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"Die Partei war seine Braut"

Helmut Kohl habe sich im Laufe seiner politischen Karriere eigentlich wenig verändert. Diese Erkenntnis sei für ihn überraschend gewesen, sagt "Spiegel"-Journalist Hans-Joachim Noack. Die Liebe zur Macht und zu seiner Partei sei beim Kanzler der Wiedervereinigung trotz herber Rückschläge nie erlahmt.

Hans-Joachim Noack im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Anfang April feiert Helmut Kohl seinen 80. Geburtstag. Zu diesem Anlass sind mehrere Bücher über den früheren Bundeskanzler erschienen. Über eines möchten wir nun sprechen: "Helmut Kohl, Die Biografie", erschienen bei Rowohlt, geschrieben von den beiden "Spiegel"-Journalisten Wolfram Bickerich und Hans-Joachim Noack. Mit letzterem sind wir am Telefon verbunden. Guten Tag!

    Hans-Joachim Noack: Guten Tag.

    Heinemann: Herr Noack, das Verhältnis zwischen Helmut Kohl und dem "Spiegel", oder zwischen dem "Spiegel" und Helmut Kohl war nicht immer frei von Spannungen. Was hat Sie und Ihren Kollegen Bickerich als ehemalige Politikchefs gereizt, Helmut Kohls Vita zur Biografie zu verarbeiten?

    Noack: Na ja, zum einen war es natürlich ein prägnantes, ins Auge springendes Datum, Helmut Kohls 80. Geburtstag. Zum anderen aber eben auch, für sich selber nach etwas längerer Zeit zu überprüfen, ob das ehemalige Kohl-Bild, das man sich damals in den 80er- und 90er-Jahren zusammengebastelt hatte, noch stimmt, in welchem Umfang, oder ob man sich in wesentlichen Teilen zurücknehmen müsste.

    Heinemann: Und stimmt es noch?

    Noack: Ich würde mal sagen, die Überraschung hält sich in Grenzen. Sie ist insoweit gegeben, als man merkt, dass man viele Dinge, die man damals im Jagdfieber noch sehr viel dramatischer gesehen hat, heute durch die dahingegangenen Jahre entspannter sieht.

    Heinemann: Was zum Beispiel?

    Noack: Ich würde mal sagen, dass Helmut Kohl die deutsche Einheit, zumindest die äußere Einheit in diesen dramatischen 16 Monaten, sehr viel besser gemanagt hat, als unsereins ihm das damals zugestehen wollte.

    Heinemann: Sie sind seit – Sie haben es eben angesprochen – über vier Jahrzehnten jetzt politischer Journalist. Gab es irgendetwas Überraschendes bei den Recherchen?

    Noack: Überraschendes bei den Recherchen gab es eigentlich in dem Punkt, dass mir klarer geworden ist als jemals zuvor in den Jahrzehnten, wie wenig sich Helmut Kohl im Laufe seiner politischen Karriere, seiner Entwicklung eigentlich verändert hat. Das, was den Helmut Kohl der 90er-Jahre ausgemacht hat bis zum Ende seiner Kanzlerschaft, und auch ein Teil dessen, was man später wohl zurecht zu beklagen hatte, war in dem frühen Kohl schon alles angelegt, alles zu besichtigen. Das war ein Überraschungsmoment.

    Heinemann: Gilt das auch für Inhaltliches? Das heißt, gibt es in seiner Arbeit einen roten Faden?

    Noack: Na ja, ich würde mal sagen, dieses berühmte kohlsche Verhältnis zur Macht, das schon früh dazu geführt hat, sich zum Pater Familias der CDU aufzuschwingen und sie nach allen Regeln der Kunst zu beherrschen, wenn es denn sein musste oder er glaubte, das hätte sein müssen, auch manchmal am Rande der Legalität, dieses hat ja schon den Kohl der 60er- und 70er-Jahre beseelt. Insofern war es eigentlich gar nichts Neues, also auch beispielsweise das, was bis zum heutigen Tag ja noch im Dunkelfeld liegt unter dem Stichwort "der Herr der schwarzen Kassen". Kohl war eben in seinem ganzen Selbstverständnis der Mann, der sich am Kopfende des Tisches von Partei und später von Staat und Partei sitzen sah und in seiner, von ihm so empfundenen Fürsorglichkeit eben auch gelegentlich Dinge getrieben hat, die uns bis zum heutigen Tag nicht gefallen können.

    Heinemann: Herr Noack, Sie haben vielleicht die folgende Frage sogar schon beantwortet. Ein Viertel Jahrhundert Parteivorsitzender, 16 Jahre Kanzler, das heißt Lebensjahrzehnte lang unter höchster Anspannung. Wieso hat Helmut Kohl das seiner Familie und sich selbst angetan?

    Noack: Ich habe nur die Erklärung, weil er die Macht so geliebt hat, beinahe würde ich sagen von Kindesbeinen an, jedenfalls als Pennäler, als junger Mann. Die Partei war seine Braut, um das vielleicht mal so zu sagen, und dafür tut man eine ganze Menge. Er ist nie erlahmt. Es hat ja im kohlschen politischen Leben auch herbe Rückschläge gegeben, diese schrecklichen Auseinandersetzungen mit Franz-Josef Strauß, auch zwischendurch mit Rainer Barzel, in denen auch Kohl schmerzliche Niederlagen erlitten hat und Talsohlen durchschreiten musste. Das hat er alles ertragen, weil er das alles so letztendlich geliebt hat, auch das, was er erlitten hat.

    Heinemann: Sie beschreiben die erstaunliche physische Verfassung, seinen Fleiß, aber auch die Fähigkeit, mit Menschen wie in einem Verschiebebahnhof umzugehen, und in der Tat ist ja der eine oder andere von ihm gegeißlert und gebiedenköpft worden. Hat Kohls Politikstil die Merkels, die Gabriels, die Westerwelles, die Fischers und die Lafontaines geprägt? Hat er damit Maßstäbe gesetzt?

    Noack: Ich kann mir schon vorstellen, dass diejenigen, die heute in den Parteien das Sagen haben, und auch die, die Bundesregierung bilden, Frau Merkel, dass die sich einiges abgeguckt haben bei Helmut Kohl, ob nun ganz bewusst, oder unbewusst, das lasse ich jetzt mal dahingestellt sein. Aber natürlich: einige Merkmale treten auch heute zu Tage. Nur keiner nach meinem Dafürhalten beherrscht das alles so grandios, wie es Kohl beherrscht hatte.

    Heinemann: Und ist dieser Politiktyp, die Ochsentour, Kommune, Landtag, Bundestag, dann gespiegelt durch die Parteiämter, ist der noch zeitgemäß?

    Noack: Das ist eine gute Frage. Die kann ich nicht wirklich beantworten. Ich glaube, ohne diese Ochsentour wird es letztlich nicht ganz gehen, aber man sieht natürlich auch Veränderungen im Vergleich zu den zurückliegenden Jahrzehnten. Die Karrieren – jedenfalls habe ich den Eindruck – werden etwas schneller gemacht als früher, aber die Sterne, die da aufglühen, verglühen auch manchmal schneller als früher.

    Heinemann: Und ist das gut, oder schlecht?

    Noack: Ich würde sagen, keine schöne Entwicklung.

    Heinemann: Herr Noack, Sie haben eben die Wiedervereinigung angesprochen. Damals schrieb Rudolf Augstein, "und man rieb sich die Augen. Glückwunsch, Kanzler!" Das hat Helmut Kohl nun wirklich nicht oft im "Spiegel" gelesen. Hat der "Spiegel" Kohl unterschätzt, jetzt als Institution?

    Noack: Na ja, in einem hat natürlich Augstein den späten, den Einheitskanzler Kohl vorher unterschätzt. Diese Leistung hat er sich von ihm nicht erträumen können. Er hat sie dennoch erbracht und man weiß, Rudolf Augstein war ein glühender, letztendlich glühender Einheitsbefürworter, und er hat daraus für sich den Schluss gezogen, den 16 Jahre an den Schalthebeln der Macht sitzenden Kanzler, den er vorher ja nun auch nach allen Regeln der Kunst bekämpft hat, in diesem wichtigen, eigentlich entscheidenden Punkt, ich will nicht sagen, um Verzeihung zu bitten, aber seine Referenz zu erweisen. Ja, das stimmt: Er war in den letzten Jahren sehr angetan von diesem Kanzler.

    Heinemann: Der Journalist Hans-Joachim Noack, der zusammen mit seinem ehemaligen "Spiegel"-Kollegen Wolfram Bickerich eine Biografie über Helmut Kohl geschrieben hat, bei Rowohlt erschienen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Noack: Bitte sehr.