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Die Politisierung von Tiktok
Junge User nutzen die Videoplattform für politische Statements

Die chinesische App Tiktok ist vor allem bei ganz jungen Leuten beliebt - und mittlerweile die am schnellsten wachsende Plattform der Welt. Eigentlich als reines Unterhaltungsmedium für lustige kurze Videos gedacht, werden auf Tiktok jetzt zunehmend auch politische Statements geteilt.

Von Brigitte Baetz |
Ein Junge hält sein Smartphone in die Kamera, auf dem die App TikTok geöffnet ist
Die beliebte Kurzvideo-App TikTok gehört zu dem chinesischen Konzern ByteDance (dpa / MAXPPP/ Chibane)
"Das ist die neueste Verschwörungserzählung der AfD. Deutschland drohe systematischer Wahlbetrug bei der Briefwahl." Der Sozialdemokrat Lutz Liebscher, Landtagsabgeordneter in Thüringen, ist einer von wenigen deutschen Politikern, die die Plattform Tiktok aktiv nutzen. Mehr als 12.000 Follower hat er inzwischen.
Das sind zwar für eine App, die weltweit mehr als 800 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer verzeichnet, eher kleine Zahlen - aber mit seinen Botschaften erreicht er damit eine Zielgruppe, die sonst wenig Kontakt zur offiziellen Politik hat: die der 13- bis 24-jährigen.
Auch die 14-jährige Malina aus Köln hält sich digital vor allem auf Tiktok auf: "Das Ding bei Tiktok ist , dass man nicht nur Sachen sieht von Leuten, denen man folgt, sondern deine Hauptseite, die Startseite ist halt das, was dir vom Algorithmus vorgeschlagen wird. Und deshalb lernst du mehr von anderen Leuten kennen und Videos von Leuten, die du auch sonst nicht kennst."

Tiktok-Fans gegen Trump

Seitdem sich Menschen im vergangenen Jahr via Tiktok dazu verabredet hatten, einen Wahlkampfauftritt von Donald Trump zu boykottieren und Tickets dafür zu buchen, die dann nicht genutzt wurden, spricht man von einer Politisierung der Plattform – auch wenn es bis heute nicht geklärt ist, ob Tiktok dort wirklich eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Die Gymnasiastin Malina war jedenfalls angetan: "Ich fand es schon lustig. Und ich fand das auch ein Zeichen, dass Leute, die jetzt noch nicht wählen dürfen zum Beispiel, auch was ausrichten können. Ich meine natürlich, die Methode ist jetzt vielleicht ein bisschen fragwürdig. Aber wir können halt noch nicht wählen, und wir wollen halt irgendetwas machen und wissen nicht, wie. Und natürlich, man kann vielleicht mal auf einen Protest gehen. Aber das kann auch gefährlich sein, man weiß nie so wirklich. Und oftmals weiß man halt einfach nicht, wie man sich politisch engagieren soll. Und so ein 'Streich' ist dann noch die beste Art, sich irgendwie politisch zu engagieren."
Eine Frau seht mit zur Seite ausgestreckten Armen und einem offenen Mund vor der Smartphone-Kamera.
So war Tiktok gedacht: Singen und tanzen (unsplash / Amanda Vick)

Statements für Black Lives Matter

Die US-Amerikanerin Charli d'Amelio ist die bekannteste Tiktokerin der Welt. Ältere werden in ihren Videos nicht mehr als eine Teenagerin sehen, die in ihrem Zimmer zur Musik anderer die Lippen bewegt und tanzt. Doch weit über 105 Millionen Abonnenten gefällt das. Ein Erfolg, der die 16-Jährige auch dazu ermuntert hat, sich zu engagieren für Black Lives Matter. D' Amelio sieht sich als Influencerin dazu verpflichtet, sich gegen die Ungleichbehandlung von Menschen auszusprechen und darüber aufzuklären, wie sie auf Tiktok erklärte.

"Auf Tiktok sind die User selbst die Nachricht"

Juan Carlos Medina Serrano ist Datenwissenschaftler an der TU München und hat sich mit der politischen Kommunikation auf Tiktok beschäftigt. Auch er konstatiert eine Politisierung der Plattform - vor allem in den USA, wo die Politik mehr als in Deutschland auch Entertainment sei: "Politische Kommunikation ist ganz anders auf Tiktok als auf anderen sozialen Medien, weil auf Tiktok die User selbst die Nachricht sind. Die teilen selten Artikel oder Videos aus anderen Quellen, sondern sie sind die Stars."
Videos auf Tiktok können nicht länger sein als eine Minute. Für den Wissenschaftler Medina Serrano Vorteil und Nachteil zugleich: "Das heißt, die Argumente müssen prägnant und präzis sein. Man kann nicht 15 Minuten lang über ein Thema reden. Das heißt, es macht auch die politische Kommunikation sehr interaktiv und schnell. Aber das kann auch ein bisschen alles polarisieren."

Fakenews verbreiten sich weniger schnell

Ein Austausch von Argumenten sei allerdings durchaus möglich, so Medina Serrano, vor allem durch das Tool der sogenannten Duette, also mit Videos, die auf andere Videos reagieren: "Das ursprüngliche Video wird neben dem Duett im Bildschirm nebeneinander gezeigt. Und es ist auch möglich, ein Duett auf ein Duett zu machen. Das heißt, dann werden die drei oder vier oder fünf Videos am Bildschirm gleichzeitig gezeigt. Die ganze Kommunikationskette wird gezeigt. Man muss nicht runterscrollen, um die Kommentare zu lesen. Und das macht es interaktiv, und man kann die ganze Kommunikation oder Argumente auch sehen."
Das Gute an Tiktok: Falschmeldungen haben es ungleich schwerer als bei anderen Plattformen, sagt Medina, denn man kann nicht einfach retweeten oder teilen. Man muss dann schon dazu ein Video drehen. Ob und wie sich im deutschen Wahljahr 2021 die Politisierung von Tiktok zeigen wird, ist bisher noch offen. Der aktuelle Trend jedenfalls, in Deutschland und weltweit, ganz unpolitisch: Videoduette mit Seemannsmusik.