"Die strategische Partnerschaft mit Tunesiens Autokraten Kais Saied ist eine Schimäre aus Papier. Eine Milliarde Euro versprach die EU dem bankrotten nordafrikanischen Staat, der im Gegenzug irreguläre Migration unterbinden sollte. Doch seit der Unterzeichnung der Absichtserklärung sind noch viel mehr Menschen als vorher in klapprigen Booten von der tunesischen Küste nach Italien aufgebrochen. Die tunesischen Behörden sehen keine Veranlassung, in Vorleistung zu treten. Im Gegenteil: Die überforderte Küstenwache sieht intensiver denn je weg, bevor der Migrationsdeal in Kraft tritt. Und Präsident Saied höchst selbst treibt Subsahara-Afrikaner mit rassistischer Hetze aus dem Land. Überbrückungsgeld holte sich der Staatschef inzwischen unter anderem von den Saudis, die, anders als die Europäer, keine Bedingungen stellten. Der tunesische Machthaber tanzt der EU regelrecht auf der Nase herum. Denn er weiß: Europa braucht ihn, um irreguläre Migranten aufzuhalten. Die EU macht sich erpressbar, solang sie nicht selbst in der Lage ist, ihre Außengrenze zu schützen", meint die PRESSE AM SONNTAG aus Wien.
"Die potenzielle Sprengkraft der Massenanlandungen in Lampedusa ist Brüssel offensichtlich bewusst, sonst wäre EU-Chefin Ursula von der Leyen nicht sofort nach Rom gedüst", heißt es in der österreichischen KLEINEN ZEITUNG. "Die Reise allein und zu erwartende salbungsvolle Worte werden nicht reichen. Das Selbstverständnis der EU ist es, ein multilateraler Problemlösungsgenerator zu sein. Beim Thema Migration hat sie bisher aber nur partielle Lösungen erreicht, wie beim Abkommen mit der Türkei. Doch am seidenen Faden Erdogans zu hängen, der wohl nicht ganz zufällig gestern wieder laut über die Beziehungen der Türkei zur EU nachdachte, kann keine langfristige Klärung sein. Mittelfristig werden wir auch Abkommen mit nordafrikanischen Ländern benötigen. Das wird schwierig und jedenfalls sehr teuer. Doch anders wird der 'Außengrenzschutz', dem jeder Regierungschef nur vage und sehr unkonkret das Wort redet, nicht nachhaltig erreichbar sein", ist sich die KLEINE ZEITUNG sicher, die in Kärnten erscheint.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG AM SONNTAG bemerkt: "Die EU hat ihre Asylpolitik nach Jahren des Stillstands verschärft. Ungarn und Polen mögen die Reform nicht mittragen, weil sie ihnen nicht weit genug geht, doch die Pflöcke sind eingeschlagen. Asylverfahren noch an den Außengrenzen der EU und rasche Abschiebungen sind das Ziel. Wege für eine legale Immigration von Arbeitskräften sind dafür geöffnet worden. Selbst das rechts regierte Italien hat Quoten von jährlich über 270.000 Einwanderern festgelegt. Die EU und Tunesien müssen den Vertrag noch aushandeln. Staatschef Kais Saied pokert. Er will bessere Bedingungen, weniger Einspruch gegen die Verletzung von Menschenrechten in seinem Land. Er ist der Profiteur dieser neuen Krise. Das ist der Preis einer regulierten Migration", meint die NZZ AM SONNTAG.
Auch in Großbritannien beschäftigt die irreguläre Migration weiterhin die Politik. Anlass ist nach wie vor ein Gerichtsurteil, dass die Abschiebung von Flüchtlingen nach Ruanda vorerst verbietet: Der konservative SUNDAY TELEGRAPH führt aus. "Das wichtigste Versprechen von Premierminister Sunak ist zu Recht, 'die Boote zu stoppen' und den Menschenhandel über den Ärmelkanal zu beenden. Das Parlament hat dafür die gesetzliche Grundlage geschaffen und klargestellt, dass diejenigen, die illegal ins Land kommen, nicht im Vereinigten Königreich bleiben können. Doch die Regierung ist handlungsunfähig - und Schuld daran ist die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Justiz hat das Konzept ständig weiterentwickelt. Die Generation von Churchill hätte sich nie vorstellen können, dass die Menschenrechte so weit ausgedehnt werden könnten, dass wir nicht mehr in der Lage sind, unsere eigenen Grenzen zu überwachen. Wenn sich in den kommenden Wochen herausstellt, dass die Europäische Menschenrechtskonvention uns dies nicht erlauben wird, dann ist es an der Zeit, aus der Konvention auszutreten und eine britische Bill of Rights einzuführen", schlägt der SUNDAY TELEGRAPH aus London vor.
Nun in die Innenpolitik. Der TAGESSPIEGEL AM SONNTAG fordert eine konzertierte Aktion für die gesetzliche Rentenversicherung, denn: "Ein gewaltiger Teil der knapp 46 Millionen Erwerbstätigen steuert auf eine Magerrente zu. Da droht uns was. Ist ja klar, wenn fast die Hälfte derer, die heute Vollzeitstellen haben, weniger als 1.500 Euro Rente bekommen. Wobei es in Ostdeutschland sogar noch schlimmer werden kann. Linken-Fraktionschef Bartsch hatte vollkommen recht, als er von 'sozialem Sprengstoff' sprach. 45 Jahre im Job – wer schafft das heute schon noch. Viele nicht. Heißt, das Armutsrisiko steigt. Wer kann das schon wollen? Hier hilft nur reden, prüfen, erwägen. Kann Zuwanderung helfen? Die Aktienrente? Oder die Rente dann doch an die Lebenserwartung zu koppeln? Wichtig ist, sich schnell klar zu werden. Am besten ohne Pestereien unter den demokratischen Parteien. Ehe die Lunte brennt. Wir wollen doch alle alt werden. Und nicht arm", schreibt der TAGESSPIEGEL.
Die WELT AM SONNTAG befasst sich mit dem Gebäude-Energie-Gesetz GEG und der geplanten Kindergrundsicherung: "Seit der zähen Diskussion um die handwerklichen Fehler beider Gesetze fielen die Umfragewerte der Bundesregierung in die tiefsten Tiefen. Die Kindergrundsicherung und das GEG werden den Wählern in Erinnerung bleiben, und das nicht allein, weil sie nachtragend sind. Vor allem die Kindergrundsicherung ist so gehalten, dass sie die ausgefeilte, nie um weitere Hürden verlegene deutsche Bürokratie noch um weitere Antragsformulare vergrößern wird. Überhaupt die Bürokratie! In Deutschland hat sie längst das Maß einer Menschenrechtsverletzung angenommen. Wider Willen ist sie zu einem organisierten Sadismus, zu einem raffiniert ausgeklügelten System von Hindernisläufen und zur Zerschlagung des persönlichen Zeitkontos eines jeden Menschen verkommen. Zu allem Überfluss hemmt sie die Wirtschaft und ist ein maßgeblicher Grund für den Abschwung und die Rezession. Seltsam, dass gerade diese Regierung dies nicht sieht. Wollte sie nicht seit ihrem Meseberger Treffen die bürokratischen Fesseln sprengen? Stattdessen verheddert sie sich in ihren selbst gelegten Tauen, stolpert und strauchelt, um am Ende auf der Nase zu liegen", kritisiert die WELT AM SONNTAG.
Zum Schluss der Blick in die USA. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG kommentiert das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur bei der Republikanischen Partei: "Im Moment hat Trump die besten Aussichten. Er ist nach wie vor der Liebling der Basis, ist Kultfigur der Rechten, trotz seiner Lüge von der Wahlniederlage vor drei Jahren, trotz seiner aufhetzenden Rolle beim Sturm auf das Kapitol. Seine rachedurstigen Kollaborateure im Kongress tun alles, um in Vorbereitung auf eine Wiederholung der Paarung von 2020, Trump gegen Biden, den demokratischen Präsidenten zu schwächen und zu diskreditieren. Könnte Trump also gewinnen? Angesichts der düsteren Stimmung vieler Wähler und der Zweifel, die sich auf Bidens Alter beziehen, halten Fachleute das für möglich. Wie würden die Demokraten reagieren, sollte ein wegen Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten verurteilter Trump tatsächlich die Wahl gewinnen? Würden sie auch auf die Barrikaden gehen? Bei dem Gedanken an 'Worst case'-Szenarien kann einem angst und bange werden. Die Sicherheit vieler Länder hängt schließlich von Amerika ab, nach wie vor. 'Amerika bleibt unsere Lebensversicherung', sagen deutsche Politiker. Wie wahr. Ungemütlich und unberechenbar wird die Sache, wenn in der Zentrale des Versicherungsgebers Chaos herrscht und dessen Aktionäre sich an die Gurgel gehen."