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Die Poesie des Nichthörbaren
Performance und Klanginstallation "Zero Decibels"

Auf einem Schallpegelmessgerät sind Null Dezibel gleichbedeutend mit Stille. Wie nimmt aber das menschliche Ohr diese Stille wahr? In der Inszenierung "Zero Decibels" von Daniel Dominguez Teruel auf den Hamburger Hallo Festspielen geht es um das Ausloten von Klangräumen und Grenzen des Hörerlebens.

Von Juliane Reil |
    Szene der Performance "Zero Decibels" auf den Hallo Festspielen Hamburg.
    Szene der Performance "Zero Decibels" auf den Hallo Festspielen Hamburg. (Lena Gröne / Hallo Festspiele)
    Tauben nisten und brüten gern mal in verlassenen Fabriken. Überall hinterlassen sie ihren Dreck und gurren pausenlos. Diese Exemplare hier singen jedoch – oder sagen wir besser: Sie jodeln.
    Die Kesselhalle im Kraftwerk Bille in Hamburg. Ein weitläufiger Raum mit rostigen, meterhohen Toren. In der Mitte ein riesengroßer Luftballon wie ein himbeerfarbener Mond. Darunter sitzt ein Mensch. Über dem Kopf eine Taubenmaske gestülpt. Aus dem Nichts heraus, ein Echo aus der Nebenhalle.
    Über die Grenzen des Hörens
    Als ob es das Normalste auf der Welt wäre, kommt plötzlich eine zweite "Menschentaube" auf dem Klappfahrrad in die Halle gefahren. Diese absurd-märchenhaften Bilder sind Teil von "Zero Decibels" – einer Mischung aus begehbarer Klanginstallation, Performance und Musiktheater in vier großen Räumen des Kraftwerks. Keine durchgängige Erzählung, sondern Stimmungen und Zustände erwarten den Besucher dort. Die Absurdität der Bilder korrespondiert dabei mit der des Titels.
    Dramaturgin Julia Jost: "Unter Null Dezibel stellt sich so gut wie jeder Stille vor. Und diese Art Stille gibt es nicht. Man kann mit einem Messgerät physikalisch messen und da gibt es eine Skala, die hat man sich ausgedacht, es ist ein Behelf. Und dann hat man da eine Null stehen. Das heißt aber nicht, dass es still ist."
    Zero Decibels hinterfragt Hörgewohnheiten und testet Grenzen des Hörens aus. Anders als im klassischen Konzert oder bei einem Pop-Event steht nicht der Künstler im Vordergrund. Stattdessen der Raum und das subjektive Hören. Dabei kommt es immer wieder zu akustischen Spannungsfeldern, die eine interessante Reibung erzeugen. Während versteckt hinter einer Mauer ein Kontrabassist live improvisiert, dröhnt in einer anderen Halle ein tief wummernder Elektronik- Bass durch die Wände.
    "Du hörst jetzt noch eine Tonhöhe, aber wenn es jetzt noch tiefer geht, kannst Du nicht mehr sagen, welche Tonhöhe das hat. Dann spürst Du das nur. Dann wackelt das Gebäude. Wie ein Erdbeben."
    Regisseur und Komponist Daniel Dominguez Teruel. Musik und Wahrnehmungspsychologie sind ein zentrales Interessengebiet des 33-Jährigen. Der Gedanke, Architektur als Akteur sichtbar zu machen, ist nicht neu, aber nach wie vor faszinierend. Ein Extrem: Der schalltote Raum, der Schallwellen vollkommen schluckt. Ein solcher wurde als sieben Meter langer Korridorschlauch auch für "Zero Decibels" gebaut. Gehen wir doch mal rein.
    Autorin: "Es fühlt sich aber gar nicht so beengt an, ne?"
    Julia schnippt mit den Fingern und klatscht in die Hände.
    Autorin: "Ja, es ist eigentlich wie eine Raumkapsel abgeschossen ins All."
    Julia: "Ja, voll."
    Der Körper als Klangkammer
    Die fehlende Schallreflexion in diesem Raum hat einen kuriosen Effekt. Im wahrsten Sinne des Wortes wird man auf sich selbst zurückgeworfen. Der eigene Körper die Klangkammer, in der man den eigenen Blutkreislauf pulsieren hört. Das hat ein stark meditatives Moment. Julia Jost sieht es auch als Kommentar zur westlichen Gesellschaft.
    "Das, was man hier erfährt, ist eine Art von Entschleunigung und das hat für mich damit zu tun, dass es unmittelbar ist. Wir leben in einer Gesellschaft, in der ich immer vor meinem Laptop sitze oder vor diesen anderen Geräten. Das ist alles medienvermittelt. Was wir versucht haben, ist den Zuseher wirklich mitzunehmen."
    Was auch gelingt. Menschliches Ohr und Körper werden zu den eigentlichen Messgeräten äußerer und innerer Klangwelten. Dabei wird auch die philosophische Frage nach dem Nichts gestreift. Gibt es das überhaupt? Die Antwort? – Nicht entscheidend, meint Daniel Dominguez Teruel, sondern:
    "Der Weg dahin, wo man hängenbleibt und was man dann auf dem Weg findet."