21. November 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Im Mittelpunkt der Kommentare stehen die Konsequenzen aus dem Karlsruher Urteil zum Bundeshaushalt. Laut Wirtschaftsminister Habeck könnten die Energiepreise in Deutschland deutlich steigen. Außerdem wird der Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Kurschus sowie der Sieg des Rechtspopulisten Milei bei der Stichwahl in Argentinien kommentiert.

21.11.2023
Robert Habeck, Bundeswirtschafts- und Klimaminister, auf der Regierungsbank im Deutschen Bundestag in Berlin, 16.11.2023
Laut Bundeswirtschaftsminister Habeck könnten die Energiepreise in Deutschland deutlich steigen. (Archivbild vom 16.11.2023) (picture alliance / Flashpic / Jens Krick)
"Das ist schon ein Stück aus dem Tollhaus, das Habeck abliefert", findet die VOLKSSTIMME aus Magdeburg: "Seine Regierung bricht bei einem essenziellen Finanzierungsvorhaben die Verfassung und schiebt nun der Union die Schuld für eventuell steigende Preise in die Schuhe. Eines sei klar gesagt: Nicht der Kläger ist verantwortlich für die Misere, sondern der Täter: Und der heißt Ampelregierung. Die Koalition hat schwere Fehler gemacht und muss nun sagen, wie sie die Finanzlöcher solide und rechtskonform stopfen will. Das Urteil ist auch eine Quittung für eine verfehlte Klimapolitik, die aber beileibe nicht allein die Grünen, sondern auch die lange regierende Union zu verantworten haben", unterstreicht die VOLKSSTIMME.
Der MÜNCHNER MERKUR notiert: "Fast eine Woche hatten die Ampelpolitiker nun Zeit, nach dem Haushalts-Doppelwumms aus Karlsruhe in sich zu gehen. Viel herausgekommen ist außer trotzigem Beleidigtsein nicht. Immer lauter jammert der Regierungs-Klagechor, angeführt vom Klimaminister Habeck. Der droht Bürgern und Betrieben jetzt mit teurerer Energie – und bezichtigt Union und Verfassungsrichter, daran schuld zu sein. Pardon, Herr Habeck: Weder die Verfassungsrichter noch CDU und CSU haben längere AKW-Laufzeiten und billigen Strom aus abgeschriebenen Meilern verhindert. Das war schon der grüne Klimaminister selbst. Erst Energie politisch verteuern und dann den Strukturwandel mit Unsummen an Steuergeld unter Umgehung des Verfassungsrechts aufhalten: Das musste schiefgehen. Habeck steht vor den Trümmern seiner Politik. Und er erweist sich als ganz schlechter Verlierer", analysiert der MÜNCHNER MERKUR.
Die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz vermutet, dass es nun politisch eng werde für die Ampel-Koalition: "Galt in den vergangenen Wochen das Angebot der Union an Scholz, die Grünen und die FDP aus der Koalition zu werfen und stattdessen gemeinsame Sache mit CDU und CSU zu machen, als reine PR der Konservativen, wird mittlerweile auch in Ampelreihen ein Scheitern des Bündnisses wegen des Desasters beim Haushalt nicht mehr ausgeschlossen. Es ist schlagartig ein politisch besonders heißer Herbst im Berliner Regierungsviertel geworden, der allen noch einmal viel Kraft abverlangen wird", prophezeit die RHEIN-ZEITUNG.
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE betont: "Eine Regierung wird wahrscheinlich niemals in der Lage sein, für alles Wünschenswerte genügend Geld zu haben. Politik heißt auswählen und Prioritäten setzen. Genau das ist der Ampelkoalition nicht gelungen, sie hat ihre auseinanderklaffenden Weltbilder nie zu einer Einheit gebracht. Jeder bekam, was er wollte – im Zweifel über verdeckte Kredite finanziert. Das ist nun nicht mehr möglich."
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER bezeichnet die Transformation der Wirtschaft in eine klimaneutrale Zukunft als ein Mammutprojekt, für das auch der Staat viel Geld in die Hand nehmen müsse: "Kreative Buchführung kann jedoch nicht die Antwort sein. Beim Umgang mit den Ausnahmetatbeständen hat die Ampel den Bogen überspannt und die Schuldenbremse damit ausgehöhlt. Schulden bleiben Schulden, auch wenn man sie Sondervermögen nennt. Es ist an der Zeit, sich ehrlich zu machen. Die Schuldenbremse wird nur auf dem Papier, aber nicht de facto eingehalten. Man sollte sie lieber angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen noch ein, zwei Jahre aussetzen, muss aber auch lernen, den Gürtel in Zukunft wieder etwas enger zu schnallen", fordert der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kurschus, hat ihren Rücktritt erklärt. Der KÖLNER STADT-ANZEIGER sieht das positiv: "Katholische Kleriker hingegen können sich - wie weiland die Fürsten - hinter der Ideologie des Gottesgnadentums verschanzen. Ihre Bezugsgröße sind nicht Menschen, sondern die Repräsentation Christi. Mit sich und Gott im Reinen, bleiben sie im Amt, auch ohne Rückhalt. Kurschus geht. Das hat am Ende eine Größe, auf die manch hochgestellter Kirchenmann in Köln und anderswo wohl nimmermehr kommt", meint der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Nach Ansicht des WESER-KURIER aus Bremen zeigt der Rücktritt, dass man in der Evangelischen Kirche nicht leichtfertig mit den Schilderungen der Betroffenen umgehe: "Der eigentliche Rücktrittsgrund aber war wohl schlechte Kommunikation. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck einer Salamitaktik oder scheibchenweisen Aufarbeitung entstanden – beides ist für die Glaubwürdigkeit einer leitenden Geistlichen fatal."
Die TAGESZEITUNGTAZ – schreibt, dass es müßig sei, darüber zu spekulieren, was Kurschus wann wusste: "Die Frage ist vielmehr, ob sie in dieser Situation hätte anders entscheiden können. Die Antwort lautet: Wohl kaum. Zum einen ist sie bereits jetzt massiv in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt – für die höchste Repräsentantin der EKD eine schwere Bürde, die ihre Handlungsspielräume massiv einschränkt. Zum anderen hat sie die Aufarbeitung von Missbrauch zur Chefsache erklärt. Wer einen solch hohen moralischen Anspruch formuliert, muss sich auch daran messen lassen – eine Erkenntnis, die vielen Politikern, so überhaupt jemals vorhanden, schon längst abhanden gekommen ist", stellt die TAZ fest.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG konstatiert, dass der Fall noch eine weitere Dimension habe: "Kurschus fand im entscheidenden Moment auch deshalb so wenig Rückhalt in den eigenen Reihen, weil es auf der Führungsebene schon zuvor Spannungen gab. Nachdem die evangelische Kirche über viele Jahre im Vergleich zur katholischen Kirche einen recht intakten und geschlossenen Eindruck machte, tun sich nun auch dort verstärkt Risse auf. Die Erosion von Religiosität und kirchlicher Bindung zeitigt an der einen oder anderen Stelle sogar erste Absetzbewegungen. Auch die evangelische Kirche hat schon viele Jahre verplempert. Ein scharfer Abbruch auf allen Ebenen lässt sich ohnehin nicht verhindern", heißt es in der F.A.Z.
Argentinien steht nach der Wahl des Rechtspopulisten Milei zum neuen Präsidenten vor einem historischen Regierungswechsel. Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ist sein Sieg eine Gefahr für das Land: "Der Staat soll auf ein Minimum zusammengekürzt und die Landeswährung Peso durch den Dollar ersetzt werden. Man kann nun darüber diskutieren, ob solche Maßnahmen notwendig und durchführbar sind. Das Problem an Mileis Wahlsieg sind aber nicht seine radikalen wirtschaftspolitischen Ideen, sondern seine extreme Weltsicht. Milei wähnt sich in einem Kampf gegen Linke und Marxisten. Er glaubt, diese hätten sich weltweit zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Pop- und Hochkultur zu unterwandern, um so erst den öffentlichen Diskurs an sich zu reißen – und dann die Weltherrschaft. Diese Verschwörungstheorie ist in der globalen Neuen Rechten weit verbreitet, Trump scheint ihr anzuhängen, ebenso wie Bolsonaro in Brasilien. Am 10. Dezember wird Milei sein Amt antreten. Ihm wird viel Widerstand entgegenschlagen, im Parlament ebenso wie auf der Straße. Argentinien, so viel ist klar, stehen unruhige Zeiten bevor", befürchtet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die RHEINPFALZ aus Ludwigshafen resümiert: "Milei ist es gelungen, dem ausgelaugten Land und den Millionen verarmten Menschen wieder Hoffnung zu geben, indem er ihnen die Illusion eines wirtschaftlich prosperierenden Landes ohne Inflation verkauft hat. Doch was er vorhat, könnte eher zum Gegenteil führen. Argentinien hat sich mit Milei auf einen Sprung mit dem Fallschirm eingelassen, bei dem nicht klar ist, ob der Schirm aufgeht und die Landung weich oder der Aufprall verheerend wird." Mit dem Kommentar aus der RHEINPFALZ endet diese Presseschau.