01. März 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mit Stimmen zur Debatte über eine Arbeitspflicht für Asylbewerber und zum aktuellen Geschehen im Gazastreifen. Zunächst geht es jedoch um die gestrige Rede des russischen Präsidenten Putin zur Lage der Nation.

Auf diesem von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichtne Foto hält Wladimir Putin, Präsident von Russland, seine Rede zur Lage der Nation in Moskau.
Putins Rede zur Lage der Nation (Gavriil Grigorov / Pool Sputnik Kremlin / AP / dpa)
In der BERLINER MORGENPOST ist zu lesen: "Gleich zu Beginn richtete Wladimir Putin seine beängstigende Botschaft an den Westen und drohte wieder unverblümt mit dem Einsatz von Atomwaffen. Es war offensichtlich. Der russische Präsident reagierte auf die Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der westliche Bodentruppen für die Ukraine nicht mehr ausschließen will. Und auch auf die großen Sorgen, die Bundeskanzler Olaf Scholz davon abhalten, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Putin sagte deutlich: Wenn ihr euch nicht an die roten Linien haltet, werden wir es auch nicht tun. Das ist natürlich Teil der psychologischen Kriegsführung: Ängste schüren, Vorbehalte stärken, Keile treiben zwischen die Verbündeten", notiert die BERLINER MORGENPOST.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG kommentiert: "So bequem hatte es Wladimir Putin schon lange nicht mehr. Zwei Wochen vor der russischen Präsidentenwahl steht einer weiteren Amtszeit nichts im Wege: Oppositionelle Kandidaten sind nicht zugelassen, der unbequeme Alexej Nawalny wird an diesem Freitag beerdigt. Und am Tag von Putins Rede an die Nation musste auch noch der ukrainische Armeechef öffentlich einräumen, wie schwierig die Lage an der Front gerade ist. Putin hat also alles in der Hand - auch den Westen, rhetorisch jedenfalls. Er kann die Schmerzgrenzen der Europäer wie in einem offenen Buch lesen und entsprechend seine Warnungen dosieren", unterstreicht die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt (Oder) schreibt: "Hier zeigte sich ein Herrscher auf dem Höhepunkt seiner Macht. Einer, dem nach dem Tod seines wichtigsten innenpolitischen Rivalen Nawalny niemand mehr gefährlich werden kann. Ein Ende des Krieges in der Ukraine dürfte noch lange nicht in Sicht sein."
"Putins Maximaldrohungen entspringen einem hohen Maß an Hilflosigkeit", betont hingegen die AUGSBURGER ALLGEMEINE. "Zwar hat er es geschafft, die Ukraine in echte Bedrängnis zu bringen, doch von seinem Ziel eines schnellen Sieges ist er weit entfernt. Natürlich wollen die Regierungen in Berlin, Paris und London nicht mutwillig einen Kriegseintritt riskieren aus politischer Kraftmeierei. Und doch wäre es ein Fehler, Putin allein die Deutungshoheit in diesen angespannten Zeiten zu überlassen", mahnt die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER geht auf einen anderen Aspekt von Putins Rede ein: "Für einen Blick hinter seine Drohgebärden war seine Ansprache auch aufschlussreich. Putin hat offensichtlich panische Angst vor Unruhe in seinem Land und einem Machtverlust. Nachdem er in seiner Rede Einschüchterungsversuche und Ankündigungen zu neuen, tollen, tödlichen Waffensystemen abgespult und die Unterstützung seiner Bevölkerung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine proklamiert hat, ging er zu Verheißungen für Russinnen und Russen über. Die Löhne werden steigen, arme Familien sollen mehr Geld bekommen, die Gesundheitsversorgung soll verbessert, Sportanlagen sollen gebaut, die Industrie soll modernisiert werden. Die Botschaft: Alles wird besser. Die Frauen mögen nur bitte mehr Kinder gebären. Davon habe Russland zu wenig. Ohne Söhne und Töchter lassen sich Kriege wohl schwer führen", bemerkt der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Blicken wir in den Gazastreifen. Am Rande einer Hilfslieferung in Gaza-Stadt sind zahlreiche Menschen ums Leben gekommen. Laut Medienberichten sollen Soldaten auf Palästinenser geschossen haben, weil sie sich bedroht fühlten. Die israelische Regierung führt hingegen eine Massenpanik als Grund für die Todesopfer an. Das Blatt ND. DER TAG spricht von "purer Grausamkeit": "Dass es bei der Verteilung von Mehl, Reis oder Wasser zu Rangeleien und einem Ansturm auf die knappen Güter kommt, ist verständlich. Dass auf die Hungernden geschossen wird, ihre leblosen Körper von Panzern zermalmt werden, wie Zeugen behaupten, ist nicht hinnehmbar. Diese Situation ist ein Ergebnis der Kriegshandlungen und des Aushungerns der Bevölkerung im Gazastreifen – unerheblich, ob es sich dabei um eine bewusste Taktik der israelischen Armeeführung handelt. Der grausame Krieg im Gazastreifen fordert Tausende Opfer wegen einer rücksichtslosen Kriegsführung, die zulässt, dass die humanitäre Lage zur Katastrophe wird", konstatiert ND. DER TAG.
Die TAZ befasst sich mit den Plänen der israelischen Regierung für eine Nachkriegsordnung in Gaza: "Das rechte und rechtsextreme Lager unter Premierminister Netanjahu hat sich entschieden, in dieser Frage auf Konfrontation mit dem Westen zu setzen. Netanjahu wird nicht müde, die Formel vom 'totalen Sieg' über die Hamas auszugeben, während die Militärführung längst klargemacht hat, dass es diesen nicht geben wird. Netanjahus 'totaler Sieg' mündet in der endgültigen Liquidierung einer Zweistaatenlösung zugunsten seines eigenen politischen Überlebens. In den Tunneln der Hamas dürfte man sich die Hände reiben. Das Einzige, was die fundamentalistische Terrororganisation langfristig gefährdet – die Bildung einer internationalen Koalition, die ihr die Finanzmittel abstellt und dabei eine politische Perspektive jenseits von Gewalt eröffnet –, wird gerade hintertrieben", stellt die TAZ heraus.
Themenwechsel. Ein Landkreis in Thüringen will Asylbewerber zu gemeinnützer Arbeit verpflichten. Ein Modell, das nach der CDU nun auch die FDP begrüßt. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meint: "Die Arbeitspflicht ist nicht der große Wurf, der die grundsätzlichen Probleme lösen wird, aber sie könnte eines von vielen Stellschräubchen sein. Denn in dem bunten Gemisch aus Emotionen, das die Haltung der Menschen zur Migration prägt, nehmen Gerechtigkeitsempfinden und wirtschaftliche Ängste eine zentrale Rolle ein. Die Vorstellung, dass Asylbewerber untätig in ihren Unterkünften sitzen und - freiwillig oder nicht - von Steuergeld leben, stößt vielen Menschen übel auf, gerade im Osten, wo der eigene Wohlstand nach den Brüchen der Wende noch härter erarbeitet wurde. Auch die großzügige Unterstützung für die ukrainischen Kriegsflüchtlinge birgt emotionalen Sprengstoff", erläutert die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
Das STRAUBINGER TAGBLATT wirft ein: "Wichtig ist, dass Asylbewerber nicht nur den Dreck von einer Ecke in die andere fegen, sondern dass sie eine sinnvolle Arbeit bekommen. Dass Asylbewerbern signalisiert wird, dass man sich in die Gesellschaft, auf deren Kosten man lebt, auch einbringen muss. Darum sind auch die Sanktionen im Falle der Verweigerung sinnvoll und richtig. Wer arbeitet, findet Selbstbestätigung und die Anerkennung der Bevölkerung und bestenfalls eine reguläre Arbeit oder eine Ausbildungsstelle", analysiert das STRAUBINGER TAGBLATT.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU nennt die Debatte "perfide" und führt aus: "Es wird so getan, als müssten Geflüchtete per Arbeitspflicht verdonnert werden, etwas zu leisten. Damit wird das Narrativ der 'faulen' Migrantinnen und Migranten genährt, das so gut in rassistische Weltbilder passt. Die Wahrheit ist eine andere: Asylsuchende dürfen in den ersten sechs Monaten, wenn sie in einer Sammelunterkunft leben, nicht arbeiten. Für etliche gilt das noch länger. Richtig wäre es, diese Gesetze zu ändern, statt Menschen zu miserabel bezahlter 'gemeinnütziger Arbeit' zu zwingen", findet die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Ähnlicher Meinung ist die LAUSITZER RUNDSCHAU: "Es ist noch nicht so lange her, dass man Asylbewerber und Migranten mit vielen Mitteln vom deutschen Arbeitsmarkt fernhielt. Bei der Jobvergabe mussten sie sich hinter den Deutschen anstellen, selbst wenn sie schon lange hier waren. Dass sie nun für 80 Cent in der Stunde der Kommune zu Willen sein sollen, ist letztlich Ausbeutung. Im schlimmsten Fall würde die Beschäftigung zum Akt der Demütigung."