10. September 2023
Die Presseschau

Heute geht es vor allem um den G20-Gipfel in Indien. Hören Sie zum Auftakt aber einen Kommentar zu dem schweren Erdbeben in Marokko.

Das Foto zeigt Rettungskräfte auf der Suche nach Überlebenden nach dem Erdbeben in Marokko.
Auch das Erdbeben in Marokko ist Thema in der Sonntagspresse. (AFP / FADEL SENNA)
Die spanische Zeitung EL PAIS fordert angesichts der Katastrophe Solidarität mit dem Land. „Naturkatastrophen sind oft ein besonderer Moment im Verhältnis zwischen Nachbarländern – vor allem, wenn es Streitigkeiten gibt, die die Beziehungen belasten oder gar zerrüttet haben. So hat Algerien zwar 2021 die Beziehungen zu Rabat abgebrochen. Nun sollen aber wieder Flugverbindungen nach Marokko aufgenommen werden, um den Transport von Hilfsgütern und Verletzten zu erleichtern. Es bleibt zu hoffen, dass die durch die Tragödie ausgelöste Solidarität das Verhältnis zwischen diesen beiden Maghreb-Ländern verbessert“, unterstreicht EL PAIS aus Madrid.
Nun zum Gipfel der G20-Gruppe in Neu Delhi. Die indische HINDUSTAN TIMES ist geradezu euphorisch. „Dieses Wochenende wird als Auftakt einer neuen Phase der indischen Diplomatie in Erinnerung bleiben. Vor dem Treffen ist viel Tinte dafür verschwendet worden, wie schwierig es doch sein werde, einen Konsens zu finden. Und wie kompliziert es doch sei, 20 Nationen von einer gemeinsamen Agenda zu überzeugen, die geopolitisch und ideologisch so wenig gemeinsam haben. Das auch nur zu versuchen, schien vielen nahezu unmöglich – nicht zuletzt wegen der außergewöhnlichen Herausforderungen, vom Krieg in der Ukraine bis zur allgegenwärtigen Bedrohung des Klimawandels. Und dann verkündete Premier Modi schon am ersten Tag des Gipfels, dass die Abschlusserklärung offiziell angenommen wurde. Indiens Gipfelorganisator Amitabh Kant sprach von einem beispiellosen globalen Konsens – ohne Fußnoten oder abweichende Meinungen“, legt die HINDUSTAN TIMES aus Neu Delhi dar.
Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN lässt einen Gastkommentator zu Wort kommen, der sich mit dem Ringen der G20 um die Passage zum Krieg in der Ukraine befasst. „In die Abschlusserklärung wurde die Formulierung ‚russische Invasion‘ nicht mit aufgenommen. Das kann man zwar als großen Rückschritt bewerten. Und von Seiten der Ukraine kommt bereits deutliche Kritik. Andererseits gibt es in der Erklärung auch Formulierungen wie die eines gerechten, nachhaltigen Friedens für die Ukraine. In Neu-Delhi haben die Staats- und Regierungschefs es wohl bevorzugt, dass überhaupt eine Erklärung zustande kommt. Eine, die in die Zukunft ausgerichtet ist, um die G20 als internationalen Rahmen beizubehalten. Diese Entscheidung ist strategisch gar nicht schlecht. Denn die G20 sind eines der Foren, um sich mit dem Globalen Süden zu befassen. Das zeigt auch die Aufnahme der Afrikanischen Union.“ Sie hörten einen Gastkommentar aus ASAHI SHIMBUN, die in Tokio erscheint.
Die TIMES OF INDIA schreibt in ihrer Analyse: „Der Durchbruch wurde erleichtert, weil Indien sich die Unterstützung der aufstrebenden Wirtschaftsmächte Brasilien, Südafrika und Indonesien sichern konnte. Die Bedeutung der Erklärung lässt sich nicht nur daran ablesen, dass verschiedene Seiten einer Kompromiss-Formulierung zur Ukraine zugestimmt haben. Vielmehr zeigte sich auch der wachsende geopolitische Einfluss Indiens, denn die Staaten haben Prioritäten akzeptiert, die Premier Modi vorgab. Die Erklärung katapultiert Indien geradezu in den Status einer Führungsnation des globalen Südens – auch weil das Land erfolgreich für die Aufnahme der Afrikanischen Union in die G20 eintrat. Das trägt auch dazu bei, den chinesischen Einfluss in Afrika etwas abzuschwächen. Der Beitritt der AU ist die bislang größte Aufnahme von Schwellenländern in eine mächtige Gruppierung – und das auf einen Schlag“, kommentiert die TIMES OF INDIA, die in Mumbai erscheint.
Die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO geht darauf ein, dass beim G20-Gipfel auch die globale Lebensmittelsicherheit auf der Tagesordnung steht. „Das ist sehr zu begrüßen. Allerdings hätte Indien als zweitgrößter Produzent von Reis und Weizen mehr tun können. Die Vereinten Nationen haben sich zum Ziel gesetzt, dass bis 2030 kein Mensch mehr hungern muss. 2022 litten aber weltweit noch mehr als 700 Millionen Menschen an Hunger. Schätzungen zufolge wird sich diese Zahl bis 2030 lediglich um 100 Millionen reduzieren. Die indische Regierung bezeichnet sich gern als Sprecherin des globalen Südens. Zugleich hat sie aber leider vor einem Jahr und in diesem Juli Verbote für Reisexporte angeordnet. Die Weltmarktpreise für Getreide sind daraufhin umgehend gestiegen. Es ist gut, dass dieses Problem im Format der G20 thematisiert wird. Es bedarf jedoch mehr internationaler Zusammenarbeit im Kampf gegen den Klimawandel und in der nachhaltigen Entwicklung und Modernisierung der Landwirtschaft. China soll und will einen Beitrag dazu leisten“, betont HUANQIU SHIBAO aus Peking.
ZEIT ONLINE nimmt die Rolle Chinas in der G20 genauer in den Blick. „Bei einer vom Westen – und in erster Linie von den USA – dominierten Welt macht China nicht mehr mit. Nach Neu-Delhi ist der chinesische Präsident Xi Jinping gar nicht erst angereist, er schickte seinen Regierungschef. Xi rückt derweil noch ein wenig näher an Putin heran, als er es in den vergangenen zwölf Monaten bereits getan hat. Ein G20-Treffen ohne Chinas De-facto-Alleinherrscher ist ein bisschen so, als fliege man um die halbe Welt, um die Rolling Stones zu sehen – und dann treten die Scorpions auf. Die Abwesenheit Xis in Neu-Delhi gilt China-Kennern als Indiz dafür, dass Chinas Staatschef intensiv daran arbeitet, ein Gegengewicht zum Westen aufzubauen. Die multipolare Welt, von der Bundeskanzler Scholz so oft und so gern spricht, entwickelt sich gerade – und zwar schneller, als es vielen recht sein kann. Und in eine Richtung, die im Westen eher Ernüchterung hervorruft als Euphorie“, heißt es bei ZEIT ONLINE.
Die NZZ am Sonntag befasst sich mit dem Verbot von Abayas, also knöchellangen Übergewändern, an Schulen in Frankreich. „Ist die strenge Trennung von Staat und Religion in Frankreich in Gefahr, wenn einige Schülerinnen die Abaya tragen? Unterwandern die Islamisten die Schulen, wenn man das lange Überkleid zulässt, das Frauen in vielen islamischen Ländern tragen? Der neue Bildungsminister ist dieser Ansicht und hat darum die Abaya auf das neue Schuljahr hin verbannt. Mit dem Verbot mag er zeigen, dass er beherzter als sein Vorgänger den Rechten den Wind aus den Segeln nimmt. Trotzdem überzeugt die Maßnahme nicht. Die Mädchen werden andere Wege finden, um ihre Frömmigkeit herauszustreichen. Schon die Abaya zogen sie als Ersatz für das verbotene islamische Kopftuch an. Vor allem aber gibt es dringendere Probleme: Die kürzlichen schweren Ausschreitungen in den Banlieues haben gezeigt, dass der Staat den Einwandererkindern zu wenig das Gefühl vermittelt, zur französischen Gesellschaft zu gehören. Hier muss man mehr tun. Doch das ist natürlich eine ungleich schwierigere Herausforderung, als flugs ein Kleidungsstück zu verbieten“, findet die NZZ am Sonntag aus Zürich.
Der TAGESSPIEGEL AM SONNTAG veröffentlicht einen Kommentar zum Thema Migration. „In absoluten Zahlen wurden im ersten Halbjahr in Deutschlandmehr als doppelt so viele Asylanträge gestellt wie in Frankreich oder in Spanien. Das zeigt: Ohne eine europäische Lösung geht es nicht. Ankunftsländer wie Italien müssen entlastet werden. Aber ein immer noch wirtschaftsstarkesLand wie Deutschland darf auch nicht überfordert werden.Deshalb ist es gut, dass die EU zur Begrenzung der Migration Abkommen mit Staaten wie Tunesien schließen will. Sicher ist die Zusammenarbeit mit dem autoritären tunesischen Präsidenten Kais Saied heikel. Aber dennoch müssenDrittländer wie Tunesien eingebunden werden, um Schleppern das Handwerk zu legen. Das Prinzip ist dabei stets dasselbe: Die EU gibt Geld und sichert sich im Gegenzug Kooperation bei der Migrationspolitik.“ Das war zum Abschluss der Presseschau der TAGESSPIEGEL AM SONNTAG.