29. September 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit dem Schwerpunkt Migration. Die EU-Innenminister haben sich nach Angaben von Bundesinnenministerin Faeser im Grundsatz auf eine Krisenverordnung zur EU-Asylpolitik verständigt. Und der CDU-Vorsitzende Merz hat mit Äußerungen über Zahnbehandlungen für Asylbewerber eine Kontroverse ausgelöst.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz im Bundestag. Er hat das Gesicht auf die Hand gestützt und die Augen geschlossen.
Ausrutscher oder bewusste Provokation? Friedrich Merz sorgt mit seinen Äußerungen über Geflüchtete und Zahnarztbesuche für Irritation. (IMAGO / dts Nachrichtenagentur / IMAGO / dts Nachrichtenagentur)
Dazu schreibt der MÜNCHNER MERKUR: "Es gibt viel zu bemängeln an Fehlentwicklungen und Fehlanreizen im deutschen Asylsystem. Aber Friedrich Merz wählte zum Beweis für seine Asyl-Anklage ein unglückliches Beispiel, eines, das so giftig ist, dass es Pauschalisierungen und Halbwahrheiten nicht gut verträgt. Für die von Merz beklagte zahnärztliche Generalsanierung für abgelehnte Asylbewerber mögen sich Beispiele finden lassen. Doch die Gesetzeslage ist viel differenzierter als von Merz dargestellt. Schon einmal haute der CDU-Chef mit seinem den Ukrainerinnen unterstellten 'Sozialtourismus' grob daneben. Schon klar: Der Oppositionsführer will Klartext sprechen, um verärgerte Bürger nicht rechten Stimmenfängern zu überlassen. Doch von einem Kanzler im Wartestand muss man erwarten können, dass er seine Sätze so wählt, dass seine Partei sie nicht anderntags wieder zurecht rücken muss", fordert der MÜNCHNER MERKUR.
Die FREIE PRESSE aus Chemnitz geht ins Detail: "Dass Geflüchtete anderen Menschen massenweise Termine beim Zahnarzt wegnähmen, um sich Zahnersatz machen zu lassen, ist blanker Unsinn. Merz sagt das, um auf Kosten von Schwächeren einen kurzfristigen Gewinn in der politischen Debatte zu erzielen. Wenn er glaubt, das sei eine anständige Art, Politik zu machen, sollte man ihm diesen Zahn ziehen."
"Natürlich trifft Merz einen Punkt", meint indes der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER. "Wer für sein Kind einen Kita-Platz sucht, der muss oft warten, weil eben auch Flüchtlingskinder einen Anspruch haben. In der Schule wird es eng, weil auch ukrainische Kinder unterrichtet werden müssen. Landräte und Bürgermeister warnen vor einer Überforderung. Wer die Debatte über die Grenzen der Zuwanderung abwürgen will wie die Grünen, macht einen Fehler und stärkt nur die AfD. Es ist höchste Zeit, darüber eine offene und faire Diskussion zu führen. Doch bei so einem sensiblen Thema kommt es auf den Ton an. Den trifft Friedrich Merz zum wiederholten Mal nicht", ärgert sich der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU hält die Äußerungen von Merz für einen Beleg, wie verwahrlost die Debatte über den Umgang mit geflüchteten Menschen geworden sei: "Der CDU-Chef hat den Protest vorausgesehen und politisch eingepreist. Merz hält das Spiel mit dem Feuer offenbar für strategisch klug, um sich von den Ampel-Parteien scharf abzugrenzen. In Wahrheit ist der Oppositionsführer mit seiner billigen Stimmungsmache zum besten Wahlhelfer der AfD geworden, die er quasi zitiert", kommentiert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG warnt: "Eine weitere Einwanderung in die Sozialsysteme wäre fatal. Deutschland muss den Glauben ablegen, es könnte unbegrenzt Armutsmigranten aufnehmen, die keine Chance auf Anerkennung haben, aber vielfach nicht abgeschoben werden können. Die Ressourcen dieses Landes sind begrenzt. So verliert das Land die Kontrolle über die Zuwanderung", befürchtet die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Die HEILBRONNER STIMME zeigt sich empört: "Wenn der Chef einer großen Volkspartei Deutsche und Asylbewerber gegeneinander ausspielt, betreibt er das Geschäft der Extremisten. Die AfD, die Merz einst halbieren wollte, wird sich ins Fäustchen lachen und darf bei der nächsten Umfrage wieder auf ein paar Prozentpunkte mehr hoffen."
Die Online-Ausgabe von CICERO fragt sich, "... ob Merz noch einmal die Kurve kriegt. Sein gefährlicher Schlingerkurs zwischen Herumlavieren und Harte-Sprüche-Klopferei hat ihn mittlerweile in die Nähe jener politischen Todeszone gebracht, die einst der glücklose Bundespräsident Horst Köhler erreicht hatte. Womöglich muss sich die CDU demnächst schon wieder einen neuen Vorsitzenden suchen. Es wäre die vierte Auswechselung an der Parteispitze innerhalb von vier Jahren."
Die Zeitung DIE WELT beleuchtet die innerparteilichen Differenzen: "Friedrich Merz versucht, seine Union zusammenzuhalten. Die Rückendeckung für seine Gratwanderung nimmt mit jedem der angeblichen Skandale ab. Bemerkenswert ist, wie sehr auch einzelne wichtige Figuren der Partei ihre eigene Blase im Blick haben. Oder im besten Falle ihr Bundesland, das politisch anders grundiert ist als die gesamte Bundesrepublik. Die beiden mächtigen Gegenspieler Hendrik Wüst und Daniel Günther lauern als Exponenten schwarz-grüner Träume auf jeden Fehler von Merz. Und er liefert sie gerne. Das Fatale daran ist, dass Merz zusammen mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann noch zu den ehrlichsten Politikern der Union gehört. Andere Exponenten in der Partei agieren weitgehend aus Kalkül, Merz hingegen redet ab und an, wie ihm sein sauerländischer Schnabel gewachsen ist. Es ist eine interessante Wette, ob die Bundesbürger:innen so eine nicht durchgängig staatsmännische Figur als Kanzler wollen", überlegt DIE WELT.
Schlussendlich ein Ratschlag des SÜDKURIER aus Konstanz: "In der CDU-Führung war es stets gute Tradition, die kantigen Äußerungen dem Generalsekretär zu überlassen und sich ansonsten diplomatisch zu äußern. Es stünde auch Merz gut an, einen Bogen um die geistigen Stammtische zu machen."
Nun nach Brüssel, zur geplanten EU-Asylreform. Bundesinnenministerin Faeser hat angekündigt, dass Deutschland einem neuen Textvorschlag zur sogenannten Krisenverordnung zustimmen wird. Die RHEIN-ZEITUNG bemerkt: "Tatsächlich ist es noch kein wirklicher Schritt zum Ergebnis. Berlin hat nur den Weg freigemacht, damit die vom EU-Parlament ausgesetzten Verhandlungen über das Gesamtpaket wieder aufgenommen werden können. Das Berliner Ja zum Krisenmechanismus wird auf ein Nein des Parlaments prallen", erwartet die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz.
Die NÜRNBERGER ZEITUNG wirft ein Schlaglicht auf die Ampel-Koalition: "Man wusste bis zuletzt nicht, wer eigentlich in Brüssel das deutsche Wort führte - Außenministerin Baerbock oder die eigentlich zuständige SPD-Innenministerin Faeser? Scholz hat nun klargestellt, dass es Faeser obliegt, für Deutschland dafür zu sorgen, dass die EU die Kontrolle über die Migration zurückgewinnt. Ob das gelingt, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Denn dazu braucht es in erster Linie Rückführungsabkommen mit jenen Ländern, aus denen Migranten kommen, die eigentlich keine Aussicht haben, mit Recht Asyl beanspruchen zu können", konstatiert die NÜRNBERGER ZEITUNG.
Die BADISCHE ZEITUNG schreibt: "Europa muss rasch abschreckende Signale in die Elendsviertel dieser Welt senden, wenn es nicht selbst bankrott gehen will, das haben inzwischen sogar die deutschen Grünen begriffen. Wie aber soll das gehen, wenn man gleichzeitig humanitäre Grundsätze nicht aufgeben will? Würde man Minderjährige und Familien, wie von den Grünen gefordert, von den rigorosen Prozeduren an den Außengrenzen ausnehmen, hätte das lediglich den Effekt, dass noch mehr Kinder und Jugendliche allein losgeschickt würden als jetzt schon. Ein ausgefeiltes und zynisches Schleusersystem macht sich jede humanitäre 'Lücke' in der Festung Europa zunutze. Deshalb muss die Asylreform so schnell wie möglich kommen", mahnt die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg.
Der Berliner TAGESSPIEGEL beobachtet: "Viele (EU)-Partner verfolgen die deutsche Entscheidungsscheu mit Ärger und Verständnislosigkeit. Ein weiterer Grund des Ärgers über Deutschland ist die Neigung zur Überheblichkeit. Ob Aufnahmelager in Griechenland, Asylverfahren in Italien, mehr Sachleistungen statt Geld in Frankreich, nicht zu reden von den Verhältnissen in Drittstaaten wie Tunesien oder Moldawien: Kaum etwas genügt den deutschen Ansprüchen. Doch der Versuch, deutsche Vorstellungen in Europa durchzusetzen, kann eine Gegenreaktion provozieren: Sollen die Deutschen doch sehen, wie sie allein mit der Massenmigration klarkommen.Das hat 2015 nicht geklappt. 2023 zeigt sich wieder: Es geht nur gemeinsam. Deutschland muss seinen Teil für eine europäische Lösung beitragen", unterstreicht der TAGESSPIEGEL.