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Die Plumpheiten der Islamkritik

Einen ungewöhnlichen Beitrag zur Islamdebatte legt Patrick Bahners mit seinem neuen Buch "Die Panikmacher" vor. Die gesamte Debatte verrenne sich in einer Sackgasse, warnt Bahners, und das habe vor allem einen Grund: den schlechten Umgangston.

Von Thilo Guschas |
    Nun ist der "Dschihad in den Feuilletons" endgültig entfesselt. Dies schrieben Kritiker schon, als Patrick Bahners' Streitschrift "Die Panikmacher" erst angekündigt wurde. Dieser Eindruck ist nicht ganz abwegig, betritt doch mit Bahners, dem Feuilletonchef der FAZ, ein publizistisches Schwergewicht die Manege. Wird der Kritikertumult um den Islam nun noch hochkarätiger und abermals lauter? Dabei ist Bahners erklärtes Ziel gerade das Gegenteil: Schluss mit den chronischen Entgleisungen, fordert er. Schluss mit den Plumpheiten, die sich doch so offensichtlich selbst entlarven.

    Das Christentum ist ein System von Werten. Es hat die Toleranz hervorgebracht und kann deshalb gar kein Toleranzproblem aufwerfen. Der Islam ist ein Syndrom von Rechtsfertigungen für asoziales und kriminelles Verhalten. Die Stichwörter – Einsperren der Töchter, Zwangsehe, Ehrenmord – stammen aus der populären islamkritischen Literatur, deren Autorinnen in den Landtagsdebatten häufig als Autoritäten bemüht wurden.
    Statt Feuilleton-Dschihad versucht Bahners einen Vogelblick. Er dokumentiert, was aus den Parolen wird, die die sogenannten "Islamkritiker" ausgeben. Etwa in Gestalt des "Muslim-Tests", jener eigentümlichen bürokratischen Blüte: Muslime, die sich nach acht Jahren in Deutschland einbürgern lassen wollen, werden gefragt, wie sie es denn mit ihrer Religiosität halten. Ein fragliches Mittel, um Terroristen herauszufischen, dafür in seiner Diskriminierung umso wirksamer. Der Nährboden für diesen Fragebogen waren Parolen, zeichnet Bahners nach. Der Beamte, der den "Muslim-Test" entwickelte, stützte sich nicht auf die Expertise von seriösen Politik- und Islamwissenschaftlern, sondern ausschließlich auf Pamphlete der einschlägigen Islamkritiker wie die Publizisten Hendryk M. Broder, Udo Ulfkotte oder die Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek. Das gleiche Bild bei den Landespolitikern, die das umstrittene Kopftuchverbot für Lehrerinnen durchsetzten. Wie fraglich aber diese Quellen sind, zeigt Bahners am Beispiel von Necla Kelek. In einem Interview sprach sie mit dem Publizisten Roger de Weck über "säkulare Muslime".

    Als de Weck erzählte, dass er auch in islamischen Ländern viele Menschen getroffen habe, die so dächten wie sein Gast, nahm das Gespräch eine Wendung vom Metaphysischen ins Apokalyptische. Necla Kelek bestritt rundheraus, dass das stimmen könne. Sie glaube nicht, dass diese ihr unbekannten, namenlosen Muslime "wirklich innerlich säkular" seien, sie wisse auch nicht, welche Fragen de Weck "ihnen gestellt" habe. Indem sie aussprach, dass sie in der islamischen Welt nicht einmal auf Verbündete im Geiste zu hoffen hat, hatte sie die Frontlinie eines Weltbürgerkrieges gezogen.
    Die Angriffe gegen den angeblich lebensfeindlichen Islam haben selbst etwas Fanatisches. Patrick Bahners stellt bei Kelek, die in ihrer Doktorarbeit den Islam noch wohlwollend darstellte, die verräterisch-blinde Wut einer Konvertitin fest, die nun den Laizismus zur neuen Religion erhebt. Einige Pauschalbehauptungen zögen sich wie ein roter Faden durch die Attacken der Islamkritiker. Zu den Lieblingsmotiven zählt die Taqiyya – die islamische Überlieferung, nach der ein Muslim seine Religion verleugnen darf, wenn er in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt. Aus diesem eng begrenzten Sonderfall leiten die Islamkritiker ab: Muslime, die sich zur Demokratie bekennen, betrieben doch bloß Taqiyya. In Wahrheit seien sie Lügner im Auftrag von Allah.

    Die Islamkritiker bleiben entsprechende Belege für ihre These einer gesamtislamischen, entgrenzenden Rezeption der Doktrin der Taqiyya schuldig. In einem sunnitischen Polizeistaat wie Ägypten mögen heimische Islamisten ähnlicher Repression ausgesetzt sein wie früher die schiitischen Gegner der sunnitischen Kalifen. Aber im Westen genießen Islamisten Glaubensfreiheit. Es wäre also zu erklären und zu dokumentieren, ob heutige Lehrer der Taqiyya die seit der Urzeit festgehaltene Bedingung der äußersten Bedrängnis aufgegeben haben, oder ob sie den Frommen einreden, ihr bloßes Dasein sei für sie quasi lebensgefährlich. Im islamkritischen Internet werden alle Äußerungen von Muslimen, die keine Aufrufe zum Dschihad sind, als Taqiyya etikettiert.
    Bahners spürt Brüche treffsicher auf. Als Hermeneutiker ist er brillant, seine Gedankenführung - ein intellektueller Genuss. Doch er erreicht nicht die Schmissigkeit, mit der die Islamkritiker ihre Meinungen vortragen. Immer wieder neigt sein Stil zum Sperrigen. Das liegt am Frontverlauf. Was er tut, ist ein Entkräften, Zerlegen, Geraderücken. Er dokumentiert die Arbeit der Brandstifter. Das ist so verdienstvoll wie überfällig, aber es ist eine defensive Haltung. Argumente sind nun mal nicht so sexy wie die Vorurteile, die sie widerlegen sollen. Auch in einem anderen Punkt bleibt der Autor in seiner Rolle gefangen. Er analysiert vor allem die Meinungsmache der Islamkritiker. Auf die Ängste, mit denen sie so gekonnt spielen, auf die sozialen Probleme, die sie einseitig mit dem Islam erklären, kommt Patrick Bahners zwar zu sprechen – aber nur am Rande.

    Es ist wahr, dass zwischen der in bestimmten Einwanderermilieus nicht nur üblichen, sondern auch als normal ausgegebenen Gewalt gegen Frauen und Normen des islamischen Rechts ein Zusammenhang besteht und dass die Religionsfreiheit junger Musliminnen vor diesem Hintergrund eines besonderen tatsächlichen Schutzes bedarf, damit sie nicht trügerischer formaler Schein bleibt. Aber das Bild vom apokalyptischen Widersacher unserer Rechtsordnung, vom Kult der Frauenquäler mit dem Kopftuch als Symbol der rituellen Schändung ist die Ausgeburt einer überhitzten kollektiven Einbildungskraft.
    Von solch abwägender Dialektik, die nicht nur vorrangig die Gegner entlarvt, wünscht man sich durchaus noch mehr. In Patrick Bahners Buch hat sie noch keinen Platz. Er spricht selbst von einer "Streitschrift". Für mehr Gelassenheit ist die Zeit wohl noch nicht reif. Dennoch lässt sein Buch hoffen, ist es doch ein Beispiel für guten Debattenstil, der mit Argumenten arbeitet, statt die rhetorischen Taschenspielertricks des Feuilleton-Dschihads fortzusetzen.

    Thilo Guschas über Patrick Bahners: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift. C.H. Beck Verlag, 320 Seiten für 19 Euro und 95 Cent, ISBN 978-3-406-61645-7.