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Die Parteiikone und die SPD von heute

In diesem Jahr jährte sich der Todestag des SPD-Gründers August Bebel zum 100. Mal. Aus diesem Anlass haben Prominente in einem Sammelband von Manfred Bissinger und Wolfgang Thierse über die Situation der Sozialdemokratie diskutiert.

Von Norbert Seitz |
    Ausgerechnet im 150. Jubiläumsjahr fällt einigen in der SPD auf, ihren Gründer August Bebel weitgehend vergessen zu haben. Man mag dies kaum glauben. Gelten doch die Parteiführer in der Traditionskompanie der alten Arbeiterbewegung als komfortabel musealisiert. Doch Manfred Bissinger, Hamburger Publizist und früherer Berater Gerhard Schröders, ist das zu wenig. Er reklamiert memorativen Nachholbedarf:

    "Ich glaube nicht, dass der Bebel in der Partei wirklich verankert ist, und ich glaube auch, dass er es in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich war. Die SPD hat ja mal eine Entscheidung getroffen, als sie ihre Stiftung gründete, und hat die Friedrich-Ebert-Stiftung genannt und nicht August-Bebel-Stiftung."

    Das war 1925. Im Todesjahr des Reichspräsidenten. 86 Jahre später kam der Schriftsteller Günter Grass auf die erstaunliche Idee, der Partei eine Bebel-Stiftung nachzureichen. Sie verleiht alle zwei Jahre einen Preis an alte Kämpen wie den linken Philosophen Oskar Negt oder den Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff. Nunmehr schickt sie sich an, unter der Mitherausgeberschaft ihres Vorstandsmitglieds Bissinger mit einem 500-seitigen Sammelband einen "Akt der geschichtlichen Wiedergutmachung" an der Parteiikone zu vollziehen.

    "Die Idee von Günter Grass mit der Gründung der Bebel-Stiftung war ja eigentlich, dass die Partei sich wieder ihrer Geschichte und ihrer Tradition und ihres lebenslangen Kampfes für Freiheit und Menschenrechte erinnert und das an Bebel spiegelt und überträgt auf die heutige Situation. Das gelingt."

    So wird der alte Bebel zur Projektionsfläche bislang unerfüllter und zum Teil inhaltlich widerstreitender Wünsche und historischer Korrekturen.

    "Das ist auch beabsichtigt, dass er Projektionsfläche für eine Debatte ist, wie man heute die SPD weiterentwickeln könnte."

    So kämpft Franz Müntefering mit Bebel dafür, dass sich Nichtmitglieder an Urabstimmungen beteiligen können; Ver.di-Chef Bsirske sieht sich gemeinsam mit Bebel auf Anti-Agenda-Kurs. Während Günter Wallraff Bebel sogar zum Fürsprecher und Mentor der Occupy-Bewegung adelt, bedauert Alice Schwarzer, mit ihm nicht mehr gemeinsam gegen die Verschleierung muslimischer Frauen vorgehen zu können.

    Ein jeder reitet seinen Bebel. Weshalb Juso-Chef Sascha Vogt, ansonsten knüppelharter Glaubenswächter, sicher nicht ganz daneben liegt, wenn er in seinem Aufsatz spottet:

    "Glücklicherweise hat Bebel nichts zur Rente mit 67 gesagt, denn auch dann wäre er wohl als Kronzeuge missbraucht worden."

    "Das hast Du anders vorgelebt, lieber August Bebel", tremoliert Albrecht Müller, früherer Wahlkampfleiter Willy Brandts. Aber stimmt das denn? Hat die Partei nicht weitgehend Bebels Programm verwirklicht, auch wenn sie – aus guten Gründen – dessen strikten Antikapitalismus nicht weiter verfolgte. Sein Nachnachfolger Sigmar Gabriel:

    "Bebels lebenslanger Gegner – der Kapitalismus – erwies sich als viel zäher, als es der an der Marx´schen Geschichtsphilosophie geschulte Parteigründer ahnen konnte."

    Zwei Motive bestimmen das aufwendige Buchprojekt. Zum einen möchten die Macher der Partei neue Lebensgeister einhauchen. Man müsse den Genossen mit Hilfe von August Bebel auf die Sprünge helfen. Befindet Günter Grass, nachzulesen im Buch.

    "An so einer konsequenten Person fehlt es heute in der Sozialdemokratie. Die SPD tut sich schwer damit zu erkennen, dass ihre Stunde geschlagen hat, dass wir eine soziale Situation, nicht nur in Deutschland, sondern insgesamt, haben – die längst die Stunde der Sozialdemokratie hätte werden müssen."

    Außerdem geht es den Herausgebern darum, einen ersten Impuls zu setzen, um endlich "mit den gutgesinnten Politikern der Partei "Die Linke" ins Gespräch zu kommen, was ihm, Bebel, nach Oskar Negt wohl gefallen würde. Manfred Bissinger:

    "Zu seiner Zeit gab es drei konkurrierende sozialistische Parteien – er hat die vereinigt und am Ende ist daraus die Sozialdemokratie entstanden. Dies wäre heute natürlich wieder zu vollbringen."

    Der Sammelband versteht sich nach eigenem Lob als eine "einzigartige Bestandsaufnahme", Perspektiven zu liefern für ein Zukunftsmanifest der SPD, eine Art Godesberger Programm - zweiter Teil.

    "Wenn man die einzelnen Gedanken aufnähme, könnte man dazu ein Manifest der künftigen Sozialdemokratie schreiben. Da käme natürlich auch drin vor, dass die Abhängigkeit, in die sie sich von den Grünen und den grünen Ideen gebracht hat, nicht unbedingt zu ihrem Vorteil sein muss und dass man die durchaus auch infrage stellen muss."

    Der einzige Clou in diesem Sammelband besteht darin, dass die Herausgeber sich weniger für ein rot-rot-grünes Bündnis zu erwärmen scheinen als für eine Wiedervereinigung der beiden linken Parteien. Nach Lafontaines Abgang und einem erwarteten Lagerwechsel der Grünen. Deren Positionen verwirft Fritz Vahrenholt, Ex-Manager bei RWE und früherer Hamburger Senator.

    "Die SPD drückt sich noch vor der Erkenntnis, dass der überstürzte Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohle sowie der überhastete massive Ausbau der Erneuerbaren (…) zu korrigieren sind. (…) Wir können ziemlich sicher sein, dass August Bebel die anti-industrielle grüne Positionierung nicht mitgetragen hätte."

    Doch dazu fällt einem nur noch der Steinbrück-Song aus dem zurückliegenden Wahlkampf ein:

    "Hätte, hätte, Fahrradkette! – hätte, hätte, könnte, könnte, müsste, müsste wer / wollte, wollte, würde, würde, wäre, wäre der."

    Manfred Bissinger/Wolfgang Thierse: "Was würde Bebel dazu sagen? Zur aktuellen Lage der Sozialdemokratie". Steidl Verlag, 496 Seiten, 24 Euro, ISBN: 978-3-869-30670-4