05. Juni 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert werden die Ausschreitungen in Leipzig nach dem Hafturteil für die Studentin Lina E. wegen linksextremistischer Gewalttaten. Außerdem geht es um die Demonstrationen in Polen.

Polizisten in Leipzig stehen hinter einer rauchenden Barrikade im Stadtteil Connewitz, die zuvor gelöscht wurde.
Ausschreitungen nach Urteil gegen Linksextremistin Lina E. in Leipzig (dpa / Hendrik Schmidt)
Zum ersten Thema heißt es in den BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN: "In Leipzig ist es zu den befürchteten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Linksextremen und der Polizei gekommen. Der Anlass: Lina E. und ihre Mitstreiter haben Menschen brutal angegriffen und sie teilweise schwer verletzt.Was haben brennende Barrikaden mit Antifaschismus zu tun? Erstens greifen die vermeintlichen Antifaschisten eben jenen demokratischen Rechtsstaat an, den es doch gegenüber Nazis zu verteidigen gilt. Und zweitens wird kein einziger Nazi durch diese Gewalt bekehrt. Im Gegenteil. Aber es ist natürlich viel leichter, eine Schlacht mit der Polizei – sogar mit Stein- und Flaschenwürfen – anzuzetteln als mühsam mit friedlichen Mitteln die Gesellschaft zu verbessern", betonten die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe.
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG schreibt: "Die linke Szene in Connewitz hat zwar in den vergangenen Jahren eine Wandlung durchgemacht. Ein Teil distanziert sich aber nach wie vor nicht von Gewalttaten. Die verurteilte Linksextremistin Lina E. erscheint ihnen als Märtyrerin. Die Hoffnung ist, dass Aufrufe wie zum 'Tag X' in Zukunft regelrecht verpuffen, keine große Wirkung mehr erzielen, Leipzig und Connewitz nicht mehr zum Schaulaufen für die Unverbesserlichen werden. Dann muss sich niemand mehr über das Vorgehen der Polizisten und das Gebaren der Linken aufregen. Dieses Wochenende hat diese Hoffnung ein wenig genährt", findet die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz sieht den Polizeieinsatz in Leipzig mit einer gewissen Skepsis: "Faktisch wurde das Demonstrationsrecht in der Stadt für mehrere Tage aufgehoben, mit richterlichem Segen. Die Argumente, dass es dazu keine Alternative gab, haben mehrere 100 Gewaltbereite im Nachgang selbst geliefert. Insofern ist der Leipziger Polizeiführung zuzustimmen, dass es angemessen war, massiv Präsenz zu zeigen. Dennoch ist zu fragen, ob es nötig war, bis zu 1.000 Personen für viele Stunden einzukesseln. Machtdemonstrationen dieser Art schweißen die linksautonome Szene zusammen und liefern die nötigen Bilder für die Erzählung vom autoritär-reaktionären Staat", gibt die ALLGEMEINE ZEITUNG zu bedenken.
Die Berliner TAGESZEITUNG hält das Vorgehen der Polizei in Leipzig für unverhältnismäßig: "In Connewitz kämpft die Staatsmacht gegen ein angeblich resolutes Viertel, durchsetzt von linken Autonomen. Dass der Stadtteil eigentlich ein recht bürgerlicher ist – geschenkt. Für ein paar Hundert teils minderjährige Antifas wurde ein Polizeizirkus jenseits jeglicher Verhältnismäßigkeit inszeniert. Was wäre passiert, hätte man sie laufen lassen? Ein paar brennende Mülltonnen? Ein Ausgehviertel im Ausnahmezustand und einen millionenschweren Polizeieinsatz hätte es dafür nicht gebraucht. Gebraucht wird der Mythos Connewitz jedoch von einem Sicherheitsapparat, der nicht mehr weiß, wen er beschützen soll – außer zuvorderst sich selbst", ist die TAZ überzeugt.
Anderer Meinung ist die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg: "Ohne die Fälle gleichzusetzen: Hier brutale Überfälle auf Andersdenkende samt Randale, an anderer Stelle Blockaden und Bilderstürme von selbst ernannten Klimarettern - das alles entspringt der Hybris, die einzig richtige Meinung zu vertreten und damit Gesetzesbrüche zu legitimieren. Ein Staat, der diesen Tendenzen nicht entschieden entgegentritt, macht sich zum Helfershelfer von Selbstermächtigung. Er muss durchgreifen, damit Politik nicht durch Faustrecht ausgeübt werden kann."
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG argumentiert: "Ohne staatliches Gewaltmonopol kann eine Demokratie nicht existieren. Auch deshalb ist das Geraune vom Repressionsstaat so gefährlich. Es delegitimiert einen Grundpfeiler des friedlichen Zusammenlebens. Keine Frage, aktuell ist der Rechtsextremismus die größte Bedrohung im Land. Das zeigen Umsturzpläne von Reichsbürgern, Rassismus gegen Geflüchtete und Mordanschläge wie in Hanau. Und zweifellos gibt es Defizite beim Ahnden rechtsextremer Straftaten. Doch dieKonsequenz kann nur 'mehr Rechtsstaat' heißen, mehr Kontrolle von Polizei durch unabhängige Justiz und auch kritische Öffentlichkeit. Was es ganz bestimmt nicht braucht: Angriffe auf demokratische Prinzipien. Also, dringend deeskalieren bitte", mahnt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Der SÜDKURIER aus Konstanz fordert ein härteres Vorgehen gegen den Linksextremismus: "Der linke Krawalltourismus probt den Bürgerkrieg, auf den Straßen brennen Barrikaden, 50 Polizisten sind verletzt. Haben die schwarz vermummten Schläger eigentlich mitbekommen, dass ihre Gesinnungsgenossin Lina E. nach ihrer Verurteilung auf freien Fuß gesetzt wurde und damit der Anlass ihres Aufmarschs hinfällig ist? Doch darum geht es nicht. Die Szene sucht einen Anlass, um loszuschlagen und ihre Stärke zu demonstrieren. In Leipzig hat sie ihn gefunden. Der Linksextremismus, so viel wird in Leipzig deutlich, lässt sich nicht länger als Nebensache abtun. Innenministerin Faeser wird daran gemessen werden, ob sie ihren Worten Taten folgen lässt", unterstreicht der SÜDKURIER.
Die Magdeburger Zeitung VOLKSSTIMME geht in ihrem Kommentar auch auf den Parteitag der Linken in Sachsen-Anhalt ein. "Am Wochenende ist es in Leipzig zu schweren Krawallen linksradikaler Gruppen gekommen. Hunderte Vermummte griffen Polizisten mit Flaschen, Steinen und Pyrotechnik an. Die Ausschreitungen belegen, dass Deutschland auch ein veritables Problem mit Linksextremismus hat. Das Urteil zu Lina E. wird als Rechtfertigung dafür genommen, gewalttätig gegen den in linksextremen Kreisen verhassten Staat, seine Institutionen und Repräsentanten vorzugehen. In Sachsen-Anhalt ist zu beobachten, dass sich der Parteinachwuchs immer mehr radikalisiert. Und die Jüngeren werden einflussreicher. Gegen den Willen der Parteigranden um Wulf Gallert brachten sie den Parteitag dazu, sich mit Lina E. zu solidarisieren. Das knappe Ergebnis dokumentiert die Zerrissenheit der Partei in dieser Frage. Zu erwarten ist, dass der Parteinachwuchs den Kurs künftig noch mehr mitbestimmen wird. Die Partei droht somit nach ganz links zu rutschen", warnt die VOLKSSTIMME.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU kommentiert die Demonstration in Warschau gegen die polnische national-populistische Regierung: "Das Datum ist historisch. Am 4. Juni 1989 hielt die damalige Volksrepublik Polen die ersten halbfreien Wahlen ab, die sozialistischen Machthaber beugten sich dem jahrelangen Druck der Bürgerbewegung Solidarnosc. Ihr legendärer Anführer Lech Walesa, inzwischen 79 Jahre alt, ging am Sonntag wieder auf die Straße, dieses Mal gegen die nationalkonservative Regierung, deren starker Mann Jaroslaw Kaczynski die Geschicke Polens auch nach der Parlamentswahl im Herbst weiter bestimmen will. Das gerade verabschiedete Gesetz 'gegen russische Einflussnahme' richte sich eigentlich gegen die demokratischen Gegner Kaczynskis, beklagen Walesa und die Opposition. An diesem Wochenende zeigte sich, wie vergiftet der Wahlkampf in Polen werden kann. Die EU darf nicht vor dem erneuten Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat einknicken, den dieses Gesetz darstellt", fordert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Nach Ansicht der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG markiert die Kundgebung in Warschau möglicherweise einen Wendepunkt in Polen: "Mit der Verabschiedung der 'Lex Tusk' durch das Parlament und ihrer prompten Unterzeichnung durch Präsident Andrzej Duda hat die PiS kurz vor der Demonstration gezeigt, dass die Opposition nicht übertreibt, wenn sie behauptet, es gehe um die Verteidigung von Freiheit und Demokratie. Dieses Gesetz greift die Grundlagen des demokratischen Prozesses an, weil es eindeutig dafür gemacht ist, Oppositionsführer Donald Tusk vor der Wahl politisch auszuschalten. Angesichts der gesetzgeberischen Attacke auf den stärksten Oppositionspolitiker, ohne den ein Regierungswechsel derzeit nicht möglich wäre, hat sie nun ihre Reihen geschlossen und zugleich ihre soziale Basis verbreitert", warnt die F.A.Z, mit der die Presseschau endet.