21. Juli 2024
Die Presseschau

Themen sind das Ringen um eine erneute Kandidatur von US-Präsident Biden, die Vergabe der Spitzenposten in Brüssel und die Reaktion Israels auf das Urteil des Internationalen Gerichtshofs zur Siedlungspolitik. Aufgegriffen wurden auch der jüngste Gipfel der "Europäischen Politischen Gemeinschaft" in Großbritannien.

21.07.2024
Keir Starmer hält eine Ansprache in seinem Wahlbezirk.
Die FAS glaubt nicht, dass sich das Verhältnis zur EU unter Starmer komplett entspannen wird. (picture alliance / AP / Kin Cheung)
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG schreibt dazu: "Premierminister Starmer hat den Willen, einen Krampf zu lösen. Er will die politische Starre seines Landes gegenüber der Europäischen Union wegmassieren, die vom einstigen Premierminister Boris Johnson verursacht wurde, um den Austritt aus der EU durchzusetzen, und die dessen Nachfolger Rishi Sunak kaum lockern konnte. Wirtschaftswachstum ist die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg von Starmers Regierungsprogramm. Eine Quelle dafür kann die Wiederbelebung des Handels mit der EU werden. Auch da bemüht sie die neue Labour-Regierung um einen offenen, kooperationsbereiten Eindruck. Gleichzeitig aber gelten die Selbstbeschränkungen fort, die sich Labour im zurückliegenden Wahlkampf auferlegt hat: keine Rückkehr in eine Zollunion mit der EU, keine Rückkehr in den EU-Binnenmarkt, keine Wiederherstellung der Freizügigkeit. In diesen Selbstbeschränkungen wirkt die Verkrampfung der Brexit-Wortführer nach. Solange sie anhält, wird das Verhältnis Großbritanniens zur EU zwar freundlicher und entspannter, aber kaum kräftiger und enger werden", befürchtet die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG beschäftigt sich in ihrem Kommentar noch einmal mit der Wiederwahl von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: "'Fünf weitere Jahre', twitterte Ursula von der Leyen am Donnerstag nach ihrer erfolgreichen Wiederwahl. Doch 'fünf weitere Jahre' von was genau? Von der Leyen deutet damit eine Kontinuität für die EU an, die vielleicht nur eins ist: Wunschdenken. Denn während die Parlamentarier in Straßburg der Christlichdemokratin nochmals das Vertrauen aussprachen und die erstarkten Rechtsparteien noch einmal in die Schmuddelecke gedrängt wurden, haben die Republikaner in den USA 7000 Kilometer weiter westlich Donald Trump euphorisch zu ihrem Präsidentschaftskandidaten nominiert. Es ist sehr gut möglich, dass Trump im November erneut zum Präsidenten gewählt wird. Was passiert dann mit Europa? Europa mag nicht mehr das Hauptanliegen der USA sein. Aber als zweitgrößte Wirtschaftsmacht und mit ihren Armeen bleibt es ein wichtiger Partner für die USA, gerade auch mit Blick auf Amerikas großen Konkurrenten China. Das muss Europa ausnutzen und gleichzeitig die inneren Risse in der Union ernsthafter angehen. Nicht einfach 'fünf weitere Jahre'", heißt es in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
Die schwedische Zeitung GÖTEBORGS-POSTEN begrüßt die Wahl der estnischen Politikerin Kallas zur neuen EU-Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik und schreibt: "Im heutigen Europa sind wir nicht mehr mit den klassischen politischen Tugenden verwöhnt, die Kallas in vielerlei Hinsicht verkörpert. Anstelle von Urteilsvermögen und Sachlichkeit sind es oft erhitzte Gemüter und grobe Beleidigungen, die der Politik ihren Stempel aufdrücken. In der politischen Situation, die nach den Europawahlen entstanden ist, in der die Rechtsextremen ihre Position gestärkt haben und die Unterstützung für Russland zuzunehmen scheint, werden Politiker gebraucht, die einen kühlen Kopf bewahren können, ohne dabei Empathie und Moral zu verlieren. Kaja Kallas wird ihren Platz in der europäischen Politik einnehmen, aber nicht mit agitatorischer Rhetorik, sondern mit Know-how, Entschlossenheit und Urteilsvermögen", prognostiziert GÖTEBORGS-POSTEN.
Die aserbaidschanische Zeitung MÜSAVAT plädiert dafür, dass die US-Demokraten einen anderen Präsidentschaftskandidaten als Biden nominieren. "Wenn die Demokraten einen sympathischeren, geistreicheren und charismatischeren Kandidaten finden und die Macht der Medien nutzen, können sie Trumps Siegchancen ernsthaft gefährden. Gegenüber Biden wirkt Trump stark, scharfsinnig und energisch. Wenn ein jüngerer und klügerer Kandidat auftritt, sei es ein Mann oder eine Frau, werden sich die Menschen vom alten Trump abwenden. Es heißt, Trump werde im Falle seiner Wiederwahl eine Diktatur in den USA errichten, eine Politik der Ausländerfeindlichkeit verfolgen, Bürgerkrieg im Land auslösen und zum Wiedererstarken Russlands beitragen. Eine zweite Präsidentschaft Trumps verspräche in der Tat keine gute Zukunft, weder für die Vereinigten Staaten noch für die Welt. Das Ende der UdSSR wurde damals von alternden Führern verantwortet. Alle US-Politiker, die sich an diese Geschichte erinnern, sollten deshalb dringend versuchen, ihre alternden Präsidentschaftskandidaten loszuwerden", meint MÜSAVAT aus der Hauptstadt Baku.
Auch die Zeitung DIE PRESSE AM SONNTAG aus Wien greift die Diskussion um eine erneute Kandidatur Joe Bidens auf und zieht daraus Lehren für viele europäische Länder: "Hinter dem Fall Biden steht auch die simple Frage: Wann ist es vorbei? Auch hier helfen in Demokratien oft Gesetze. Der US-Präsident darf etwa nur zwei Perioden zu je vier Jahren im Amt sein. In Europa sind dagegen Regierungsfunktionen auf Bundes- und Landesebene nur selten zeitlich begrenzt. Was zu unklaren Nachfolgeregelungen, verbissenem Sesselkleben und ausgehöhlten Parteistrukturen führt. Es könnte auch eine Lehre aus dem persönlichen Drama des Joe Biden sein, verbindliche Obergrenzen einzuführen. Für mehr demokratischen Wechsel, aber auch, um Amtsinhabern die Entscheidung abzunehmen", schreibt die österreichische PRESSE AM SONNTAG.
Die Zeitung EL PAIS hat wenig Hoffnung, dass das Rechtsgutachten des internationalen Gerichtshofs zur Rechtswidrigkeit der israelischen Siedlungspolitik Eindruck auf Ministerpräsident Netanjahu machen wird: "Seine Regierung sammelt im Gazakrieg eine internationale Resolution nach der anderen. Leider scheinen diese Resolutionen die Lage in Gaza nicht verbessert zu haben. Das israelische Militär greift Gebiete an, die es zuvor selbst als sichere Zonen für Flüchtlinge ausgewiesen hat. Plünderungen, Schießereien und mutmaßlich rechtswidrige Tötungen gehören zum Alltag einer Bevölkerung, die keinen Platz zum Leben, keine Arbeit und keine regelmäßige Versorgung mit Lebensmitteln hat und ständig von Luftangriffen bedroht ist. All dies scheint die israelische Regierung jedoch nicht zu stören, die ohne Rücksicht auf äußere oder innere Konsequenzen weiter vorgeht. Auf den Drohnenangriff der jemenitischen Huthi-Miliz auf Tel Aviv folgte die Bombardierung der jemenitischen Stadt Hodeida durch Israel. Das Risiko einer regionalen Eskalation bleibt eine Gefahr, die die internationale Gemeinschaft abwenden muss, ohne dabei die katastrophale Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu vergessen", fordert EL PAIS aus Madrid.
Die JERUSALEM POST aus Israel reagiert auf eine Umfrage, wonach fast 25 Prozent der jüdischen Staatsbürger Israel verlassen würden, wenn sie die praktischen Mittel dazu hätten. Der Kommentator verweist jedoch auf die große Geschlossenheit, die die Bevölkerung nach dem Überfall der Terror-Miliz Hamas zeige: "Ein erster Blick auf diese Zahlen löst ein erstauntes 'Oh' aus. Schließlich gibt es kaum etwas Demoralisierenderes in einer Krisenzeit, als den Gedanken, dass ein Viertel der eigenen Brüder auswandern würde, wenn man nur die Chance dazu hätte. Gibt es unzufriedene Menschen, die Israel wegen seiner Härten und Herausforderungen verlassen wollen? Sicherlich. Aber sie sind weit in der Unterzahl gegenüber der großen Mehrheit, die seit dem 7. Oktober eine starke, unvergleichliche Bereitschaft gezeigt hat, sich für das Land zu opfern, zu kämpfen und sogar zu sterben, und zwar aus einem einfachen Grund: Für das jüdische Volk ist Israel die Heimat, komme, was wolle". Das war zum Abschluss der Presseschau die JERUSALEM POST.