11. Mai 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert werden der Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten Söder bei Italiens Regierungschefin Meloni sowie die Proteste gegen die Teilnahme Israels am Eurovision Song Contest. Zunächst geht es aber um die USA-Reise von Bundesverteidigungsminister Pistorius und dessen Vorstoß, die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen.

Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, geht an Bord einer Machine der Flugbereitschaft bei seiner militärpolitischen Reise.
Thema in den Kommentarspalten: Bundesverteidigungsminister Pistorius will sicherheitsrelevante Ausgaben von der Schuldenbremse ausnehmen. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU befindet: "In der Ampel-Koalition fliegen mal wieder die Fetzen. Das ist nichts Neues. Der Streit hat aber eine neue Dimension erreicht: Inzwischen wird er sogar quer über den Atlantik ausgetragen. Von den USA aus erklärt Verteidigungsminister Boris Pistorius, er wolle den Wehretat von den Regeln der Schuldenbremse befreien. Finanzminister Christian Lindner springt prompt über das aus weiter Ferne hingehaltene Stöckchen und wehrt sich gegen 'Sicherheit durch Schulden'. Und zack ist die Debatte schon wieder auf der Ebene des Grundgesetzes. Rund um ihren 75. Jahrestag wird die Verfassung von der Ampelregierung nach allen Regeln der Kunst ausgetestet. In Wahrheit zeigt es eine große politische Ratlosigkeit, wenn sich Regierungsmitglieder ständig gegenseitig die Verfassung um die Ohren hauen," heißt es in der FRANKFURTER RUNDSCHAU.
"Boris Pistorius hat in Washington in fließendem Englisch einiges versprochen, was man dort gern hörte", beobachtet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG: "Vor allem verhieß er eine weitere Steigerung des deutschen NATO-Beitrags über die berühmt-berüchtigten zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinaus. Aber wie soll das gehen mit der Schuldenbremse? Es ist traurig, aber zu befürchten: gar nicht. Völlig zu Recht verlangt Pistorius, die Ausgaben für Verteidigung und Zivilschutz davon auszunehmen. Ohne Sicherheit ist ein ausgeglichener Staatshaushalt wenig wert. Die Schuldenbremse mag nicht das Teufelswerk sein, für das man sie in Kreisen der SPD hält. In normalen Zeiten ist sie finanzpolitisch durchaus sinnvoll, um die natürliche Ausgabenfreude der Bundesministerien zu zügeln. Doch die Zeiten sind leider nicht normal", ist die Meinung der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Die TAZ bemerkt in Hinblick auf die FDP: "Es werden Fahnen mit Parolen hochgehalten, als befände man sich auf einem Kreuzzug, nicht in einer parlamentarischen Demokratie unter beispiellosemgeopolitischem Druck. Natürlich wäre es richtig und begründbar, die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen. Und vermutlich müssten SPD und Grüne dafür auch nach eigenen, allzu lauten Verkündungen einlenken – Beispiel: 'Keinerlei Einschnitte beim Sozialstaat.' Das kann man dann schlecht und unnütz finden. Aber alles wäre besser, als ohne einen verabschiedeten Haushalt 2025 dem Finanzminister – was rechtlich dann die Folge wäre – die komplette Verfügungsgewalt darüber zu geben, was diese Regierung überhaupt noch ausgeben darf und was nicht." Soweit die TAZ.
"Soll Pistorius mehr Geld für die Verteidigung bekommen, müssen andere zurückstecken", schlussfolgert das HANDELSBLATT: "Aus Sicht der Liberalen ließe sich bei den Sozialausgaben genauso Geld einsparen wie bei diversen Projekten im Ausland. SPD und Grüne geißeln das als ein gefährliches Gegeneinander von Sicherheits- und Sozialpolitik. Der Blick auf die Haushaltsnotwendigkeiten ist so grundverschieden, dass die Koalitionspartner – wenn – nur unter Schmerzen zusammenfinden werden. Und es steht zu befürchten, dass diese Schmerzen auf alle anderen Projekte ausstrahlen. Das ausgebremste Rentenpaket gibt bereits einen Vorgeschmack. Auch die von den Liberalen geforderte Wirtschaftswende wird unter diesen Vorzeichen alles andere als einfach. Die Gemeinsamkeiten sind weitgehend aufgebraucht, die Ampelpartner können noch nicht ohneeinander, sie wollen aber auch nicht mehr miteinander", urteilt das HANDELSBLATT.
Themenwechsel. Bayerns Ministerpräsident Söder hat sich in Rom mit der italienischen Regierungschefin Meloni getroffen und anschließend eine große Übereinstimmung in energie-, verkehrs- und asylpolitischen Fragen betont. Die FRANKENPOST aus Hof kommentiert: "Darf Markus Söder das? Darf er sich mit Giorgia Meloni treffen, die den post-faschistischen 'Fratelli d’Italia' angehört, einer Partei, die den 'Duce' und Hitler-Freund Mussolini verehrt? Ja, Markus Söder darf das. Und zwar so lange, wie er die scharfe Trennlinie zwischen Reden und Verbrüdern einhält. Trotzdem: Meloni ist keine Politikerin, mit der sich deutsche Konservative schmücken sollten."
Die Zeitung ND.DER TAG analysiert: "Speziell mit der Italien-Visite verfolgt Söder neben der persönlichen Profilierung als Chefdiplomat in spe Ziele, bei denen er sich sowohl mit der großen Schwesterpartei als auch mit der EVP einig weiß: Rechtsparteien wie die Brüder Italiens oder Rassemblement National in Frankreich sollen als Kooperationspartner auf EU-Ebene normalisiert werden. Diese Marschrichtung hat nicht zuletzt EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen durch gemeinsame Missionen mit Meloni vorgegeben, etwa in Sachen Migrationsabkommen mit Tunesien", führt ND.DER TAG aus.
"Zwei Frauen dürften in den kommenden Jahren die politische Landschaft Europas maßgeblich prägen: Giorgia Meloni und Marine Le Pen", prognostiziert die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: "Beide Parteienfamilien werden ausweislich aller Umfragen zu den großen Gewinnern der Europawahl gehören. Es wird mithin in Europa rechts von den Christdemokraten einen Machtblock geben, den die Europäische Volkspartei nicht länger ignorieren und auch nicht dauerhaft isolieren kann. Das weiß auch Markus Söder. Wenn die Mitte nach rechts rückt, rückt die Rechte in die Mitte. Viel spricht dafür, dass große Teile der Wähler in der Europäischen Union nach Jahren von Mitte-links-Mehrheiten genau dies wollen und deshalb im Juni den rechten Block verstärken", glaubt die FAZ.
Im schwedischen Malmö findet am Abend das Finale des Eurovision Song Contest statt. Zu den Protesten gegen die Teilnahme Israels kommentiert der TAGESSPIEGEL: "Unpolitisch war dieser Wettbewerb nie. Aber was wir in diesem Jahr rund um den ESC erleben, hat eine neue Dimension: Die israelische Sängerin Eden Golan verlässt aufgrund von Morddrohungen nur für die Auftritte das Hotel, Polizei patrouilliert mit Maschinengewehren durch die Stadt. Zwei Tage vor dem Finale protestieren 8.000 Menschen bei einer pro-palästinensischen Demonstration und Juden in Malmö fühlen sich nicht mehr sicher. Wir erleben einen Wettbewerb, bei dem Tausende Künstler aus ganz Europa den Ausschluss Israels fordern. Das gab es nicht mal im Fall Russlands. Je stärker der Wettbewerb von außen und von teilnehmenden Künstlerinnen und Künstlern als politische Plattform genutzt wird, desto schneller ist er am Ende. In letzter Konsequenz wird womöglich schon dasbloße Zuschauen als politisches Statement gewertet", befürchtet der TAGESSPIEGEL aus Berlin.
"Es ist eine Schande", vermerkt die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG: "Dass eine israelische Sängerin die ESC-Tage schwer bewacht an einem geheimen Ort verbringen muss, weil ihr Leben in Gefahr ist. Es ist eine Schande, dass ideologisch verschmorte Demonstranten sich zwischen Hamas-Verteidiger reihen und dort Zeugnis ihres Mangels an historischem Wissen abgeben."
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG nimmt den Veranstalter des ESC, die Europäische Rundfunkunion, in die Pflicht: "Es ist fast niedlich, wie am Motto 'Vereint durch Musik' festgehalten wird und man sich albern und unpolitisch gibt. Doch das ist nichts anderes als Realitätsverweigerung. Die 20-jährige israelische Kandidatin Eden Golan wurde zur Projektionsfläche für Israels Unterstützer und israelfeindliche Demonstranten. Jetzt muss sie in Malmö den Spagat zwischen Popstar und Diplomatin meistern. Auf den Mut der jungen Frau kann es nur eine richtige Reaktion der ESC-Verantwortlichen geben: Sich öffentlich vor Golan stellen, statt sie dem diffusen Mob aus Israel-Hassern schutzlos auszuliefern."