20. Januar 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute ausschließlich mit Kommentaren zur politischen Entwicklung im Inland. Zunächst der Blick nach Berlin. Das Parlament hat mit den Stimmen der Koalition eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts beschlossen.

Ein Reisepass liegt auf einer Einbürgerungsurkunde.
Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ist ein Thema der Presseschau. (picture alliance / Laci Perenyi)
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU schreibt: "Der Bundestag signalisiert den zugewanderten Menschen in Deutschland: Ihr gehört zu uns! Dieses Land will, dass Ihr Euch auch zu uns und unseren Werten bekennt – und es sieht ein, dass Ihr Euch trotzdem Eurem Herkunftsland verbunden fühlt. Deshalb wird die doppelte Staatsbürgerschaft akzeptiert. Das ist ein wichtiges Zeichen gerade jetzt, da Rechtsextremisten mit und ohne Parteifunktion Menschen ausgrenzen wollen, die nicht ihren völkischen Vorstellungen von Deutschen entsprechen. Als Willkommenssymbol ist das Gesetz daher richtig", vermerkt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
"Beim Thema Staatsbürgerschaft wird es schnell emotional", beobachtet die MÄRKISCHE ODERZEITUNG "Das ist insofern verwunderlich, als dass die meisten Deutschen nicht das Geringste dafür getan haben, Deutsche zu werden. Sie sind Deutsche, weil ihre Eltern es sind. Insofern hängt das von Unions- und AfD-Politikern vorgetragene Argument, die deutsche Staatsbürgerschaft werde verramscht, ziemlich in die Luft. Nach altem und auch nach neuem Recht müssen Menschen, die Deutsche werden wollen, Integration, Treue zum Grundgesetz und in der Regel wirtschaftliche Selbstständigkeit nachweisen", konstatiert die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder.
Der Berliner TAGESSPIEGEL gibt zu bedenken: "Wirklich erleichtert – im Sinne niedrigerer Anforderungen – wurde die Einbürgerung lediglich für die Rentner der Gastarbeitergeneration. Sie brauchen künftig nur noch nachzuweisen, dass sie Deutsch sprechen können. Ein schriftlicher Test fällt weg. Wenn die Union deshalb beklagt, der deutsche Pass würde 'verramscht', sollte man mit Max Frisch antworten: 'Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen'. Diese Menschen standen teils Jahrzehnte am Band, rieben sich für wenig Lohn auf. Härter kann man sich eine Staatsbürgerschaft kaum erkaufen", findet der TAGESSPIEGEL.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG nennt die Reform einen Schritt von historischer Bedeutung, kritisiert aber zugleich: "Eine Schande ist das erbarmungslose Leistungsprinzip, das die FDP dem Gesetz eingepflanzt hat. Denn es grenzt alle diejenigen aus, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft erwirtschaften können und staatliche Stütze brauchen, dafür aber keine Verantwortung tragen. Wer etwa das Pech hatte, vom Baugerüst zu fallen, wer ein Kind mit Behinderung geboren hat oder selbst chronisch krank ist und deshalb nicht in Vollzeit arbeiten kann, hatte bisher das Recht einzubürgern, trotz Sozialleistungen. Damit ist nun Schluss. Richtige Deutsche sind eben gesunde Kerle, das ist die Botschaft. Sie ist eine Aufforderung zu klagen. Auf Wiedersehen in Karlsruhe", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Große Aufmerksamkeit in den Kommentaren erfahren die Proteste gegen Rechtsextremismus. Die PASSAUER NEUE PRESSE zeigt sich erleichtert, dass erneut Zehntausende Menschen auf die Straße gehen. "Das ist ebenso bitter nötig wie ermutigend. Weite Teile der Zivilgesellschaft und alle etablierten Parteien müssen sich schwere Versäumnisse im Kampf gegen den AfD-Faschismus vorwerfen lassen. Sie schauen dem Aufstieg von Höcke, Weidel und Co. seit Jahren mehr oder minder sprach- und tatenlos zu, ohne energisch einer Entwicklung Widerstand zu leisten, die die deutsche Demokratie an den Abgrund schiebt. Es war wohl so, dass alle dachten, der Fall AfD, obwohl als Partei vom Verfassungsschutz in größeren Teilen als rechtsextrem eingestuft, regele sich kürzer oder später schon von allein. Das tut er nicht", befürchtet die PASSAUER NEUE PRESSE.
Die STUTTGARTER NACHRICHTEN erinnern an den Auslöser der Proteste - Ein Bericht über ein Treffen von Rechtsextremisten mit AfD-Funktionären: "Die Enthüllungen über ein rechtes Geheimtreffen in Potsdam mit einer menschenverachtenden Agenda zur Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund zeigen, wie real die Gefahr bereits ist. Hoffentlich gehen am Wochenende sehr viele Menschen auf die Straßen. Die Verächter unserer Grundwerte sollen erkennen, dass sie im Abseits stehen."
Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm nennt die Proteste gegen Rechtsextremismus wichtig und richtig. "Und dennoch verursacht die Art und Weise, wie die Demos ausgelöst wurden, ein Störgefühl. Nicht nur, weil seit besagtem Bericht Aussage gegen Aussage steht. Auch mit der Präsentation hat man sich keinen Gefallen getan: Die Recherche wurde im Stil eines Theaterstücks in Akten veröffentlicht, Schauspieler trugen sie im Berliner Ensemble als szenische Lesung vor. Wenn aber die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion, Journalismus und Aktivismus verschwimmen, fragt man sich am Ende: Was ist nun wahr und was nicht? Zu sehr fühlt man sich an die Aiwanger-Berichterstattung erinnert, die auch durch ihre effekthascherische Darstellung zu einer Solidarisierung mit ihm führte. Das könnte sich jetzt wiederholen", mahnt die SÜDWEST PRESSE.
In einer von SPD, Grünen und FDP beantragten Aktuellen Stunde wandten sich gestern Abgeordnete gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Zeitung ND DER TAG sieht Widersprüche zur verschärften Asylpolitik "Wie passt es zusammen, dass ein Bundeskanzler, der vor wenigen Wochen brutalstmögliche Abschiebungen forderte, sich jetzt besorgt über rechtes Gedankengut zeigt? Wie passt es zusammen, dass eine Grünen-Fraktion, die den 'Asylkompromiss' passieren ließ, voller Sorge den gesellschaftlichen Zusammenhalt anmahnt? Die Potsdamer Deportationspläne spiegeln doch bloß ihre eigene Politik, konsequent zu Ende gedacht. Die Widersprüche sind augenfällig: Gestern wurde im Bundestag um 14.45 Uhr über 'Wehrhafte Demokratie, Demokratiefeinde und Vertreibungspläne' diskutiert, um 17.30 Uhr wurde das 'Rückführungsverbesserungsgesetz' behandelt. Faktisch bliebe vom 'Nie wieder' übrig: Nie wieder darf rechtsradikale Politik nur von Rechtsradikalen gemacht werden." Wir zitierten die Zeitung ND DER TAG.
Auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG befasst sich mit dem sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetz, hat aber eine gänzlich andere Sichtweise: "Dass der Bundeskanzler Ausländer, die hierzulande kein Aufenthaltsrecht haben, neuerdings 'im großen Stil' abschieben will, tut besonders den Grünen immer noch in der Seele weh. Den großen Stil sucht man in diesem Gesetz freilich vergeblich, dazu fehlt der Ampel die Kraft, die Einigkeit und die innere Überzeugung. Die Regierung rechnet damit, dass es nach der Novellierung etwa 600 Abschiebungen mehr geben wird – im Jahr, bei mehr als 600 Asylanträgen am Tag, von denen nach gründlicher Prüfung ein großer Teil abgelehnt wird. Doch wird danach nicht konsequent abgeschoben, was nicht nur daran liegt, dass man das nicht will, sondern dass man es auch nicht kann. Zwar mögen die Behörden nun endlich leichter die Identität von Ausreisepflichtigen feststellen und deren Untertauchen verhindern können. Doch fehlt es für die Abschiebung im großen Stil auch noch an Staaten, die jene aufnehmen, die Deutschland verlassen müssen", hält die F.A.Z. fest.
Zum Schluss noch einen Kommentar zum Abschied von Franz Beckenbauer. Die Zeitung die GLOCKE aus Oelde schreibt: "Dass ihm Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzler Scholz bei der Trauerfeier die Ehre erwiesen, verdeutlicht den Stellenwert Beckenbauers für die bundesdeutsche Gesellschaft. Er war nicht nur ein begnadeter Fußballer, sondern wirkte über den Sport hinaus. Schatten auf die Lichtgestalt warf ausgerechnet der Skandal um Beckenbauers, wie er selbst sagte, größten Erfolg: die WM 2006 in Deutschland. So sehr die berechtigte Kritik seiner Gesundheit in den letzten Lebensjahren auch geschadet hat, sie kann sein Lebenswerk nicht zerstören", resümiert die GLOCKE.