20. Oktober 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert werden die Zunahmen pro-palästinensischer Demonstrationen und antisemitischer Vorfälle in Deutschland. Außerdem geht es um die Linken-Politikerin Wagenknecht, die ihre eigene Partei gründen will.

Politikerin Sahra Wagenknecht sitzt auf einem weißen Sessel.
Sahra Wagenknecht steht vor der Gründung einer eigenen Partei. (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
Der MÜNCHNER Merkur blickt voraus: "Das 'Bündnis Sahra Wagenknecht' kommt und könnte ab 2025 den Bundestag durcheinanderwirbeln. Entgegen bisherigen Frohlockungen, dass die neue Partei vor allem der AfD das Wasser abgraben werde, müssen all diejenigen am stärksten bangen, die womöglich unliebsame Bekanntschaft mit der 5-%-Hürde machen könnten. Also Linkspartei, Freie Wähler, FDP und, wegen des neuen Ampel-Wahlrechts, sogar die CSU. Trotzdem zielt Wagenknecht am stärksten auf das Wählerklientel der AfD: Sie ist die wortmächtige Populistin, die die 'Alternative' so gerne hätte", stellt der MÜNCHNER MERKUR fest.
"Wer müsste Angst haben vor dem Bündnis Sahra Wagenknecht?", fragt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG. "Der AfD fehlt zwar eine charismatische Frontfigur, aber ihre Wähler werden sich nicht mit wirtschaftspolitischen Feinheiten beschäftigen. Und vermutlich schon aus Prinzip keine Ex-Linke wählen, sondern eher das rechtsextreme Protest-Original. Auch Wähler bürgerlicher Parteien dürften vom zu erwartenden schrägen Personal der neuen Partei eher abgeschreckt werden. Mit einer Wagenknecht allein lässt sich eben kein Staat machen."
ZEIT ONLINE prognostiziert: "Konkrete Problemlösungen, Antworten auf komplexe Fragen, die Fähigkeit zum Kompromiss, die nun mal das Kerngeschäft jeder verantwortlichen demokratischen Politik ist, wären so wenig zu erwarten wie von der AfD. Mit einer Wagenknecht-Partei würde Deutschland deswegen – gerade wenn sie erfolgreich wäre – politisch noch ein wenig instabiler, regierungsfähige Mehrheiten wären noch schwieriger zu erreichen, die Emotionalisierung des politischen Diskurses würde mutmaßlich noch weiter zunehmen. Das Land und die Demokratie – sie haben mit der neuen Wagenknecht-Partei also durchaus etwas zu verlieren", warnt ZEIT ONLINE.
Der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth ist ähnlicher Meinung: "Kann Wagenknecht das gelingen, was Merz nicht geschafft hat? Kann sie die AfD halbieren? Die anderen Parteien sollten nicht darauf hoffen. Vielmehr ist die Gefahr groß, dass im Erfolgsfall Wagenknechts im Osten im kommenden Jahr Landtage gewählt werden, in denen es kaum noch gestaltungswillige und -fähige Mehrheiten gibt."
Aus Sicht der Zeitung RHEINPFALZ aus Ludwigshafen sind die Erfolgschancen einer Wagenknecht-Partei schwer einzuschätzen: "Zunächst ist die künftige Vorsitzende keine, die Talent oder Lust hat, als Organisatorin zu wirken. Schon die Alltagsmühen des Abgeordnetendaseins empfindet sie als Zumutung. Wenn sie Leute um sich hat, die Sitzungen leiten und Parteibüros aufbauen, kann sich Wagenknecht auf ihre Rolle als personalisierte Opposition konzentrieren. Als Stimmensammlerin wird sie an den Rändern wirken, und zwar an beiden gleichzeitig, dem linken wie dem rechten", hält die Zeitung RHEINPFALZ fest.
Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Wuppertal hält die Auswirkungen von Wagenknechts Parteigründung eher für überschätzt: "Denn aus Vergrämten, die mal starkes Gesicht einer anderen Partei waren, ist nach ihrem Austritt selten etwas Großes entstanden. Nachzufragen bei der Ex-AfD-Chefin Frauke Petry oder – für Wagenknecht gleich am Küchentisch zu betrachten – bei Oskar Lafontaine, der einst als Lichtblick der SPD galt und dann als verzweifelter Linker ins Alter entschwand. Es wäre ihr überdies zu raten, nicht schon zur Europawahl 2024 zu starten. Sonst könnte ihr Stern noch vor der Bundestagswahl 2025 schneller untergehen, als sie das jetzt für möglich hält," vermutet die WESTDEUTSCHE ZEITUNG.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg erwartet schwere Zeiten für die Linke: "Es geht um das politische Überleben der jetzt schon im Sinkflug begriffenen Partei. Eine Spaltung wird wohl dazu führen, dass es für die Linke im Bundestag nicht mehr für eine eigene Fraktion reicht. Dann geht staatliche finanzielle Unterstützung verloren, Mitarbeiterjobs stehen auf dem Spiel. Will sich die Linke aus dieser dann existenzbedrohenden Lage befreien, muss sie mehr denn je zusammenstehen."
"Die Abspaltung könnte zu einer Befreiung auf beiden Seiten führen", vermerkt die FREIE PRESSE aus Chemnitz. "Die verbleibende Linke wird mit ihrem Kurs in der Migrations-, Identitäts- und Klimapolitik innerparteilich kaum noch auf Widerstand stoßen. Ihre Herausforderung dürfte sein, davon genug Leute zu überzeugen – gerade im Osten. Wagenknecht wiederum stehen bei ihren Politikansätzen keine Parteitagsmehrheiten mehr im Weg. Im günstigsten Fall ist die politische Linke gestärkt – und sitzt ab 2024 mit zwei Parteien in ostdeutschen Parlamenten. Wenn’s schlecht läuft, scheitern beide 2025 an der Fünf-Prozent-Hürde im Bund", wendet die FREIE PRESSE ein.
Themawechsel. Seit Beginn des Nahost-Krieges am 7. Oktober werden in Deutschland deutlich mehr antisemitische Vorfälle gemeldet. Der TAGESSPIEGEL verlangt: "Wer - aus welchem Grund auch immer - davor zurückschreckt, sich mit Israel zu solidarisieren, der sollte jetzt zumindest den jüdischen Menschen beistehen. Es geht um nicht weniger als den Schutz jüdischen Lebens, auch in Deutschland, auch in Berlin. Die Polizei wird stark gefordert sein, Synagogen und andere jüdische Einrichtungen zu schützen. Die Aufgabe der Zivilgesellschaft ist nun, sich klar hinter die jüdische Bevölkerung in Deutschland zu stellen". unterstreicht der TAGESSPIEGEL.
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE erwartet: "Wenn der Schutz des jüdischen Lebens die höchste Priorität hat, wie stets betont wird, dann muss das Folgen für die Zuwanderungspolitik und die Philosophie des Zusammenlebens haben. Dazu zählt, dass man sich in Deutschland ehrlich macht. Der Antisemitismus hierzulande wird - trotz all der scharfen Verurteilungen - stärker. Der Kampf dagegen wird nicht leicht zu gewinnen sein. Das im linken politischen Spektrum verbreitete Leitmotiv der bunten Multikulti-Republik, wonach jeder nach seinen Regeln leben kann und sich nicht anpassen muss, ist ungeeignet für eine Gesellschaft, die sich dem 'Nie wieder' verpflichtet fühlt", meint die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
"Die gewalttätigen Ausschreitungen pro-palästinensischer Protestierender müssen aufhören", fordert der KÖLNER STADT-ANZEIGER. "Die Polizei muss jetzt hart durchgreifen. Denn wer Hassverbrechen auf Deutschlands Straßen begeht, muss auf eine stark aufgestellte Polizei treffen, die zeigt: Das hat Konsequenzen, und zwar spürbare. Wenn Israels Sicherheit deutsche Staatsräson ist, dann hat der Staat zumindest dafür zu sorgen, dass Menschen aus Israel sowie Juden generell auf deutschen Straßen sicher sind. Wenn das nicht funktioniert, hat nicht nur der Rechtsstaat versagt, sondern auch die Gesellschaft", urteilt der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Die FULDAER ZEITUNG rätselt: "In der Bevölkerung müsste der Aufschrei viel lauter sein. Wo sind die Solidaritätsbekundungen mit Israel, wo bleibt der Kulturbetrieb um Campino, Grönemeyer und Krumbiegel, der sich sonst gerne auch politisch äußert? Auch die muslimischen Verbände sind verdächtig stumm. Doch es muss der Welt klar sein, auf welcher Seite Deutschland steht."
Die MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, geht auf die pro-palästinensischen Kommentare einiger Bundesliga-Spieler in Sozialen Netzwerken ein: "Profis mit Wurzeln in Nahost oder Nordafrika, die sich im Netz – ungeachtet der pogromartigen Gewaltorgie gegen Juden – zur Hamas bekennen und so den Hass auf Israel befeuern, sind nicht tragbar. Nicht in diesem Land, nicht mit dieser Vergangenheit. Stars wie Mazraoui vom FC Bayern verdienen Millionen, leben in luxuriösen Villen und genießen die Vorzüge, die unsere freie Gesellschaft bietet. Niemand zwingt sie, in Deutschland ihrem Beruf nachzugehen. Doch wenn sie es tun, ist es nicht zu viel verlangt, unsere Werte zu respektieren." Mit diesem Kommentar der MEDIENGRUPPE BAYERN endet die Presseschau.