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Die Poetik der Klavierspielerin

Koldehoff: Über die Sprache hat sie gesprochen, über ihre Sprache und das war vor allem aufrichtig, denn für das, was aus ihrer Sprache entsteht hat die österreicherische Autorin Elfriede Jelinek in diesem Jahr den Nobelpreis für Literatur entgegengenommen. Ihre Nobelpreisrede wurde am Dienstagabend veröffentlich, gestern konnte sie gelesen, heute diskutiert werden, bevor dann morgen die offizielle Preisverleihung stattfindet in Abwesenheit der Preisträgerin. Die deutschen Feuilletons schwanken heute zwischen Verwunderung und Enttäuschung, weil die Rede gar so poethologisch und gar so unpolitisch war. Eine Kalauermaschine sei Jelinek gewesen, heißt es in der Süddeutschen, während die Frankfurter Allgemeine Zeitung von einer Heimat in der Sprache spricht. Ich habe den österreicherischen Schriftsteller Franz Schuh gefragt, wie er die Rede gehört hat, als sprachimmanentes Resümieren über die eigenen Möglichkeiten oder als Aussage im hier und jetzt?

Franz Schuh im Gespräch |
    Schuh: Ja, das ist deswegen eine so schwere Frage, weil eine solche Rede so gefasst ist, dass all das, was über sie gesagt wurde, man auch tatsächlich sagen kann. Man braucht nicht zu glauben, dass jemand, der so erfahren im Umgang mit Öffentlichkeit ist und mit öffentlicher Sprache ist, von diesen Einwänden und von diesen Zustimmungen etwa überrascht werden könnte. Das heißt, gute Reden sind solche, die im Prinzip immer, das, was über sie und gegen sie gesagt wird bis zu einem gewissen Grad von Souveränität selber schon enthalten. Ich möchte nur mal diese Kalauergeschichte besprechen. Das ist eine Sache, die in der österreicherischen Tradition, ich rede etwa von Ernst Jandl und seiner heruntergekommenen Sprache, eine Tradition hat. Man setzt sozusagen diese Kalauer ein, damit man ja nicht in den Verdacht der Hochgeistigkeit kommt. Und ich erinnere nur an Oswald Wieners wunderbare Formulierung, nicht reden, sondern stottern muss man lernen.

    Koldehoff: Sie nennen das Souveränität, könnt man auch von Kalkül sprechen?

    Schuh: Das kann man immer, und zwar deshalb, weil jeder, ich wiederhole die Eingangsdefinition, weil jeder, der Erfahrung mit der Öffentlichkeit hat, die sehr kalkülhaltig ist, die sehr kalkuliert funktioniert, selber mit einem Kalkül antwortet.

    Koldehoff: Was könnte das Kalkül der Elfriede Jelinek gewesen sein?

    Schuh: Das Kalkül ist zunächst mal Erwartungsenttäuschung. Nicht jeder erwartet und in Österreich war das besonders auffällig, die Rede, haben sie bemerkt, enthält gar keine Österreichkritik, das heißt, sie sind so masochistisch eingestimmt darauf, dass politische Kritik erfolgt. Und nun ist so ein öffentlicher Raum der ideale Raum für eine solche politische Kritik. Die ganze Welt würde einen Sartre etwa hören, wenn er vom Nobelpreis aus gesprochen hätte. Die ganze Welt würde Jelinek hören, wenn sie politisch gesprochen hätte von diesem Podium oder diesem Podest aus. Ne, sie macht das Umgekehrte, sie redet an dieser Stelle nicht politisch, sondern an dieser Stelle redet sie poethologisch.

    Koldehoff: Und vielleicht auch in historischem Kontext, wenn man diese Rede stellt in eine Tradition, die vielleicht mit Hofmannsthals Lord Chandos Brief beginnt und sich dann über die Wiener Schule, die Sie schon genannt haben, fortsetzt?

    Schuh: Das würde man dann sagen können, aber selbst da bin ich skeptisch, wenn man den Rest dieses Werkes nicht vor den Augen hat, sondern wenn man nur diese Rede an und für sich betrachtet. Ich bin zum Beispiel mit dem Heideggervergleich gar nicht sehr einverstanden, denn gewiss hat sich Heidegger Gedanken über die Sprache gemacht, aber er hat dafür eigentlich nichts anderes getan, als eine eigene Sprache erfunden. Also sozusagen eine Sprache, wo das Deutsche in eine merkwürdige philosophische Terminologie abgleitet. Und Heidegger hat mit guten Gründen seine Studenten immer gewarnt indem er ihnen sagte, heideggern sie nicht. Und Jelineks Sprache ist eben die umgekehrte, da gibt es nichts jelinekisierendes, sondern da hat sich die Sprache selbstständig gemacht. Und wenn sie mich fragen, dann würde ich sagen, womit diese Sprache ihrer Rede korreliert, dann ist es vor allem ein alter Text, ein Ursprung unserer abendländischen Bemühungen, Ovids, Metamorphosen. Dieses ständige sich Entziehen, Verwandeln, dieses Ansprechen der Sprache so wie im Mythos angesprochen wurden die Götter als bestimmte seiende Wesen, denen man bestimmte Handlungen unterstellen kann, damit man sozusagen die eigene Existenzfläche gut abdeckt mit diesen Göttern. Und vor allem dieses Entziehen, Verwandeln, auch das Kalauern, das ist sozusagen eine traditionelle Sprechweise über Metamorphosen.

    Koldehoff: Das Leere ist der Weg, ich bin sogar abseits der Leere, ich habe den Weg verlassen, sind wir da Zeugen einer großen Rede geworden?

    Schuh: Ja, was ist schon eine große Rede? Churchills Reden waren gewiss größere Reden. Aber das ist ja der merkwürdige Widerspruch an dieser Rede, dass Jelinek die Größe als solche, als Monumental ablehnt und gleichzeitig ist sie als eine große Autorin dort stehend wo die größten sozusagen in unserer Anerkennungsmaschine drinstehen, nämlich beim Nobelpreis und dieses Spiel dieses Widerspruchs, das ist sozusagen der eigentliche Inhalt der Rede.

    Koldehoff: Der österreicherische Autor Franz Schuh über die Nobelpreisrede von Elfriede Jelinek.