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"Die Partei hat Wachstumsschmerzen"

"Ein Backlash nach diesen sehr überraschenden Wahlerfolgen, kann eigentlich nicht verwundern", sagt der Politikwissenschaftler Christoph Bieber von der Universität Duisburg-Essen. Die größte Bewährungsprobe für die Piratenpartei sei es, konkrete politische Entscheidungen, in Absprache mit der Basis, zu treffen.

Christoph Bieber im Gespräch Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Die Vertreter der Piratenpartei treffen sich heute und morgen in Essen, sie wollen den Einzug in das Berliner Parlament vorbereiten. Das Treffen steht unter dem Motto "Fraktionspolitik 2.0", und das Ganze ist organisiert im Rahmen eines sogenannten Barcamps, das wird in Essen stattfinden, und in der kommenden Woche trifft man sich dann zu einem FlauschCon One in Bielefeld. Das sind Begriffe, die unsereinem noch etwas schwer über die Lippen geht, aber nicht nur uns. Deshalb haben wir Professor Christoph Bieber jetzt am Telefon, der kann uns das alles erklären. Zunächst mal guten Morgen!

    Christoph Bieber: Schönen guten Morgen!

    Zurheide: Herr Bieber, zunächst einmal: Den Einzug in den Bundestag vorbereiten, das ist das eine, aber ein Selbstläufer wird das nicht. Wir haben es vorhin schon gehört in der Anmoderation. Da gibt es doch den ein oder anderen, der zweifelt inzwischen, wie Martin Delius. Diese Selbstzweifel in der Partei, werden die größer?

    Bieber: Ja, also sie speisen sich ganz aktuell natürlich an den Umfragewerten, die jetzt ein bisschen zurückgehen, aber – das sollte man nicht vergessen – immer noch weit über den Werten der letzten Bundestagswahl liegen. Das wird natürlich auch in der medialen Berichterstattung entsprechend dargestellt als eine Verfallsgeschichte. Man könnte auch meinen, hier findet man so einen klassischen Hype Cycle wieder. Die Piraten sind zuerst mal oder seit einer Weile Everybody’s Darling, sorgen für prima Geschichten, jetzt läuft’s manchmal nicht mehr ganz so rund, man kehrt dann die Berichterstattung um. Ich glaube gar nicht mal, dass das für die Piraten nur negativ sein muss, sondern vielleicht auch dazu führt, dass man sich eben nicht ausruht, dass man auch vielleicht etwas näher zusammenrückt und sich dann noch einmal klarmacht, dass die Entwicklung, die die Piraten auch bei den letzten Wahlen genommen haben, nicht unbedingt miteinander verbunden ist, die Entwicklung also nicht linear verläuft, sondern bei jeder einzelnen Wahl, ob auf Landes- und vor allen Dingen auch auf Bundesebene vollkommen neu angefangen werden muss. Und dafür ist ein solcher Rückgang in den Umfragen vielleicht sogar recht hilfreich.

    Zurheide: Die andere Frage wäre jetzt, haben die Piraten möglicherweise die Erwartungen nicht erfüllt, die die Wähler in sie gesetzt haben – in Berlin, in Nordrhein-Westfalen und wo sie sonst noch reingekommen sind? Denn überall gab es ja eher kritische Berichte.

    Bieber: Na ja, dazu vielleicht erst mal zwei Dinge: Die Fraktionen sind noch nicht besonders lange im Amt. Dort, wo die Piraten am längsten im Amt sind, in Berlin, jetzt beinah ein Jahr, stehen die Piraten in den Umfragen nicht bei sieben, sondern bei 14 Prozent. Das ist eine deutliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Wähler ganz offensichtlich, was die Leistungen der Piraten angeht, und der Wahrnehmung der Konkurrenz und eben auch der medialen Berichterstattung. Und in den anderen Fällen sind die Piraten nun tatsächlich also so frisch im Parlament, dass man jetzt eigentlich auch noch ein paar Monate warten müsste, um zu sehen, wie sie sich im parlamentarischen Betrieb tatsächlich schlagen. Und man sollte auch als Drittes vielleicht nicht vergessen, es handelt sich hier um eine Partei, die in der Opposition ist, die Werte zwischen sieben und acht Prozent erreicht hat, sich in der Opposition auch nicht aus Erfahrung heraus sofort mit den anderen Oppositionsfraktionen verbindet, zusammenschließt, koordiniert, sondern das ganze Prozedere erst noch lernt. Und dass man dann relativ außen vor bleibt, was Entscheidungsverfahren, Prozesse angeht, das ist selbstverständlich, und dass dann so ein Backlash nach diesen sehr überraschenden Wahlerfolgen erfolgt, kann eigentlich nicht verwundern.

    Zurheide: Lassen Sie uns noch mal auf die strukturellen Fragen kommen: Die Piraten stehen für Offenheit, Transparenz, für ein anderes Politikverständnis, Politik als Prozess. In Parlamenten muss man auf der anderen Seite irgendwann Ja oder Nein sagen. Daraus leite ich die Frage ab: Stößt das Prinzip, möglicherweise das Prinzip der Piraten an Grenzen in einer repräsentativen Demokratie oder ist die Frage zu zugespitzt?

    Bieber: Nein, das ist in der Tat die große Herausforderung, die auf die Piraten zukommt oder in der sie sich mittlerweile befinden. Das ist ja durchaus auch ein Unterschied, ob ich tatsächlich als außerparlamentarische Bewegung auf mich aufmerksam machen kann und es relativ leicht habe, von außen mich in bestimmte laufende Diskussionen einzuklinken, oder ob ich eben im parlamentarischen Prozess eingebunden bin und mich dort in der Tat dann zu konkreten Entscheidungen auch äußern muss. Und so, wie die Struktur und die parteiinterne Kommunikation der Piraten angelegt ist, ist es tatsächlich nicht so, dass sich die Fraktionen nun einfach verselbstständigen können und diesen parlamentarischen Prozess in einer kleinen, möglichst professionellen Runde bearbeiten, sondern sie müssen sich sehr viel stärker rückkoppeln, rückversichern der Stimmung, der Meinung an der Basis, und sie suchen nach Mitteln und Wegen, wie sie dieses Alleinstellungsmerkmal, das sie ja gerne ins Feld führen gegenüber den anderen Parteien, tatsächlich auch unter diesen veränderten Bedingungen aufrechterhalten können.

    Zurheide: Und kommen dann nicht immer zu den gleichen Ergebnissen, da stehen dann verschiedene Dinge nebeneinander, für und gegen Mindestlohn, um mal ein paar plakative Beispiele zu bringen. Wie lange hält man so was durch?

    Bieber: Das wird vor allen Dingen das nächste Jahr zeigen. Im Moment kann man diese Differenzen ja dann durchaus noch ganz gut erklären mit den unterschiedlichen Positionen in den Ländern, wenn es sich um Unterschiede im parlamentarischen Verfahren handelt, ansonsten sieht man hier an diesen Stellen noch sehr, sehr deutlich das, was in den anderen Parteien ja üblicherweise die Flügel unter sich ausmachen. Und dieser Meinungsbildungsprozess, der sollte natürlich dann mit Blick auf die Bundestagswahl, wenn es darum geht, schon ein möglichst einheitliches Bild nach außen zu vermitteln, um zu zeigen, dass man eben auch in der Lage ist, auf der bundespolitischen Ebene aktiv zu sein … bis dahin sollte sich das etwas glätten. Und es sollte der Eindruck entstehen, dass man in der Tat als Parteiorganisation in der Lage ist, sich zu gemeinschaftlichen Positionen zu bekennen und sie dann eben auch im Wahlkampf zu vertreten.

    Zurheide: Die Inhalte sind das eine, die Personen sind das andere. Die haben nun besonders häufig gewechselt, und das scheint ja auch ein Teil des Politikprinzips zu sein. Ist das Chance oder eher Risiko, wie wir im Moment sehen?

    Bieber: Ich glaube, wir müssen da genau gucken, wo sie gewechselt haben. Aus den Fraktionen ist mir bisher noch nicht wirklich was bekannt, dass dort tatsächlich auch eine hohe Fluktuation herrscht, sondern es betrifft vor allen Dingen die Vorstände auf Bundes- und auf Landesebene, und das sind ehrenamtliche Positionen. Und hier zeigt sich so etwas wie das aktuelle Dilemma, dass die Partei Wachstumsschmerzen hat. Sie hat sehr viele Mitglieder gewonnen in den letzten zwölf Monaten, und die Organisationsstruktur, die diese Menge an Mitgliedern verwalten soll, die ist schlicht und einfach nicht mitgewachsen und hat sich nicht professionalisiert. Und die Menschen, die eben gerade dann gesagt haben, sie sind dieser Belastung nicht gewachsen, sagen das, weil sie eben den Spagat zwischen dem privaten Leben, der Anstellung im Beruf und eben den enormen Anforderungen aus der ehrenamtlichen Parteiarbeit nicht mehr leisten konnten. Und insofern ist das etwas, was in der Tat nicht dafür sorgt, dass die Arbeit der Piraten durch hohe personelle Konstanz geprägt ist, aber das passt insofern ja zum Bauplan der Piraten, dass man gewissermaßen allergisch reagiert auf Parteihierarchien und Eliten. Und in dieser aktuellen Konstellation wird gewissermaßen automatisch verhindert, dass sich so etwas ausbildet, aber man hatte eben auch die negativen Seiten dann erfahren müssen, dass das Bild in der Öffentlichkeit darunter leidet und man sich unter Umständen überlegen muss, wie man das in Zukunft regelt.

    Zurheide: Die Piraten treffen sich an diesem Wochenende, sie wollen in das Parlament in Berlin und bereiten das vor. Warum das kein Selbstläufer wird, hat uns Professor Christoph Bieber erklärt, dafür danke ich und wünsche einen schönen Tag. Danke schön!

    Bieber: Gerne!


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