Zagatta: Herr Rathenow, die Meinungen zu diesen Ostalgie-Shows sind ja sehr geteilt. Wie ist das bei Ihnen, weckt das zumindest Ihr Interesse, schauen Sie sich das an?
Rathenow: Mein Interesse weckt es natürlich. Es gibt seit zehn, zwölf Jahren eine Ostalgie. Jetzt erleben wir etwas, wie die DDR scheinbar entpolitisiert, zur virtuellen Gewalt wird, zur geballten Supershow-Medienmacht. Das hat natürlich eine völlig neuen Qualität und das ist ein politisch sehr bedenklicher Vorgang und die Reaktionen, die ich von anderen Menschen höre, sind ganz gespalten. Sie ärgern sich einerseits, andererseits wollen sie auch angenommen werde, man will sich ja wiedererkennen im Fernsehen, man will auch vielleicht den Westdeutschen etwas voraushaben, ein Geheimnis, was man nur alleine teilt, aber ich höre im Grunde nur ablehnende Reaktionen zu diesen Shows von Leuten, die sie sich trotzdem anschauen.
Zagatta: Das heißt aber doch auch, es gibt ein Bedürfnis, oder nicht?
Rathenow: Es gibt ein Bedürfnis nach der eigenen Geschichte, ein anthropologisches. Dieses wird jetzt aber auf eine Art und Weise befriedigt oder scheinbar befriedigt, die eigentlich eine neue Realität schafft. Die DDR wird neu erfunden, so wie sie sich zum Beispiel in der ZDF-Show letzten Sonntag darbot, so hat sie nie existiert-. Man bekommt langsam auch ein schlechtes Gewissen, bestimmte Produkte nicht zu kennen, bestimmte Stars nicht zu kennen, die ich also zu DDR-Zeiten, nicht nur ich, sorgsam vermieden habe, freiwillig im fernsehen zu sehen. Das erste Problem ist im Grunde: kann Fernsehen überhaupt DDR darstellen anhand von Ostfernsehschnipseln? Die DDR war ein sehr spannender, sehr differenzierter Staat mit vielen Dingen, davon kam das allerwenigste im Fernsehen. Das ist das allererste grundsätzliche Medienproblem. Der Deutschlandfunk hat am Dienstag zum Beispiel ein Hörspiel wiederholt, ein sehr schönes aus der DDR-Produktion, was sehr viel verraten und man muss Dinge aus der DDR-Zeit entdecken, differenziert bewerten. Aber hier werden Schnipsel herausgemacht, es wird ein Einheitsbrei erzeugt aus Showstars, etwas Produktfetischismus, die Süßtafel und die Spreewälder Gurken, die wirklich nichts dafür können, dass sie auch in der DDR verkauft worden sind. Regional ortbare Produkte werden zu etwas zusammengerührt, was eine ganz merkwürdige entpolisierte neue DDR schafft.
Zagatta: Ist das dann Kritik, dass das schlecht gemacht ist oder wenn Sie sagen entpolitisiert, sind Sie dann der Meinung, dass ein Unrechtsstaat wie die DDR dann einfach kein Thema sein kann für eine solche Unterhaltungssendung?
Rathenow: Es ist auch ein Medienproblem. Ich glaube, auch Geheimdienstarbeit oder der Irakkrieg kann kein Thema für eine Unterhaltungssendung sein. Es gibt auch andere Themen, die so nicht gehen, die so etwas nicht nur verharmlosen, das ist im Grunde noch zu kurz gesagt. Hier wird etwas medial glattgebügelt mit Hast und guter Laune vermeidet man konsequent Geschichte und diese scheinbar entpolitisierte DDR wird im Grunde wie nebenher aus dem Ostblock ausgekoppelt. Sie war im Grunde ein sowjetisches Modell, das ist im Nachhinein ein deutscher Sonderweg. Ich würde jetzt vom DDR-ismus reden.
Zagatta: Man kann doch auch sagen, mit einer solchen Show kann man ohnehin nicht die Geschichte aufarbeiten und das ist jetzt ein neuer Aspekt. Wo sehen Sie denn das Bedürfnis, das ist ja jetzt ein regelrechter Boom durch den Film 'Good Bye Lenin' ausgelöst worden, der ja auch einen Riesenerfolg hatte. Oder wo kommt das her jetzt?
Rathenow: Das Bedürfnis kommt daher, dass die Menschen Teile ihrer Geschichte, ihres Lebensgefühls in Medien nicht wiederfinden. Das ist natürlich ein zu wenig an Präsenz von eigenen Geschichten, die oftmals sehr differenziert sind. Darauf hat der Thüringer Kultusminister zurecht in einer Pressemeldung hingewiesen, dass es sehr viele Geschichten gab in der DDR von Ungehorsam, Renitenz, Dingen, die sich dem Schwarzweißbild wiedersetzen und die man darstellen müsste, so dass man auch von Menschen, die nicht Dissidenten gewesen sein müssen, um an ihre DDR-Zeit mit Selbstbewusstsein zurückdenken zu können, so dass man sie in ihrer Identifikation berührt, dass die sich auch wiederfinden. Im Grunde wurde die DDR oftmals zu klischeehaft negativ, gleichgültig in vielem und ignorant behandelt und nun versucht man das durch ein Kompensationsgeschäft nachzuholen, was gute Laune und Ablenkung verspricht. Vielleicht lernen bald die ersten Westdeutschen Sächsisch, damit sie mitreden können und es gibt dann an Volkshochschulen DDR-Kurse, wie lerne ich, im Nachhinein ein guter DDR-Bürger zu sein. Ich würde dann schon dafür plädieren, das DDR-Fernsehen im O-Ton auf irgendeinem speziellen Kanal zu senden, da kann man sich dann die aktuelle Kamera, den Herrn von Schnitzler und alles andere und die Unterhaltungsshows, die es damals gab, ansehen. Es war nicht alles so schlecht an der DDR.
Zagatta: Wollte ich sagen: ein lockerer, witziger Umgang mit der DDR - muss das ein Tabu sein?
Rathenow: Nein, man sollte das nur schon mit der BRD vergleichen und auch mit Osteuropa. Man sollte die DDR nicht als geschlossenes Gefäß behandeln. Teile der damaligen Unterhaltungs-DDR, Kessel Buntes war ja einer Sendung, worauf sich der MDR heute bezieht, der das etwas ironischer machen will als die anderen, das habe ich schon bemerkt, lebt ja von den Weststars. Zu Teilen dieser DDR gehörte ja die Nicht-DDR immer dazu, solche Zusammenhänge sollte man schon versuchen, herzustellen. Das ist etwas schwieriger als nur Fernsehschnipsel aufzubereiten und ehemalige vermeintliche und echte Stars für Auftritte zu bezahlen.
Zagatta: Lutz Rathenow, Ostberliner Schriftsteller. Herr Rathenow, ich bedanke mich.
Rathenow: Ja, auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio