23. März 2025
Die Presseschau

Ein Thema in den Kommentaren der Sonntagszeitungen ist die Lage in der Türkei. Nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu befürchten mehrere Zeitungen das endgültige Ende der Demokratie in dem Land.

Der türkische Oppositionspolitiker und Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu
Der türkische Oppositionspolitiker und Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu (picture alliance / Sipa USA / Depo Photos)
Die WELT AM SONNTAG erinnert an eine schon länger zurückliegende Äußerung des türkischen Präsidenten Erdogan: "'Die Demokratie ist für uns eine Straßenbahn. Wenn wir am Ziel sind, steigen wir aus', lautet ein bekanntes Wort des frühen Recep Tayyip Erdogan. Nicht des heutigen Autokraten, auch nicht des mittleren Erdogan, also des demokratischen Reformers. Sondern des Erdogan der 90er-Jahre, als er Politiker der islamistischen Wohlfahrtpartei und Oberbürgermeister von Istanbul war. Mit der Festnahme Ekrem Imamoglus, seines Nachfolgers an der Spitze der Istanbuler Stadtverwaltung, der sich anschickte, ihn auch als Staatspräsidenten zu beerben, erreicht diese Straßenbahn nun ihre Endstation. Erdogan war als mittelloser Volkstribun eingestiegen, er verlässt die Straßenbahn als mafiöser Herrscher. Aber nicht im Triumph, sondern in Angst vor dem Machtverlust, die ihn zur Raserei treibt. Einhalt könnte ihm allein die türkische Gesellschaft bieten. Doch so respektabel die Proteste der vergangenen Tage waren, gemessen an der Tragweite der Ereignisse blieben sie überschaubar", meint die WELT AM SONNTAG.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG notiert: "Zwischen Russland und der Türkei gab es bisher einen entscheidenden Unterschied: Eine Mehrheit der türkischen Bevölkerung war überzeugt, dass ein Machtwechsel durch Wahlen möglich sei – auch wenn Präsident Recep Tayyip Erdogan schon seit 22 Jahren regiert. Seit den Kommunalwahlen im März, bei denen Erdogans Partei ihre bisher schwerste Niederlage erlitt, keimte Hoffnung in den Reihen der Opposition. Das Ende der Ära Erdogan schien in Sichtweite. Seit Mittwoch ist das nicht mehr so. Die Festnahme des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem Imamoglu ist weit mehr als eine weitere Repressionsmaßnahme, wie es unter Erdogan schon viele gab. Sie ist eine Zäsur. Das Land geht den letzten Schritt Richtung Autokratie“, analysiert die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.
Anders sieht es die oppositionelle türkische Zeitung BIRGÜN: "Die Vorgänge dieser Woche zeigen, dass die Politik des Landes zukünftig eine neue Richtung einschlagen wird. Die Entscheidung der CHP, Neuwahlen auf die Tagesordnung zu setzen, und der Versuch, ihren Präsidentschaftskandidaten Imamoglu von den Parteimitgliedern wählen zu lassen, sind Belege dafür und erste Schritte auf dem Weg zu mehr Demokratie im Land. Aber das ist bei weitem nicht ausreichend. Die CHP muss nun so schnell wie möglich ein Regierungsprogramm ausarbeiten. Dies muss unbedingt gemeinsam mit allen liberalen und demokratischen Kräften des Landes geschehen", fordert die Zeitung BIRGÜN aus Istanbul.
Die regierungsnahe Zeitung SABAH, die ebenfalls in Istanbul erscheint, beschuldigt Imamoglus Partei CHP, hinter den aktuellen Protesten in der Türkei zu stecken und verlangt Aufklärung: "Die Öffentlichkeit erwartet von Parteichef Özel, dass er die Vorwürfe in der Ermittlungsakte gegen Imamoglu widerlegt, die auf konkreten Hinweisen aus den Reihen der CHP beruhen. Darin wird behauptet, dass von jeder Ausschreibung der Stadt Istanbul ein bestimmter Anteil an Imamoglus Baufirma gegangen sei. Der CHP-Chef ging auf diese Vorwürfe nicht ein, auch nicht Imamoglu bei seiner Vernehmung. Er wich allen Fragen aus. Offenbar hält sich das Duo Özel und Imamoglu für unantastbar. Doch wer die Türkei zu einem Land der Konflikte und des Chaos machen will, wird wieder verlieren", ist sich SABAH sicher.
Wir blicken nach Deutschland. Die BILD AM SONNTAG macht sich Sorgen darüber, dass die Milliarden aus dem in dieser Woche von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Infrastrukturpaket falsch ausgegeben werden könnten, und nennt ein Beispiel aus der Vergangenheit: "Die Köhlbrandbrücke – eines der weltberühmten Wahrzeichen Hamburgs – ist im September 1974 nach vierjähriger Bauzeit für den Verkehr geöffnet worden. Baukosten: 160 Millionen DM. Die neue Köhlbrandbrücke, deren Bau Bürgermeister Olaf Scholz 2012 ankündigte, soll nach Planung des Hamburger Senats Anfang der 2040er-Jahre in Betrieb gehen, also in 15 bis 20 Jahren. Geplante Kosten: fünf Milliarden Euro! Gebaut wurde bislang nichts, nur geplant – für mehr als 70 Millionen Euro. Das Beispiel macht eindrucksvoll klar, wie berechtigt die Sorgen sind, dass die Milliarden Euro des XXL-Schuldenpakets von Schwarz-Rot nicht vernünftig und nachhaltig investiert werden könnten. Mit dem Planungsrecht, dem Zuständigkeitswirrwarr, der Überbürokratisierung und der Arbeitsmoral von heute werden wir Deutschland nicht in Schuss bringen, sondern nur noch mehr Schulden anhäufen – und zwar schlechte Schulden zulasten künftiger Generationen! Es wird nicht ausreichen, dass Friedrich Merz als Bundeskanzler alle Beteiligten – Beamte und Betriebe - streng ermahnt, schneller und effektiver zu arbeiten. Gegen den deutschen Vorschriftendschungel und Behördenirrsinn hilft nur die Kettensäge", heißt es in der BILD AM SONNTAG.
Die österreichische Zeitung DIE PRESSE AM SONNTAG thematisiert die Abkehr der USA vom Westen und was dieser Schritt für Europa und besonders die Alpenrepublik bedeutet: "Dreieinhalb Jahrzehnte nach Ende des Kalten Kriegs wird Österreichs Sicherheitspolitik ihrem größten Stresstest unterzogen. Denn der Bruch im transatlantischen Verhältnis ist für die Republik der GAU, der größte anzunehmende Unfall. Zwar ist Österreich kein NATO-Mitglied, aber deshalb ist es von den Amerikanern und deren Schutzschirm nicht weniger abhängig, sondern eher sogar mehr. Die Republik hat ihre Sonnenlage, umgeben von NATO-Freunden, reichlich ausgekostet. Mit Ausnahme von Luxemburg haben selbst 2023 noch alle 32 NATO-Staaten mehr in Verteidigung investiert - gemessen an dem BIP - als Österreich. Das rächt sich. Trittbrettfahren ist nämlich gefährlich, wenn niemand mehr am Steuer sitzt. Nun wird die 'Stunde Europas' beschworen. Die Krise schweißt den Kontinent zusammen. Für den Moment. Aber das muss nicht so bleiben. Es ist nicht unvorstellbar, dass in einem Europa ohne den Kitt des Schutzherrn USA vereinzelt Staaten in eine russische Einflusssphäre driften und überdies alte zwischenstaatliche Konflikte aufbrechen", befürchtet die PRESSE AM SONNTAG aus Wien.
Nach dem weitreichenden Stromausfall am Londoner Flughafen Heathrow hat die Polizei bislang keine Hinweise auf Fremdverschulden. Dennoch gab es Spekulationen über einen möglichen Sabotageakt Russlands. Die NZZ AM SONNTAG aus der Schweiz bemerkt dazu: "Zur politischen Seite dieses spektakulären Unfalls gehört die Erkenntnis: Der Brand im Umspannwerk hätte sehr wohl ein Sabotageakt sein können. Die britische Polizei schliesst dies mittlerweile aus, doch bei vielen, die diese Nachricht am Freitag hörten, war dies der erste Gedanke. Noch ein Anschlag der Russen – es gab in Europa ja bereits Brände in Fabrikhallen, verklebte Auspuffrohre an Autos, durchtrennte Seekabel, Sprengstoffpakete in Frachtmaschinen. Russland führt einen hybriden Krieg gegen kritische Infrastruktur und zur Verunsicherung der Bevölkerung. Dieser Krieg ist längst in unseren Köpfen angekommen“, stellt die NZZ AM SONNTAG aus Zürich fest.
Ähnlich sieht es die schwedische Zeitung GÖTEBORGS-POSTEN: "Fakt ist, dass die sogenannte hybride Kriegsführung eine Spezialität Russlands ist. Dazu gehört alles von Propaganda über Spionage, Bestechung und Erpressung bis zur Sabotage. Man könnte meinen, dass die russische Bedrohung nur militärischer Natur sei. Aber Soldaten und Panzer sind nur eines von mehreren Werkzeugen im Moskauer Instrumentenkasten. Militärische Konflikte sind verhältnismäßig teuer, während Repressalien und Drohungen überaus wirksam sein können. Wir müssen diese Bedrohung deshalb ebenso wichtig nehmen wie die militärische Abwehr“, appelliert die Zeitung GÖTEBORGS-POSTEN, und damit endet die Presseschau.