"Bemerkenswertes geschah am Freitag in Berlin", schreibt der Berliner TAGESSPIEGEL. "Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck musste sich vor dem Klima- und Energieausschuss des Bundestags rechtfertigen, statt bei einer Pressekonferenz die grünen Erfolge der Energiewende zu loben. Der Vorwurf: Ideologen in seinem Ministerium hätten die Bedenken der Fachleute gegen einen zügigen Atomausstieg 2022 zurückgehalten. Dieses Ur-Anliegen der Grünen sollte nicht durch den Ukrainekrieg gefährdet werden. Habeck wird über die Affäre nicht stürzen. Sie macht jedoch die Nöte der Grünen sechs Wochen vor der Europawahl sichtbar. Die Grünen können mit Erfolgen nicht punkten", bemerkt der TAGESSPIEGEL.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg erläutert: "War die Entscheidung, die letzten drei Atommeiler Deutschlands trotz der Energiekrise stillzulegen, grün-ideologisch getrieben statt sachlich begründet? Diesen Verdacht konnten die zuständigen grünen Minister Habeck und Lemke trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht ausräumen. Doch zur Wahrheit gehört auch: Den aus heutiger Sicht schwersten Fehler haben nicht die Grünen begangen – sondern 2011 die damalige CDU-Kanzlerin Merkel und ihr Umweltminister Röttgen, als sie nach der Tsunami- und Reaktorkatastrophe in Japan aktionistisch den deutschen Atomausstieg verkündeten. Als die Grünen in die Regierung kamen, war es für ein grundsätzliches Umsteuern längst zu spät", betont die VOLKSSTIMME.
"Mittlerweile bereut die Post-Merkel-Union die Entscheidung", ergänzt die AUGSBURGER ALLGEMEINE. "Doch für eine strahlende Renaissance spricht nichts. Der Bau neuer AKW ist extrem teuer und mit hohen Planungsrisiken behaftet. Im Vergleich zu Wind- und Solarenergie sind sie preislich nicht wettbewerbsfähig. Hier hat Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen recht. Selbst die früheren Atomkonzerne RWE, EON und ENBW wollen nicht zurück ins Atomzeitalter. Die Chance für Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit hätte im Weiterbetrieb gelegen. Deutschland hat diesen Trumpf unnötig aus der Hand gegeben", findet die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
Kritik am Wirtschaftsminister kommt von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG: "Gerade weil Habeck sich nicht als ideologischer Atomkraftgegner hervorgetan hat wie etwa sein Parteifreund Jürgen Trittin, hätte er ohne Hinweise von unten die Kraft haben müssen, in der auch energiepolitischen Ausnahmesituation nach dem 24. Februar 2022 eine offene Debatte über die Atomkraft zu führen. Zwar waren Politik und Energieunternehmen den Weg Richtung Ausstieg schon weit gegangen. Aber mit belastbaren Zusagen hätte sich schon eine Möglichkeit gefunden, die Laufzeit der verbliebenen Kraftwerke zu verlängern. Im Namen der Versorgungssicherheit und der Reduzierung von Kohleverstromung (sprich: des Klimaschutzes) noch einmal über den Ausstieg nachzudenken wäre für einen Bundesminister angemessen gewesen. Vor allem, falls dieser sich für kanzlertauglich halten sollte." Das war die F.A.Z.
Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz führt aus: "Die Berichte über positive und mutmaßlich unterdrückte Expertisen von Fachleuten der grünen Ministerien zu einer Verlängerung der Meilerlaufzeiten nähren das, was den Grünen immer wieder vorgeworfen wird - in Energiefragen nicht rational, sondern ideologisch zu entscheiden. Die Entgegnungen des Wirtschaftsministeriums und dessen Chefs Robert Habeck wirken halbgar und schwach und können den Verdacht, dass hier manipuliert wurde, nicht entkräften. Zusätzlich zu den vielen Ampelstreitereien steckt Habeck erneut in einem handfesten Skandal", erklärt die ALLGEMEINE ZEITUNG.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG kommt zu einem anderen Schluss: "Grundsätzlich sahen Habecks Leute kein Problem darin, die Reaktoren drei Monate länger laufen zu lassen. Wenige Tage später entscheiden er und Lemke sich dennoch anders. Abgesehen davon, dass es um drei Monate geht – einen Skandal kann hier nur wittern, wer den Kontext ausblendet. Denn die größten Skeptiker saßen nicht in grünen Ministerien, sondern in den Konzernen: Die Betreiber hatten gar kein Interesse, ihre Abschaltpläne umzuwerfen. Das kam erst später. Doch die Manöver dieser Tage sind durchschaubar. Union und FDP, die so lang für die Kernkraft gekämpft haben, dann aber den Ausstieg beschlossen, plagt der Phantomschmerz. Sie wollen in künftigen Wahlkämpfen wieder über Atome streiten", glaubt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU befasst sich mit der vom Bundestag beschlossenen Reform des Klimaschutzgesetzes: "Alles Schönreden, wie es auch von Klimafachleuten in der Ampel geübt wird, hilft nichts. Das neue Gesetz ist ein Rückschritt gegenüber dem bisher noch geltenden. Die Novelle wurde aufgesetzt, um vor allem das Verkehrsressort aus der Verantwortung zu entlassen, das vom FDP-Minister Volker Wissing gesteuert wird. Die Änderung des Klimaschutzgesetzes bedeutet auch, dass die Ampel-Regierung bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr keine weiteren Maßnahmen vorlegen muss, selbst wenn die Klimaziele erneut verfehlt werden sollten. Der Klimaschutz wird damit vertagt. Das kennt man von früheren Bundesregierungen, doch von einer 'Fortschrittskoalition' unter einem 'Klimakanzler' Olaf Scholz hätte man es nicht erwartet", bemängelt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
"Sektorenziele mögen in den Ohren manches Liberalen nach Planwirtschaft klingen, sie stehen aber für Verbindlichkeit", unterstreicht der SÜDKURIER aus Konstanz. "Und die wird mit dem neuen Klimaschutzgesetz weitgehend aufgelöst. CO2-Einsparungen sind eine mühsame Aufgabe, vor allem, weil fast hinter jeder neuen Regelung Widerstände lauern. Wenn nicht gerade Subventionen verteilt werden, geht es ums Einsparen, ums Verteuern, ums Verbieten – alles nicht geeignet, um Pluspunkte bei den Wählern zu sammeln. Um die Ministerien auf diese harte Klima-Disziplin zu verpflichten, waren die Sektorenziele vorgesehen: Kein Bereich sollte sich aus der Verantwortung stehlen können. Genau das ist nun die Gefahr. Wenn die Ziele gerissen werden, sind künftig alle schuld – also keiner", hebt der SÜDKURIER hervor.
Thema in der PASSAUER NEUEN PRESSE ist das von Deutschland und Frankreich geplante Kampfpanzer-System: "Falls der 'Kampfpanzer der Zukunft' je das Licht der Welt erblickt, dann darf sich Verteidigungsminister Pistorius wahrlich auf die Schulter klopfen – für einen Meilenstein in der europäischen Rüstungspolitik. Vorher aber noch nicht. Denn was er da in Paris zusammen mit seinem französischen Kollegen unterzeichnet hat, ist nur der Startschuss für ein Projekt mit äußerst vielen Tücken. Die Gefahr ist groß, dass mit einem Wechsel der Protagonisten auch das Projekt wieder stocken könnte. Denn hinter MGCS - so die Abkürzung für das System - stehen knallharte Industrie-Interessen deutscher und französischer Unternehmen, die ihr Ego gerne über den Gemeinschaftsgedanken stellen. Trotz schöner Show in Paris überwiegen deshalb die Zweifel am neuen Panzer", heißt es in der PASSAUER NEUEN PRESSE.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG zitiert den Bundesverteidigungsminister: "'Zwischen dem, was ist, und dem, was kommt, werden Welten liegen', verspricht Minister Pistorius. Das sollte allerdings nicht nur für den neuen Kampfpanzer gelten, sondern auch für Europas gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es wird Zeit, die Fragmentierung der Verteidigungsindustrie in der EU zu überwinden. Das deutsch-französische Kampfpanzer-System wird dafür – wie das bereits auf den Weg gebrachte Luftkampfsystem FCAS – hoffentlich beispielhaft stehen. Wer, wenn nicht das deutsch-französische Tandem, soll vorangehen, um zu zeigen, dass Europa willens und in der Lage ist, sich mit der Entwicklung eigener Fähigkeiten sicherheitspolitisch von den USA zu emanzipieren?"