14. August 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mit Kommentaren zum Vorschlag der Wirtschaftsweisen Grimm, den Renteneintritt an die Lebenserwartung anzupassen. Außerdem geht es um die geplante Cannabis-Freigabe und um den Putsch in Niger.

Mohamed Toumba, einer der Führer der Putschisten, am 6. August in Niamey, Niger, mit emporgestreckten Armen in Siegerpose, umgeben von weiteren Militärs
Mohamed Toumba, einer der Führer der Putschisten, am 6. August in Niamey, Niger (picture alliance / AA / Balima Boureima)
Dazu schreibt die TAGESZEITUNG: "Nein, es wird wohl keine Militärintervention in Niger gegen den Militärputsch und zur Wiedereinsetzung des gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum geben. Westafrikas militärische Drohkulisse stellt sich als das heraus, was sie immer war: eine Kulisse eben. Dahinter verbarg sich – nichts. Die zivile Demokratie hat in Niger verloren wie schon in Mali, Guinea und Burkina Faso. Damit muss man sich abfinden. Die Putschisten werden in all diesen Ländern nichts besser machen als ihre zivilen Vorgänger. Das werden die Bevölkerungen dieser Länder alsbald merken. Es wird neue Revolten geben, und die Generäle werden irgendwann vor der Wahl stehen, ihr eigenes Volk zu massakrieren oder zurückzutreten. Der Rest der Welt sollte für diesen Moment bereitstehen und sich rechtzeitig mit den demokratischen Kräften der Sahelländer darüber verständigen, was dann zu tun ist. Aber jetzt ist nicht dieser Moment. So traurig das für Mohamed Bazoum ist", urteilt die TAZ.
"Die neuen Machthaber im Sahel verfolgen nun ihren eigenen, schwer zu durchschauenden Kurs", hält die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG fest. "Zweifellos stehen Russland, China und andere als neue Verbündete ohne den Ballast einer kolonialen Vergangenheit bereit. Ihnen wird jetzt Tür und Tor zu Frankreichs früherem Hinterhof geöffnet. Zugleich befinden sich Terroristen und radikale Islamisten weiterhin auf dem Vormarsch und versuchen, in die wichtigen, bisher stabilen Küstenländer vorzudringen. Auf den Straßen von Niamey, Bamako und Ouagadougou mag der Putsch als die ersehnte Befreiung von der alten Kolonialmacht gefeiert werden. Doch Frankreich und damit dem Westen den Rücken zu kehren ist ein riskantes Spiel. Die Verlierer werden mit großer Wahrscheinlichkeit die Menschen sein, die seit der Unabhängigkeit vor 63 Jahren auf ein besseres Leben hoffen", glaubt die FAZ.
Die Wirtschaftsweise Grimm schlägt vor, das Renteneintrittsalter bei steigender Lebenserwartung automatisch anzuheben. Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG stellt fest: "Die Vorstellung wird den wenigsten gefallen. Dieser Vorschlag sollte aber ernsthaft diskutiert werden – den angeblichen Überzeugungen des Bundeskanzlers zum Trotz. Scholz erklärte, es sei genug, wenn jemand mit 17 die Schule verlasse und fünf Jahrzehnte arbeite. Das stimmt grundsätzlich. Allerdings hat sich der Arbeitsmarkt massiv verändert. Immer mehr Arbeitnehmer starten nach teils langem Studium erst mit Mitte oder Ende zwanzig in den Beruf. Gleichzeitig entwickelt sich die Medizin, und immer mehr Menschen arbeiten am Schreibtisch im klimatisierten Büro statt in der Schwerindustrie. Dadurch steigen erfreulicherweise Lebenserwartung und -qualität. Die daraus resultierenden höheren Kosten zahlt jedoch kein anonymer Staat. Letztlich müssen die verbliebenen Arbeitnehmer dafür aufkommen. Irgendwann droht der sogenannte Generationenvertrag zu erodieren. Es ist also wichtig, über Veränderungen zu sprechen", mahnt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Grimm spreche aus, was viele Politiker sich noch nicht trauten, laut zu sagen, notiert der MÜNCHNER MERKUR. "Wie etwa der Kanzler. Er hält nach außen trotzig fest an seinem Ampel-Märchen, alles sei prima in Deutschland. Das ist es leider nicht: Während die Bundesbürger in großer Zahl die von der Merkel-Koalition ersonnenen Frühverrentungsmöglichkeiten nutzen, gehen der kriselnden Wirtschaft wegen der nachrückenden geburtenschwachen Jahrgänge die Arbeitskräfte aus. Zugleich steigt die Lebenserwartung, und die junge Generation träumt von Viertagewoche und Work-Life-Balance. Wenn aber alle weniger arbeiten und länger leben und ihre Freizeit genießen wollen, wird sich der erworbene Wohlstand nicht halten lassen. Auch nicht mit Milchmädchenrechnungen wie jener der Bundesarbeitsagentur, die jedes Jahr 400.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben will", argumentiert der MÜNCHNER MERKUR.
Anders sehen es die NÜRNBERGER NACHRICHTEN: "Es gibt genügend Vorschläge, wie das Rentenniveau auf einem mindestens erträglichen Niveau gehalten werden kann, ohne dass den Arbeitnehmern immer mehr aufgebürdet wird. Trotz volkswirtschaftlich gebotener Schritte schreckt die Politik vor einem Umbau des Systems zurück. Stattdessen klebt sie Pflaster um Pflaster auf die Wunde, in der Hoffnung, dass es noch eine Wahlperiode lang halten wird. Das zementiert die ohnehin schon weit verbreitete Altersarmut. Frau Grimms Idee würde daran rein gar nichts ändern", geben die NÜRNBERGER NACHRICHTEN zu bedenken.
Das Bundeskabinett befasst sich in dieser Woche mit dem Gesetzentwurf zur geplanten Teil-Legalisierung von Cannabis. Die Zeitungen der MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, kommentieren: "Cannabis-Konsum kann laut Medizinern schizophrene Schübe verursachen. Offenbar reicht aber auch schon die gesetzgeberische Beschäftigung mit dem Thema, um ein in sich ziemlich widersprüchliches Verhalten auszulösen. Oder wie soll man es nennen, dass Gesundheitsminister Lauterbach im Kabinett einerseits eine Legalisierung des Drogenkonsums auf den Weg bringen will – zugleich aber auch eine Kampagne, die vor den Gefahren der Droge warnt. Im innersten Herzen, so scheint es, traut der Gesundheitsminister seinen eigenen Liberalisierungsplänen nicht recht über den Weg und hat (statt das Projekt lieber aufzugeben) einen Sicherungsmechanismus nach dem anderen eingebaut – von der Drei-Pflanzen-Regel über Modellregionen bis zur Vereinspflicht. Ein echter Bürokratie-Trip – für Polizei, Justiz und Kiffer. Vielleicht ist das ja aber auch eine Form der Drogen-Prävention. Denn klar ist: Wer alles einhalten will, braucht einen klaren Kopf", heißt es in den Zeitungen der MEDIENGRUPPE BAYERN.
Auch das STRAUBINGER TAGBLATT zeigt sich kritisch: "Was nicht verboten ist, kann so schlimm schon nicht sein. Das wird das fatale Signal sein, das für viele junge Leute von der Legalisierung ausgeht. Lauterbach hat das Risiko erkannt und will sie mit einer Kampagne begleiten, die auf die gesundheitlichen Gefahren von Cannabis hinweist. Das grenzt an politische Schizophrenie. Der Arzt Lauterbach weiß genau um die Risiken, der Politiker und Minister geht sie ein und warnt mit einer mit Steuergeld finanzierten Kampagne vor den Folgen seiner eigenen Politik. Einmal ganz davon abgesehen, dass die Wirkung solcher Aufklärung begrenzt ist: Das sind genau die Widersprüche, die die Bürger nerven", glaubt das STRAUBINGER TAGBLATT.
Die RHEIN-ZEITUNG kommentiert das geplante Gesetz zum Bürokratieabbau in Deutschland: "Beamte hangeln sich möglichst wortgenau an den Vorschriften entlang, um keine Fehler zu machen. Verfahren werden so vielfach komplizierter, langwieriger und für Antragsteller frustrierender. Das geht so weit, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen den Papierkram kaum noch bewältigen können, der beispielsweise mit dem Bau einer neuen Fabrik oder einer neuen Anlage zur Energieversorgung einhergeht. Im Ergebnis verlagern immer mehr Unternehmen neue Investitionen ins Ausland, wo es weniger bürokratisch zugeht. Daher ist es dringend notwendig, dass beim Erarbeiten von Gesetzen mehr Praxissinn gewagt wird, ohne die Rechtssicherheit über Bord zu werfen", konstatiert die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz.
Die BERLINER MORGENPOST beklagt die schleppende Digitalisierung im Land: "Laut der EU-Kommission liegt die Bundesrepublik bei der Verwaltungsdigitalisierung abgeschlagen auf Rang 18. Nein, die Zeit der Ausreden und Vertröstungen ist vorbei. Es heißt: Aufwachen, Deutschland! Die Politik ist in einer Wolke der Bräsigkeit gefangen. Sie ist plan- und konzeptlos gegenüber den Herausforderungen der Zukunft, die durch den Ukraine-Krieg und geopolitische Disruptionen noch massiver werden. Doch die Bundesregierung erschöpft sich in Stückwerk", stellt die BERLINER MORGENPOST fest.