24. Februar 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Im Mittelpunkt der Kommentare steht der Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine. Die Zeitungen ziehen einerseits eine Zwischenbilanz des Krieges und überlegen zum anderen, wie es weitergehen kann.

Ukraine, Bachmut: Ein ukrainischer Soldat steht in seiner Stellung an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut in der Region Donezk.
Ein ukrainischer Soldat steht in seiner Stellung an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut in der Region Donezk. (Libkos / AP / dpa / Libkos)
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt: "Als Wladimir Putin vor einem Jahr in der Ukraine einmarschierte, war man sich in Moskau und im Westen noch in einer Sache einig: Der Krieg werde nicht lange dauern, das angegriffene Land schnell besiegt sein. So furchtbar der Überfall für die Ukraine ist, man kommt am ersten Jahrestag der Zeitenwende nicht umhin festzustellen: Es ist gut, dass beide Seiten sich irrten. Putins Feldzug lieferte entsetzliche Belege dafür, was nicht nur in den von ihm eroberten Gebieten, sondern in der ganzen Ukraine geschehen wäre, wenn seine Sturmtruppen wie geplant die Verteidiger überrannt und überall mit der 'Entnazifizierung' begonnen hätten, wie der Kremlherr die Auslöschung alles Ukrainischen zu bezeichnen pflegt", notiert die F.A.Z.
"Ein furchtbares Jahr liegt hinter den Menschen in der Ukraine", bemerkt die HEILBRONNER STIMME. "Putin hat vor zwölf Monaten eine schreckliche Zeitenwende eingeläutet – mit gravierenden Auswirkungen auf Europa und große Teile der Welt. Viele haben sich getäuscht. All jene, die noch am Vorabend von Putins Einmarsch in die Ukraine behauptet haben, die Russen würden niemals die Ukraine angreifen. Und diejenigen, die das weltfremd geäußert haben, wollen nun einen sofortigen Waffenstillstand, keine westlichen Waffenlieferungen mehr und vor allem Friedensverhandlungen. Mal ganz abgesehen davon, dass Putin unberechenbar und niemand aus seinem Umfeld ein verlässlicher Gesprächspartner ist, übergeht man das Leid der ukrainischen Bevölkerung. Sie wurde überfallen, getötet, vergewaltigt, gefoltert, Kinder wurden verschleppt, Lebensgrundlagen zerstört. Das alles quittieren wir mit einem Schulterzucken? Wie zynisch ist das?", fragt die HEILBRONNER STIMME.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG heißt es: "Auch wenn man es sich anders wünscht: Mit Wladimir Putin und jenem Russland, das er autokratisch regiert und verkörpert, ist wohl kein Frieden zu machen. Verhandlungen wird es zwar irgendwann geben – aber vermutlich leider erst dann, wenn die russische Armee in einem noch schlechteren Zustand sein wird als heute. Es gibt einen Aggressor, und der will weiter Krieg führen", konstatiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die DITHMARSCHER LANDESZEITUNG aus Heide gibt zu bedenken: "Je länger der Ukraine-Krieg dauert, desto gravierender werden die Folgen sein. Und desto schwieriger wird der Einstieg in Friedensverhandlungen, die über kurz oder lang der einzige Weg zu einer Beendigung des Konflikts sind."
Die NÜRNBERGER ZEITUNG macht sich Gedanken über den Inhalt möglicher Friedensgespräche: "Wie es weitergehen könnte? Wladimir Putin könnte, wenn er sich auf den Status quo ante, das heißt auf die Situation vor dem 24. Februar 2022 zurückzöge und die Gespräche von Minsk wieder aufnähme, sein Gesicht wahren. Jedenfalls solange es Verhandlungen gibt. Hauptsache, es würden endlich die Waffen schweigen und das Morden an der Zivilbevölkerung aufhören. Bis, ja bis das Wunder der Vernunft einkehrt." Sie hörten einen Kommentar der NÜRNBERGER ZEITUNG.
Die HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG kann sich nicht vorstellen, dass Verhandlungen mit Putin ein gangbarer Weg sind: "Man stelle sich vor, der Nachbar besetzte einen Teil des eigenen Grundstücks, tötete Familienangehörige und verschleppte die Kinder. Und dann forderten Leute aus einem anderen Dorf, man solle sich mit dem Aggressor verständigen und ihm notfalls seine Eroberung lassen, damit endlich Frieden in der Region herrsche. Nein, vermutlich würde niemand diese schreiende Ungerechtigkeit akzeptieren", vermutet die HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG.
Die SÄCHSISCHE ZEITUNG aus Dresden befasst sich mit geplanten Demonstrationenen anlässlich des heutigen Jahrestages: "Da kann es auch mal laut und hässlich werden. Auf manchen Demos wehen gar Russlandfahnen neben Friedenstauben – eine Kombination, die derzeit ungefähr so irrsinnig ist wie Soljanka mit Vanillesoße obendrauf. Selbst von Menschen, die sonst ganz unpolitisch sind, hört man deshalb nun häufiger Sätze wie: Muss denn jeder Unfug erlaubt sein? Kann man Demonstrationen an so einem Datum nicht einfach untersagen, um die Würde der Kriegsopfer zu wahren? Die Antwort kann nur lauten: Auf keinen Fall! Gerade mit Blick auf Putins Diktatur, wo Andersdenkende im Gefängnis landen, sollten wir stolz sein auf eine Demokratie, die nicht so ängstlich und schwächlich reagiert, sondern so stark, dass sie den Streit zulässt und aushält – sogar den Irrsinn", argumentiert die SÄCHSISCHE ZEITUNG.
Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG hebt hervor: "Der Umgang der Bundesregierung mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem daraus entstandenen globalen Wirtschaftskampf wird von den Menschen in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich gewertet. Ostdeutsche sind deutlich zurückhaltender bezüglich Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Regierung ignoriert die unterschiedlichen Haltungen aber. Das ist gefährlich, denn sie läuft Gefahr, die Menschen damit einmal mehr in die Politikverdrossenheit zu treiben, schlimmstenfalls in die Arme der Putinversteher am radikalen rechten und linken politischen Rand", befürchtet die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt (Oder).
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER wünscht sich von der deutschen Regierung mehr Entschlossenheit bei der Unterstützung der Ukraine: "Die EU, die USA und mit ihr die Nato rauften sich zusammen und bewältigen die Folgen für ihre Wirtschaft und Energieversorgung und beliefern die Ukraine mit den notwendigen Waffen zu ihrer Verteidigung. Der Überfall auf die Ukraine hat die Nato und vor allem die Europäische Union zusammenrücken lassen. Deutschland allerdings sucht noch immer nach seiner Rolle innerhalb der Allianz und der EU. Von der vom Bundeskanzler ausgerufenen Zeitenwende ist bislang kaum etwas zu spüren", bemängelt der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Der TAGESSPIEGEL aus Berlin sieht die Zukunft der Ukraine in einer klaren Westbindung: "Putin ist es nicht gelungen, die westlichen Bündnisse zu spalten. Er hat sie mit seinem Angriffskrieg enger zusammengeschweißt. Auch für die Zukunft der Ukraine werden die westlichen Bündnisse entscheidend sein. Um die Sicherheit des Landes langfristig zu gewährleisten, braucht es eine klare Perspektive eines Beitritts zu EU und Nato", findet der TAGESSPIEGEL.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG geht auf die Kriegsziele ein und warnt den ukrainischen Präsidenten vor einer bestimmten Forderung: "Selenskyjs Heldentum krankt nur an einem einzigen Irrtum. Die Rückeroberung der Krim als Ziel auszurufen war ein Fehler. Aus dem Regionalkonflikt wurde bereits de facto eine Art Stellvertreterkrieg. Dieser darf unter keinen Umständen in einen Weltkrieg münden. Das Risiko ist immens, dass Moskau alles riskieren wird, um die Krim nicht zu verlieren. Manche scheinen zu vergessen, dass Russland nicht der Irak oder Serbien ist, sondern die größte Atommacht der Welt", meint die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
DIE TAGESZEITUNG aus Berlin glaubt: "Ein Jahr Krieg in der Ukraine ist kein Abschluss. Es ist erst der Anfang. Gibt es überhaupt ein Ende? Selbst wenn alsbald die Waffen schweigen sollten, wofür rein gar nichts spricht: Die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Wladimir Putin wird nicht mehr zum rationalen Partner. Die Ukraine wird ihr Schicksal nicht mehr von außen bestimmen lassen wollen. Ihre Toten werden nicht mehr lebendig. Ihre Ruinen voller Leichen werden nicht mehr so aufgebaut wie früher. Ihre nach Russland verschleppten Kinder kommen nicht mehr unbelastet nach Hause. Ihre zerrissenen Familien werden nicht mehr heil. Zurück bleiben verbrannte Erde und vernarbte Seelen", resümiert die TAZ, und damit endet die Presseschau.