Zu den Entwicklungen in Russland heißt es in der NEW YORK TIMES: "Selbst wenn die unmittelbare Bedrohung durch die rebellische Söldnerarmee von Jewgeni Prigoschin offensichtlich beendet ist, deutet der kurzlebige Aufstand darauf hin, dass Putins Machtposition so schwach ist wie noch nie seit seinem Amtsantritt vor mehr als zwei Jahrzehnten. Die Wagner-Gruppe galt als die effektivste russische Streitmacht auf dem Schlachtfeld, aber da ihr Anführer offenbar ins Exil nach Weißrussland geht und ihre Truppen vom russischen Verteidigungsministerium übernommen werden, ist sie möglicherweise nicht mehr die wilde Kampfeinheit, die sie bisher war. Zum Unglück für die Ukraine endete der Prigoschin-Aufstand, bevor größere russische Truppen zum Schutz Moskaus von der Front abgezogen wurden", unterstreicht die NEW YORK TIMES.
Die RHEINPFALZ AM SONNTAG bewertet die gestrigen Ereignisse so: "Was da geschehen ist, stellt eine Explosion im Maschinenraum der Macht dar: Wladimir Putin, seit 23 Jahren an der Spitze des Staats mit den meisten aktiven Atomwaffen, des geografisch größten Landes der Erde, erlebt die dramatischsten Stunden seines politischen Lebens. Wagnerchef Prigoschin muss weiter um sein Leben bangen. Den Rückzug seiner Truppen anzukündigen, mag ihm ein zweites politisches Leben schenken, nachdem die juristischen Schritte gegen ihn am Freitagabend sein sicheres Ende, wenn nicht seine Exekution, einzuläuten schienen. Am Ende eines dramatischen Tags gibt es erstmal nun einen Sieger: Kiew, das neue Hoffnung schöpft, diesen Krieg wirklich gewinnen zu können", heißt es in der RHEINPFALZ AM SONNTAG.
"Noch nie hat Putin eine größere Krise erlebt", erklärt die norwegische Zeitung DAGBLADET. "Seine Landsleute müssen erkennen, dass sich sein Kriegsabenteuer in der Ukraine nun gegen Russland selbst wendet. Prigoschin hat ausgesprochen, was viele Russland längst geahnt haben: Der Krieg in der Ukraine läuft schlecht, es gibt viel mehr Tote als offiziell angegeben, die militärischen Entscheidungen waren katastrophal, und die Armeeführung ist korrupt. Putin fällt jetzt seine eigene Regierungsform auf die Füße. Er hat ein System etabliert, in dem sich Fraktionen gegenseitig bekämpfen, während er einfach nur zusieht. Nun aber hat Prigoschin gezeigt, dass der Kaiser nackt ist. Immer mehr Russen erkennen, dass der von Putin persönlich ausgelöste Krieg eine Katastrophe ist. Welche Schlussfolgerungen sie daraus oder zu Prigoschin ziehen, ist allerdings noch mal eine ganz andere Frage", betont DAGBLADET aus Oslo.
Die BERLINER MORGENPOST kommentiert: "Die schnelle 'Spezialoperation', mit der Russland den ukrainischen Nachbarn überfallartig überrollen wollte, wird für Russlands Präsident Wladimir Putin nach 16 Monaten endgültig zum Albtraum. Der Kampf mit den eigenen Söldnern der russischen Wagner-Gruppe ist der letzte Beweis: Moskau hat nichts, aber auch gar nichts in diesem Krieg im Griff. Viel zu lange führte der militärische Autodiktat und ehemalige Lieblingsgastronom Putins, Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin, im Krieg ein Eigenleben. Erst mit brutalsten, völkerrechtswidrigen Attacken seiner 'Gruppe Wagner' auf die Ukrainer. Dann mit der Rekrutierung von Schwerverbrechern, die er als Kanonenfutter in die ukrainischen Linien trieb. Und zuletzt mit maßloser Kritik an der regulären russischen Armee. Es ist ein absolutes Rätsel, warum Putin Prigoschin so lange gewähren ließ. Andere Verräter waren schon längst geflohen oder aus dem Fenster 'gestürzt'", schreibt die BERLINER MORGENPOST.
Der britische GUARDIAN kommt zu folgendem Schluss: "Diese Demonstration der Schwäche Russlands macht nur noch deutlicher, wie wichtig es ist, die Ukraine weiterhin uneingeschränkt zu unterstützen. Die Behauptung, dass Russland nicht besiegt werden kann und es daher besser ist, es nicht zu versuchen und stattdessen eine 'Verhandlungslösung' der einzige Weg nach vorn ist, wurde durch diese internen Streitigkeiten umfassend torpediert. Prigoschins Herausforderung an Moskau war eine Konfrontation zwischen einem Psychopathen, der eine Bande mörderischer Verbrecher anführt, und einem Mafiaboss, der im Kreml sitzt und den Reichtum Russlands unter seinen Kumpanen aufteilt. Letztlich ist aber ein geschwächtes Russland eine gute Nachricht für alle anderen", ist der GUARDIAN aus London überzeugt.
"Der Wagner-Aufstand ist der Anfang vom Ende des Putin-Regimes", glaubt NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Japan. "Damit die Lage endgültig deeskaliert, müssten wohl Verteidigungsminister Schoigu oder Generalstabchef Gerassimov gehen. Das bedeutet, dass Putin die Rückendeckung durch das Militär verliert, das voll mit Putins Gefolgschaft besetzt ist. Putin ist ein Kaiser ohne Kleider. Dass über eine Flucht Putins mit einer Regierungsmaschine nach Sankt Petersburg spekuliert wurde, zeigt, dass er seine Macht und Autorität verliert. Beklagenswert ist die Lage für die russischen Soldaten, die an die Front in der Ukraine geschickt wurden. Vielleicht ist für sie nun die Zeit gekommen, die Waffen niederzulegen und die Front zu verlassen", überlegt NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Die aserbaidschanische Zeitung MÜSAVAT geht auf die Verhandlungen mit Prigoschin ein, die vom belarussischen Staatschef Lukaschenko geführt wurden: "Es scheint, dass Putin diese schwierige Aufgabe Lukaschenko anvertraut hat, weil er weiß, dass der belarussische Präsident in solch schwierigen Verhandlungen diplomatisch geschickt ist. Aber es ist nicht davon auszugehen, dass Putin jemals einer Person verzeihen wird, die eine Waffe auf ihn gerichtet hat. Prigoschin begab sich zweifellos ins Feuer, und mit Hilfe von Lukaschenko verstand er, dass in der gegenwärtigen Situation niemals eine zweite Front gegen die Zentralregierung eröffnet werden darf. Putins Lage ist nicht verzweifelt, für ihn geht es jetzt nicht darum, Stärke zu zeigen, sondern darum, die Wagner-Truppe unter Kontrolle zu bringen, um die Spannungen und die Aufstandsstimmung im Land zu beruhigen. Für Putin ist es wichtig, Zeit zu gewinnen. Allerdings sollte er sich fragen, wie es zu diesem Aufstand kommen konnte", empfiehlt MÜSAVAT aus Baku.
Der Berliner TAGESSPIEGEL befasst sich mit dem vom Bundestag beschlossenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz: "Deutschland befindet sich in einem globalen Wettbewerb um den Zuzug von Menschen, die hier arbeiten wollen und können. Nicht Migration ist das Problem, sondern die Überalterung der Gesellschaft, verbunden mit schrumpfenden Wirtschaftsleistungen. Was tun? Die Ampel-Koalition hat das Problem erkannt, packt es mit ihrem Fachkräfteeinwanderungsgesetz aber noch zu zaghaft an. Es ist höchste Zeit, sich über den Sinn und Widersinn von Abschiebungen Gedanken zu machen. Was spricht dafür, gut integrierte, aber abgelehnte Asylbewerber, die weder straffällig geworden sind noch falsche Identitätsangaben gemacht haben, abzuschieben? Eine Abschiebung 'um des Prinzips willen' ist inhuman, unsinnig und oft ein Akt der Steuerverschwendung", findet der TAGESSPIEGEL.
Für die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG wirft das Gesetz Fragen auf: "Kann solch eine migrationspolitische Planwirtschaft in der Praxis funktionieren? Und ist sie überhaupt wünschenswert? Politisch ist das Streben verständlich, die Dinge steuern und kontrollieren zu wollen. Ökonomisch bleibt es in einer Marktwirtschaft unverzichtbar, ein gewisses Maß an Chaos zuzulassen - und auch die Regeln an die wechselnden Erfordernisse anzupassen. War früher nur von einem Bedarf an hoch bezahlten IT-Fachkräften die Rede, so fehlen heute Arbeitskräfte jedes Qualifikationsniveaus. Galten zuletzt noch umständliche Integrationskurse als das Maß aller Dinge, so geht der Trend inzwischen zum learning on the job. In vielen dieser Punkte bedeutet das neue Einwanderungsrecht tatsächlich einen Fortschritt. Man sollte nur nicht glauben, damit seien die Dinge ein für alle Mal geregelt."