschuldig, wie sie sich geben. In Diktaturen sind offizielle Massenfeste eine Zurschaustellung des kollektiven Enthusiasmus. Bei der festlichen Begegnung von Volk und charismatischem Führer entsteht eine ekstatische Emotionalität, die auf Gruppengefühl hin angelegt ist. Das Ereignis wird als Enthebung aus dem Alltag erfahren. Tritt gewaltverherrlichende Propaganda hinzu, wirken alle Elemente zusammen und lassen Gewalt und Krieg als "Großen Rausch" erscheinen.
Festmusik, kaum von ihren liturgischen Wurzeln zu trennen, nutzt zwecks Manipulation wiedererkennbares nationales Kulturgut und ist auf ein kollektiv übersteigertes Gefühlserlebnis hin angelegt; sie dient der politischen Identitätsstiftung und soll den Gruppenzusammenhang festigen. Gemeinschaft kommt vereint in Raum und Zeit zusammen, wird animiert zu begeistertem Tatendrang und kann ihre Affekte steigern bis zur Bereitschaft zum Märtyrertum.
inschränkend lässt sich zu solcher Macht der Inszenierungen totaler Herrschaft sagen, dass das "Rauschangebot" bei vielen schon deshalb funktionierte, weil die Bereitschaft bestand,
"Sich überwältigen und in eine Welt der Grandiosität jenseits des nüchternen Alltags führen zu lassen. Zudem verliehen die Erfolge des Regimes in den ersten Jahren dem Versprechen, man könne alle möglichen sozialen, politischen und anderen Grenzen überschreiten, eine gewisse Glaubwürdigkeit."
Viele Bewunderer von außen
Die Attraktion des Faschismus als Gegenmodell entsprang - daran bleibt zu erinnern - auch einer umfassenden Erfahrung von Ohnmacht, Demütigung und Depotenzierung, bewirkt durch den Ausgang des Ersten Weltkriegs, die Krisen der Nachkriegszeit und den Zusammenbruch aller Sicherheiten. Sicherheitsangebote gehören zum Kern des Faschismus. Überdies: Mussolinis Verheißungen künftiger Landnahme, einer Wiedergeburt des monumentalen Rom als Zentrum einer neuen Zivilisation, schließlich der Hegemonie im Mittelmeerraum waren für viele zu verführerisch, als dass sie sich solchem Ultra-Nationalismus hätten entziehen können.
Bewunderer von außen fanden sich in großer Zahl. Ein ausgespochener Mussolini-Fan war Igor Strawinsky, der Verdi für den größten Komponisten des 19. und den Duce für den größten Politiker des 20. Jahrhunderts hielt, zumindest vor dem Zweiten Weltkrieg; sich selbst bezeichnete er überschwänglich als ideellen Faschisten und reiste regelmäßig zu Aufführungen seiner Werke nach Italien.
Unter den Deutschen, denen der Duce Audienz gewährte, fehlten auch die Musiker nicht: angefangen bei Siegfried und Winifred Wagner über Wilhelm Kempff und Furtwängler bis hin zu Richard Strauss.
Getreu dem übermenschlichen Bildnis, das er verkörperte, dem eines uomo universale, gerierte sich Mussolini weltoffen und als vielseitiger Intellektueller, ließ sich zudem als Pilot, als Rennfahrer, als Reiter fotografieren, erschien auf den Propagandabildern je nachdem in militärischem oder zivilem Outfit und konnte ebenso für den Lichtbildner im dunklen Anzug als Violonist posieren. Das Publikum sollte sowohl den martialischen Duce vor Augen haben, der mit starker Hand das Land stabilisierte, wie den Ästheten, der dem Schönen und Guten zugetan war und "Kunst für das Volk" propagierte. Darüber, dass er auch ein energiegeladener Don Juan aus dem Volke war, wagte die Boulevard-Presse natürlich nicht zu schreiben. Englische Musikkritiker behaupten später, Mussolinis Welt habe wie die der Opern Verdis aus Liebe, Sex und Gewalt bestanden.
Bewunderer von außen fanden sich in großer Zahl. Ein ausgespochener Mussolini-Fan war Igor Strawinsky, der Verdi für den größten Komponisten des 19. und den Duce für den größten Politiker des 20. Jahrhunderts hielt, zumindest vor dem Zweiten Weltkrieg; sich selbst bezeichnete er überschwänglich als ideellen Faschisten und reiste regelmäßig zu Aufführungen seiner Werke nach Italien.
Unter den Deutschen, denen der Duce Audienz gewährte, fehlten auch die Musiker nicht: angefangen bei Siegfried und Winifred Wagner über Wilhelm Kempff und Furtwängler bis hin zu Richard Strauss.
Getreu dem übermenschlichen Bildnis, das er verkörperte, dem eines uomo universale, gerierte sich Mussolini weltoffen und als vielseitiger Intellektueller, ließ sich zudem als Pilot, als Rennfahrer, als Reiter fotografieren, erschien auf den Propagandabildern je nachdem in militärischem oder zivilem Outfit und konnte ebenso für den Lichtbildner im dunklen Anzug als Violonist posieren. Das Publikum sollte sowohl den martialischen Duce vor Augen haben, der mit starker Hand das Land stabilisierte, wie den Ästheten, der dem Schönen und Guten zugetan war und "Kunst für das Volk" propagierte. Darüber, dass er auch ein energiegeladener Don Juan aus dem Volke war, wagte die Boulevard-Presse natürlich nicht zu schreiben. Englische Musikkritiker behaupten später, Mussolinis Welt habe wie die der Opern Verdis aus Liebe, Sex und Gewalt bestanden.
Verdi und Wagner als Antipoden und Rivalen stilisiert
Gibt es eine Ähnlichkeit zwischen der Beziehung des anderen, deutschen Führers zu seinem Lieblingskomponisten Wagner und jener Mussolinis zu Verdi? So etwas wie ein Kräfteparallelogramm? Gibt es Berührungspunkte? Beim ersten Treffen der beiden Diktatoren -- Hitler besucht Mussolini im Jahre 1934 in Venedig - erfreuen die Gastgeber Hitler mit einem Konzert im Hofe des Dogenpalastes; auf dem Programm stehen Stücke von Verdi und Wagner. Vier Jahre später, im Mai 1938, ist Hitler erneut zum Staatsbesuch in Italien, diesmal bereits beim Achsenverbündeten Mussolini in Rom. In der Villa Borghese offeriert man der deutschen Delegation einen Akt aus Wagners "Lohengrin". In Neapel, als anschließender Station, stehen zwei Akte der "Aida" auf dem Programm.
Verdi als Echo auf Wagner - das war nicht immer der Fall, weder in Italien noch in Deutschland. Sie wurden zu Antipoden und Rivalen stilisiert, zu typischen Repräsentanten einer nationalen Kunstrichtung, während sie doch längst zum europäischen Ereignis geworden waren. Sie waren musikalisch Europäer, anders als die beiden Diktatoren, die als Ultra-Nationalisten zeitweilig eine gemeinsame Hegemonie über Europa anstrebten und sich der Aura des jeweils von ihnen verehrten Komponisten bedienten.
Anders gesagt: Vom Kult um beide profitieren auch sie. Ist es sinnvoll, den Nationalsozialisten gegen den Faschisten ins Relief zu setzen, so, wie - dem eingeschliffenen Klischee zufolge - den "Erlösungsmystiker" Wagner gegen den "Realistiker der Opernszene" Verdi? Massenwirksame Überzeugungskraft konnte und kann sowohl große Kunst als auch charismatisch einherkommende Demagogie entfalten.
Die beiden Despoten betrachteten sich von der Vorsehung auserkoren, einen neuen Menschentypus zu schaffen, waren Volkstribun, Heerführer und Staatschef in einer Person, spielten mit ihrer oft als hypnotisch beschriebenen Anziehungskraft wie Verführer und Schauspieler. Die Verbindung aus Sendungsbewusstsein, taktischem Geschick und rhetorischem Talent ließ sie in ihren Ländern kurzfristig eine erfolgreiche Integrationsleistung vollbringen, blendet man die Opfer ihrer Brutalität aus. Sie wurden gesehen und sahen sich als Retter ihrer entehrten Nation, wurden allmählich eins mit dem messianischen Mythos , der sich als Trug erwies und beide auf der Schutthalde der Geschichte enden ließ.
Die Geschicke der beiden Komponisten überkreuzten sich in beiden Ländern. Als 1871 Rom zur Hauptstadt des vereinigten Königreichs Italien wurde, gab man in Bologna - im Festakt des Opernhauses - nicht Verdis Battaglia di Legnano, die Oper, in der es um die Einigung des Landes geht, sondern Wagners Lohengrin. Siebzig Jahre später hatte der Nationalsozialismus keine Schwierigkeiten mit Verdi, zumal italienische Autoren suchten, Verdi als Faschisten zu deuten, gesund, heroisch, von ungestümer Kraft, unberührt von Intellektualismus, volkhaft, maskulin.
Was hätte Verdis Rigoletto, der Hofnarr, wohl dazu gesagt ?
Verdi als Echo auf Wagner - das war nicht immer der Fall, weder in Italien noch in Deutschland. Sie wurden zu Antipoden und Rivalen stilisiert, zu typischen Repräsentanten einer nationalen Kunstrichtung, während sie doch längst zum europäischen Ereignis geworden waren. Sie waren musikalisch Europäer, anders als die beiden Diktatoren, die als Ultra-Nationalisten zeitweilig eine gemeinsame Hegemonie über Europa anstrebten und sich der Aura des jeweils von ihnen verehrten Komponisten bedienten.
Anders gesagt: Vom Kult um beide profitieren auch sie. Ist es sinnvoll, den Nationalsozialisten gegen den Faschisten ins Relief zu setzen, so, wie - dem eingeschliffenen Klischee zufolge - den "Erlösungsmystiker" Wagner gegen den "Realistiker der Opernszene" Verdi? Massenwirksame Überzeugungskraft konnte und kann sowohl große Kunst als auch charismatisch einherkommende Demagogie entfalten.
Die beiden Despoten betrachteten sich von der Vorsehung auserkoren, einen neuen Menschentypus zu schaffen, waren Volkstribun, Heerführer und Staatschef in einer Person, spielten mit ihrer oft als hypnotisch beschriebenen Anziehungskraft wie Verführer und Schauspieler. Die Verbindung aus Sendungsbewusstsein, taktischem Geschick und rhetorischem Talent ließ sie in ihren Ländern kurzfristig eine erfolgreiche Integrationsleistung vollbringen, blendet man die Opfer ihrer Brutalität aus. Sie wurden gesehen und sahen sich als Retter ihrer entehrten Nation, wurden allmählich eins mit dem messianischen Mythos , der sich als Trug erwies und beide auf der Schutthalde der Geschichte enden ließ.
Die Geschicke der beiden Komponisten überkreuzten sich in beiden Ländern. Als 1871 Rom zur Hauptstadt des vereinigten Königreichs Italien wurde, gab man in Bologna - im Festakt des Opernhauses - nicht Verdis Battaglia di Legnano, die Oper, in der es um die Einigung des Landes geht, sondern Wagners Lohengrin. Siebzig Jahre später hatte der Nationalsozialismus keine Schwierigkeiten mit Verdi, zumal italienische Autoren suchten, Verdi als Faschisten zu deuten, gesund, heroisch, von ungestümer Kraft, unberührt von Intellektualismus, volkhaft, maskulin.
Was hätte Verdis Rigoletto, der Hofnarr, wohl dazu gesagt ?