DIE PRESSE aus Wien schreibt dazu: "Das Faustpfand-Modell funktioniert wie am Schnürchen. Und es wird nun neuen Auftrieb erhalten. Aus einer humanistischen Einzelfall-Perspektive ist nachvollziehbar, dass westliche Staaten alles unternehmen, um ihre unschuldig eingekerkerten Staatsbürger im Ausland freizubekommen. Wer sich mit den Freigelassenen und deren Angehörigen nicht mitfreuen kann, hat ein Herz aus Stein. Doch indem der Westen auf die Forderungen der staatlichen Erpresser in Moskau und Teheran eingeht, perpetuiert er deren zynisches Spiel. Die russischen Agenten im Ausland können jedoch sicher sein, dass Putin sie früher oder später herausboxen wird – egal, was sie anstellen. Auf diesem perfiden Gefangenenbasar sind die Skrupellosen im Vorteil", befürchtet DIE PRESSE aus Wien.
Die britische Zeitung THE SUNDAY TIMES begrüßt in ihrem Kommentar die Freilassung des amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich als Teil des Gefangenenaustauschs. Gleichzeitig warnt sie vor zu großer Euphorie: "Es sollte in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass der Oppositionsführer Alexei Nawalny, der ursprünglich Teil des Deals sein sollte, im Februar in einer Strafkolonie starb – und dass Russland immer noch unzählige politische Gefangene festhält. Gershkovichs Heimkehr ist eher ein Zwischenschritt als ein Endpunkt im Kampf um die Freiheit - und dem noch größeren Konflikt zwischen einem offenen Westen und einem verschlossenen Osten", unterstreicht THE SUNDAY TIMES aus London.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG beschäftigt sich in ihrem Kommentar mit der jüngsten Eskalation im Nahen Osten und hinterfragt die Strategie Israels: "Solange Israel die Hamas und die anderen bewaffneten palästinensischen Gruppen militärisch eingehegt hatte (oder das glaubte), so lange hatte Netanjahu kein Problem mit der Existenz der Hamas. Denn ihre Herrschaft über Gaza bedeutete auch, dass die Palästinenser gespalten blieben und keine geeinte Front bilden konnten. Israel kämpft nun aber an mehreren Fronten gleichzeitig - gegen die Hamas, die Hizbullah, die jemenitischen Huthi, gegen Iran. Es wirkt nicht so, als habe die Regierung einen Plan dafür. So gerechtfertigt die Tötung Haniyehs, Deifs und Shukrs war: Taktische Erfolge sind noch kein strategischer Sieg. Diesen Vorwurf machen Netanjahu auch die Angehörigen der Geiseln: Ein Deal mit der Hamas dürfte vorerst unwahrscheinlicher geworden sein. Ohne die Rückkehr der Geiseln aber ist auch ein 'totaler Sieg' nichts wert", ist der Kommentator der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG überzeugt.
Der Berliner TAGESSPIEGEL blickt in seinem Kommentar zurück auf den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober, und befürchtet, dass auch der eskalierende Kampf an mehreren Fronten zum Trauma werden könnte: "Immerhin wird das Massaker als eine Niederlage ungekannten Ausmaßes empfunden. Und es verbreitet sich der Eindruck, der Krieg gegen die Hamas und der Kampf um die Geiseln werde auch kein Erfolg, im Gegenteil. Die horrende Zahl der zivilen Todesopfer wird zur Pein. Auch in Israel. Zunehmend. Ob da die in der teils rechtsextremen Regierung herumgeisternde Vorstellung von einem ganz großen Konflikt eine gute Idee ist? Den Rufen seiner Koalitionspartner darf Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu nicht nachgeben, wenn er wenigstens noch die Reste seines Rufs als einigermaßen verstandesgesteuerter Politiker retten will. Große Rache kann ins große Verderben führen. Schier endlose Kriege an mehreren Fronten kann sich auch die schlagkräftigste Armee der Welt nicht leisten – die Israel nicht einmal mehr hat", heißt es im Berliner TAGESSPIEGEL.
Die JERUSALEM POST aus Israel rückt in ihrem Kommentar die schleichende Entfremdung zwischen der Regierung Netanjahu und der Bevölkerung in den Blickpunkt: "Seit Beginn des Krieges fühlten sich die Israelis von den verschiedenen Behörden im Stich gelassen, sei es im Bereich der Sicherheit, der Politik oder der Wohlfahrt. Sie wurden Zeuge eines Vakuums, das von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen gefüllt wurde. Sie waren es, die die Soldaten an der Front unterstützten und denjenigen halfen, die direkt vom Krieg betroffen waren. Und sie waren es auch, die sich um die Bedürfnisse der Zehntausenden evakuierten Israelis aus dem Norden und Süden kümmerten. Durch ihre wichtige Arbeit haben die Freiwilligen jedoch eine Regierung und verschiedene Behörden bloßgestellt, die nicht so funktionierten, wie sie sollten, und das gerade zu einer Zeit, in der sie am dringendsten gebraucht wurden. Das haben die Menschen zur Kenntnis genommen", schreibt die JERUSALEM POST.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG kommentiert in ihrer Sonntagsausgabe die Präsidentschaftskandidatur von Kamala Harris in den USA und bezweifelt, dass ihr das weibliche Geschlecht zu einem großen Vorsprung gegenüber Donald Trump verhelfen wird: "Zwar wählen Amerikaner seit Jahrzehnten häufiger Republikaner und Amerikanerinnen Demokraten. Das hat sich, so zeigen Urnengänge und Umfragen, kaum verändert. Was sich aber gewandelt hat, ist der Alltag junger Bürgerinnen und Bürger. Die durch #Metoo und die Abtreibungsfrage politisierten Frauen entfernen sich ideell immer mehr von den jungen Männern, egal welcher Hautfarbe. Letztere fühlen sich durch die Aufholjagd der Frauen in Bildung und Wirtschaft bedrängt. Wer sie an die Urne locken kann, könnte den Wahlkampf für sich entscheiden. Klar ist: Mit Muskeln und Mutterkult ist einfacher zu punkten als mit Identitätsfragen. Das sollte Kamala Harris zu denken geben", meint die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.
Der SUNDAY TELEGRAPH aus London ist davon überzeugt, dass bereits die ersten Auftritte von Harris als Präsidentschaftskandidatin einen echten Lichtblick darstellen: "Sehen wir endlich die wahre Kamala Harris, die, wie es bei Vizepräsidenten oft der Fall ist, von einem Weißen Haus, das von einer engen, äußerst loyalen Präsidentenfamilie geführt wird, an den Rand gedrängt und in die absurde Bedeutungslosigkeit getrieben wurde? Oder hat man ihr nur ein paar sehr clevere Redenschreiber zur Seite gestellt? Wer weiß das schon?Sicher ist, dass die amerikanischen Demokraten einen Ausweg aus einer sehr dunklen und gefährlichen Situation gefunden haben, in der bösartige Lügen und Ignoranz die ungebremste Wut schüren konnten. Was auch immer als nächstes passiert, kann nicht schlimmer sein als das. Es besteht jetzt eine echte Chance auf etwas, das noch vor einem Monat undenkbar gewesen wäre: dass die Demokraten das Weiße Haus gewinnen und Geschichte schreiben, indem ihre Kandidatin - eine Frau, die zwei ethnischen Minderheiten angehört - zur Präsidentin gewählt wird", heißt es im SUNDAY TELEGRAPH.
Zurück nach Deutschland: In vier Wochen wird in Sachsen und Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Der Kommentator der BILD AM SONNTAG befürchtet, dass die wirtschaftliche Lage einer der wahlentscheidenen Faktoren sein wird: "Zu viele Menschen in diesem Land frustriert, dass sie sich Tag für Tag ins Zeug legen, ohne dass sie spürbar etwas davon haben. Das Wachstums- und Wohlstandsversprechen der sozialen Marktwirtschaft ist für zu viele nur noch Theorie und nicht mehr Realität. Derweil scheitert die Ampel erneut bei der Erledigung von Routineaufgaben wie der rechtzeitigen Aufstellung eines soliden Haushalts. Leider ist auch ein konkretes Aufschwungprogramm der Union nicht in Sicht. Die erste Quittung stellen, wenn die Umfragen nicht täuschen, die sächsischen und thüringischen Wähler in vier Wochen aus: Es drohen Wahltriumphe der extremistischen AFD und Traumergebnisse für die Wagenknecht-Truppe. Das wird Deutschland verändern." Das war zum Abschluss der Presseschau die BILD AM SONNTAG.