Koldehoff: Sie nennen das Souveränität, könnt man auch von Kalkül sprechen?
Schuh: Das kann man immer, und zwar deshalb, weil jeder, ich wiederhole die Eingangsdefinition, weil jeder, der Erfahrung mit der Öffentlichkeit hat, die sehr kalkülhaltig ist, die sehr kalkuliert funktioniert, selber mit einem Kalkül antwortet.
Koldehoff: Was könnte das Kalkül der Elfriede Jelinek gewesen sein?
Schuh: Das Kalkül ist zunächst mal Erwartungsenttäuschung. Nicht jeder erwartet und in Österreich war das besonders auffällig, die Rede, haben sie bemerkt, enthält gar keine Österreichkritik, das heißt, sie sind so masochistisch eingestimmt darauf, dass politische Kritik erfolgt. Und nun ist so ein öffentlicher Raum der ideale Raum für eine solche politische Kritik. Die ganze Welt würde einen Sartre etwa hören, wenn er vom Nobelpreis aus gesprochen hätte. Die ganze Welt würde Jelinek hören, wenn sie politisch gesprochen hätte von diesem Podium oder diesem Podest aus. Ne, sie macht das Umgekehrte, sie redet an dieser Stelle nicht politisch, sondern an dieser Stelle redet sie poethologisch.
Koldehoff: Und vielleicht auch in historischem Kontext, wenn man diese Rede stellt in eine Tradition, die vielleicht mit Hofmannsthals Lord Chandos Brief beginnt und sich dann über die Wiener Schule, die Sie schon genannt haben, fortsetzt?
Schuh: Das würde man dann sagen können, aber selbst da bin ich skeptisch, wenn man den Rest dieses Werkes nicht vor den Augen hat, sondern wenn man nur diese Rede an und für sich betrachtet. Ich bin zum Beispiel mit dem Heideggervergleich gar nicht sehr einverstanden, denn gewiss hat sich Heidegger Gedanken über die Sprache gemacht, aber er hat dafür eigentlich nichts anderes getan, als eine eigene Sprache erfunden. Also sozusagen eine Sprache, wo das Deutsche in eine merkwürdige philosophische Terminologie abgleitet. Und Heidegger hat mit guten Gründen seine Studenten immer gewarnt indem er ihnen sagte, heideggern sie nicht. Und Jelineks Sprache ist eben die umgekehrte, da gibt es nichts jelinekisierendes, sondern da hat sich die Sprache selbstständig gemacht. Und wenn sie mich fragen, dann würde ich sagen, womit diese Sprache ihrer Rede korreliert, dann ist es vor allem ein alter Text, ein Ursprung unserer abendländischen Bemühungen, Ovids, Metamorphosen. Dieses ständige sich Entziehen, Verwandeln, dieses Ansprechen der Sprache so wie im Mythos angesprochen wurden die Götter als bestimmte seiende Wesen, denen man bestimmte Handlungen unterstellen kann, damit man sozusagen die eigene Existenzfläche gut abdeckt mit diesen Göttern. Und vor allem dieses Entziehen, Verwandeln, auch das Kalauern, das ist sozusagen eine traditionelle Sprechweise über Metamorphosen.
Koldehoff: Das Leere ist der Weg, ich bin sogar abseits der Leere, ich habe den Weg verlassen, sind wir da Zeugen einer großen Rede geworden?
Schuh: Ja, was ist schon eine große Rede? Churchills Reden waren gewiss größere Reden. Aber das ist ja der merkwürdige Widerspruch an dieser Rede, dass Jelinek die Größe als solche, als Monumental ablehnt und gleichzeitig ist sie als eine große Autorin dort stehend wo die größten sozusagen in unserer Anerkennungsmaschine drinstehen, nämlich beim Nobelpreis und dieses Spiel dieses Widerspruchs, das ist sozusagen der eigentliche Inhalt der Rede.
Koldehoff: Der österreicherische Autor Franz Schuh über die Nobelpreisrede von Elfriede Jelinek.