Es ist trivial: Wer lesen will, braucht Zugang zu Lesestoff. In Ägypten ist das aber nicht so einfach. Im Land mit der mehrere tausend Jahre alten Schriftlichkeitskultur ist ein Buch ein Luxusgut geworden:
"Die Kaufkraft der Ägypter ist minimal, die Leute können es sich nicht leisten, ein Buch für 10 Dollar zu kaufen, wenn ein Lehrer 100 Dollar verdient. Und das ist natürlich auch ein Problem."
So der Deutsch-Iraker Hussain al-Mozany beim Forum "Weltempfang" der diesjährigen Buchmesse. Er stellte dort das Projekt "Beirut Short Stories" vor, in dem seit Jahren jungen Autoren aus dem Libanon und zuvor aus Ägypten Techniken des literarischen Schreibens von Kurzgeschichten vermittelt werden. Das unter anderem vom Goethe-Institut Beirut unterstütze Projekt startete in der Hochphase des sogenannten "Arabischen Frühlings" vor sechs Jahren.
Politische Lage in Ägypten sehr schwierig für Autoren
Stephan Milich, Arabist und Islamwissenschaftler an der Uni Köln, saß in der Jury, die Autoren für die Schreibwerkstatt mit den arabischen Schreibtalenten auswählte. Insbesondere die Arbeitsbedingungen der ägyptischen Schriftsteller seien angesichts der politischen Lage im Lande sehr schwierig, so Milich:
"Das kann lebensgefährlich sein zurzeit und deswegen gibt es junge Leute, die versuchen, Ägypten zu verlassen. Aber gleichzeitig bietet natürlich das literarische Schreiben in dieser schwierigen Zeit eine Möglichkeit, sich auszudrücken. Manche mutige AutorInnen zum Beispiel Basma Abdel Aziz sind da sehr geschickt und schreiben wunderbare Literatur."
"Für jeden inhaftierten Journalisten springt ein anderer ein"
Diese Literatur müsse aber auch dringend ins Deutsche übersetzt werden, so das Plädoyer an die hiesigen Verlage. Übersetzungen in europäische Sprachen – die könnten auch den 130 Schriftstellern und Journalisten helfen, die zurzeit in türkischen Gefängnissen sitzen. Das betonte auf der Buchmesse Can Dündar, der selbst vor kurzem Häftling war, weil er sich mit den türkischen Staatschef Erdogan angelegt hatte. Er platzierte in Frankfurt eine konkrete Idee, wie hiesige Massenmedien dazu beitragen könnten, das Mundtot-Machen von Journalisten in der Türkei zu verhindern:
"Wenn deutsche Journalisten die halb liegengebliebenen Stories der Inhaftierten weiterschreiben, wäre das eine Unterstützung. Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, in Kolumnen in deutschen Zeitungen zu schreiben, wäre das eine Unterstützung. Und so würde die Regierung endlich einsehen müssen, dass man mit Repressionen rein gar nichts erreichen kann. Das für jeden inhaftierten Journalisten ein anderer einspringen wird und das diese Journalisten umso mehr hörbar werden in der Welt."
Verpöbelung des öffentlichen Diskurses im Internet
Auch das Internet ist für verfolgte Autoren ein möglicher Weg, hörbar und vor allem lesbar zu werden. Doch das Netz ist längst nicht mehr ungebrochen der Raum emanzipatorischer Bewegungen. Im Gegenteil, das Internet trägt massiv dazu bei, den öffentlichen Diskurs mehr und mehr mit Hass zu durchziehen, konstatiert wie viele andere Intellektuelle auf der Buchmesse der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen:
"Wir erleben eine Verpöbelung des öffentlichen Diskurses. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt: Wir erleben eine maximale – Trump ist hier gleichsam die Chiffre für diesen Prozess - eine maximale Polarisierung des öffentlichen Diskurses. Und der dritte Punkt: Wir haben mit den wunderbaren digitalen Überall-Medien Instrumente in der Hand und gleichsam immer in der Tasche, die sich nicht nur dazu eignen, andere, fremde Welten und Kulturen kennenzulernen, sondern systematisch Konfliktintensivierung zu betreiben."
Gravierender Strukturwandel der Öffentlichkeit
Konflikte werden schon alleine durch die pure Geschwindigkeit des Informationsumschlags verstärkt – dafür steht etwa Twitter. Das Internet werde auch mehr und mehr zu einer "Echokammer", in der sich die oft hasserfüllten Äußerungen von Populisten immer wieder selbst verstärken. So formuliert es der britische Historiker Timothy Garton Ash. Dass private Konzerne wie Google oder Facebook de facto die Redefreiheit im Netz kontrollieren, ist für ihn ein gravierender Strukturwandel der Öffentlichkeit:
"Klassisch gesehen war der Staat die Macht, die die Redefreiheit eingeschränkt hatte. Zumal in einer Diktatur. Aber wir leben jetzt in einer Welt, wo die privaten Supermächte Facebook, Google, Twitter genauso entscheidend sind, was unsere effektive Redefreiheit angeht. Wäre Facebook ein Land, wäre es das bevölkerungsreichste Land der Welt. 1,7 Milliarden Benutzer, größer als China."
Facebook – eine neue Supermacht mit bekanntlich eigenen Vorstellungen zur Freiheit des Wortes und auch des Bildes. Timothy Garton Ash erinnerte noch einmal an die unlängst bekannt gewordene Facebook-Zensur des Fotos des verzweifelten Mädchens aus dem Vietnamkrieg, das vor einer Napalmbombe flieht:
"Wir brauchen nicht darüber diskutieren- im öffentlichem Interesse, das zu sehen! Und da müssen wir wirklich aufwecken und aufpassen, dass die neue Zensur nicht vom Staat, sondern von den privaten Supermächten kommt."