09. März 2025
Die Presseschau

In den deutschen Medien steht das Ergebnis der Sondierungen von Union und SPD im Mittelpunkt der Kommentare. Der Berliner TAGESSPIEGEL sieht CDU/CSU im Vorteil:

Söder, Merz, Klingbeil und Esken geben eine Pressekonferenz zu den Sondierungsgesprächen zwischen der Union und der SPD.
Nach der Bundestagswahl - Sondierung (Kay Nietfeld / dpa / Kay Nietfeld)
"Die Union hat viele Erfolge vorzuweisen. Und die Genossen? Tja. Das Bürgergeld wird Menschen, die wiederholt Arbeit ablehnen, komplett gestrichen. An den Grenzen zurückgewiesen werden künftig auch Asylsuchende. Das explizite Ziel, die Migration zu begrenzen, bekommt wieder Gesetzesrang. Und so weiter und so fort. Noch sind es nur erste Verabredungen, kein Koalitionsvertrag. Doch das Sondierungspapier, auf das sich Union und SPD geeinigt haben, liest sich in weiten Teilen wie das Unions-Wahlprogramm, gegen das die Genossen vor Kurzem noch mit Verve ins Feld gezogen sind. Und welche Erfolge hatte die SPD-Spitze zu verkünden, als Friedrich Merz, Markus Söder, Lars Klingbeil und Saskia Esken am Samstag gemeinsam das Papier vorstellten? Tja. Es finden sich kleinere Siege hier und dort. Doch insgesamt scheint es, als hätte die SPD nach der für sie sehr erfreulichen Einigung auf das gigantische Sondervermögen für Investitionen nichts mehr anzumelden gehabt", findet der TAGESSPIEGEL aus Berlin.
Die WELT AM SONNTAG sieht dagegen eher die SPD als Siegerin der Sondierungsgespräche und wirft CDU-Chef Merz vor, zu viele Zugeständnisse gemacht zu haben: "Bösartig gedeutet hat er sich mit der Lockerung der Schuldenbremse das Ja der SPD zu seiner Kanzlerschaft erkauft. Hier wiederholt sich ein bekanntes Muster: Die Union bekommt das Kanzleramt, und die SPD setzt sich inhaltlich robust durch.Diesmal fällt das noch krasser aus. Die SPD, die mit blamablen 16,4 Prozent aus der Bundestagswahl hervorgegangen ist, übt sich keineswegs in Zurückhaltung. Als sei sie der Wahlsieger, hat sie ihre Zustimmung zur horrenden Steigerung der Verteidigungsanstrengungen von der Zustimmung der Union zu einem riesigen „Sondervermögen“für die Infrastruktur abhängig gemacht. Als seien die erhöhten Verteidigungsausgaben ein eigenwilliges Steckenpferd von CDU und CSU, nicht eine zwingende nationale Aufgabe. Die SPD wird nun wohl mit Nachdruck versuchen, das vage gehaltene Sondervermögen gerade auch für die Pflege ihrer sozialpolitischen Steckenpferde zu nutzen", vermutet die WELT AM SONNTAG.
Auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG kommentiert die Einigung der Parteien auf neue Schulden für die Bundeswehr und die Infrastruktur: "Nur Nixon konnte nach China gehen - nur Friedrich Merz konnte so viele neue Schulden aufnehmen. Es ist eines der bestimmenden Prinzipien des Vorangehens auch in der deutschen Politik, dass große Veränderungen nur von denen ins Werk gesetzt werden können, die bis vor Kurzem noch am schärfsten dagegen waren. Merz hat da ein gutes sozialdemokratisches Vorbild: Gerhard Schröder und die Hartz-Reformen. Merz hat den - vielleicht - großen Wurf ganz an den Anfang gestellt. Bevor sein potentieller Koalitionspartner überhaupt die Grundvoraussetzung erfüllt hat: ihn zum Kanzler zu wählen. Die 16,4-Prozent-Partei SPD bewiese ihrerseits Weitsicht, wenn sie anerkennen würde, dass sie einiges an ihrer Politik ändern muss, um wieder auf die Beine zu kommen. Merz ist in dieser Hinsicht ein Geschenk für die SPD. Keine luftabschnürende Politik der Umarmung durch die Ehrensozialdemokratin Angela Merkel mehr. Merz gibt der SPD ihren Aktionsradius zurück. Dass dafür nun sehr viel Geld durch sehr hohe Schulden zur Verfügung steht, wird wohl allen Beteiligten ganz gelegen kommen, wenn sie erst mal in Regierungsverantwortung sind", glaubt die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.
DIE ZEIT zeigt sich in ihrer Onlineausgabe beeindruckt vom Sondierungspapier von Union und SPD: "Friedrich Merz und Lars Klingbeil ist mit ihrem Finanzpaket (über das der Bundestag kommende Woche abstimmen soll) etwas gelungen, was in der Politik nur selten gelingt. Sie haben ein Narrativ gebrochen. In diesem Fall: dass die Bundesrepublik Deutschland ein unregierbarer Sanierungsfall ist. Seit der Ankündigung der zusätzlichen Milliarden für die Infrastruktur und die Verteidigung haben zahlreiche internationale Finanzinstitute ihre Wirtschaftsprognosen nach oben revidiert, an den Börsen ging es aufwärts und der Euro legte zu. Vom 'Wiedererwachen Deutschlands' schrieb die britische Financial Times. Ein Sondierungspapier ist noch kein Koalitionsvertrag, die eigentlichen Verhandlungen beginnen jetzt erst. Und am Ende müssen alle Seiten etwas bekommen, womit sie bei ihren Wählern punkten können. So funktioniert Politik. Klar ist aber auch: Wenn mit den Mega-Krediten nur Klientelpolitik finanziert würde, dann hätten Union und SPD eine Jahrhundertchance verspielt", ist sich DIE ZEIT sicher.
Auch die Mitgliedsländer der Europäischen Union haben sich in dieser Woche darauf geeinigt, die Militärausgaben drastisch zu erhöhen. Die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER warnt davor, die Einigung überzubewerten: "Wenn die EU behauptet, man wolle 800 Milliarden Euro in Verteidigung investieren, ist 'eine grobe Übertreibung' wohl noch das Netteste, was man dazu sagen kann. Der Hauptteil des Militärpakets besteht aus Geld, das es noch nicht gibt und das es vielleicht auch nie geben wird, denn viel hängt von der Investitionsbereitschaft der einzelnen Mitglieder ab. Die EU-Zusammenarbeit ist nach wie vor eine ganz spezielle Mischung aus nationalen und gemeinsamen Beschlüssen, und die daraus resultierenden Probleme werden in der Verteidigungspolitik besonders deutlich. Es braucht mehr Stärke, diese Schwäche zuzugeben, als aufgeblasene Zahlenspiele zu präsentieren", schreibt DAGENS NYHETER aus Stockholm.
Ein Gastkommentator in der chinesischen Zeitung TAKUNGPAO rät den Europäern, ihre Ausrichtung grundlegend zu ändern: "Seit der Trump-Administration ist Europa mit einer nie da gewesenen geopolitischen Herausforderung konfrontiert. Im Osten ist seine Sicherheit durch Russland bedroht. Im Westen sind die USA der größte Herausforderer. Ein mögliches Bündnis zwischen Moskau und Washington, wie es der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer einst voraussagte, könnte gar einen Alptraum für die Europäer bedeuten. Europa gibt seine Illusion bezüglich der USA zwar allmählich auf, hofft aber immer noch auf die Abkehr des Präsidenten Trump von seinem aktuellen Europa-Kurs. Auch versucht es insgeheim wie auch offenkundig, die Wut des Weißen Hauses auf China umzulenken. Allerdings wird diese Duldungstaktik gegenüber den Vereinigten Staaten Europa nicht aus der Krisensituation führen. Unter diesen Umständen ist der einzige richtige Weg, den Schulterschluss mit China zu suchen. Dieser ist risikoarm, effizient und kann Amerika an seiner Schwachstelle treffen", betont TAKUNGPAO aus Hongkong.
Die spanische Zeitung EL PAIS fordert von der EU nicht nur eine andere Politik,. sondern auch mehr Transparenz: "Die europäischen Gesellschaften haben erlebt, wie ein wichtiger Teil ihrer Welt vor ihren Augen zusammengebrochen ist. Die richtige Reaktion der europäischen Staats- und Regierungschefs und der EU-Institutionen wäre auch eine klarere Kommunikation über die strategischen Veränderungen, die die neue geopolitische Realität erfordert. In diesem Krieg geht es um mehr als die Abwehr des russischen Imperialismus. Es geht um unsere Lebensweise und darum, welcher Kapitalismus den Sieg davontragen wird: die fossilen Brennstoffe oder die grüne Wirtschaft. Europa muss sich aktiv an diesem anderen Wettbewerb beteiligen und ihn erklären. Bisher wurden die Vereinbarungen in geschlossenen Büros getroffen, ohne Rücksicht auf die Bürger, als ob ihre Sorgen, Unsicherheiten und Bedürfnisse irrelevant wären. Abgesehen vom Krieg in der Ukraine ist die größte interne Bedrohung für die EU-Länder gerade der Aufstieg der extremen Rechten, die sich die Vorstellung zunutze macht, dass Europa von technokratischen Eliten regiert wird, die von den Bedürfnissen und Unsicherheiten der Bürger abgekoppelt sind", befürchtet EL PAIS aus Madrid.