22. Mai 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert werden die gestiegene Zahl politisch motivierter Straftaten, der Frankfurter "Reichsbürger-Prozess" und die Reaktionen auf den Tod des iranischen Präsident Raisi.

Ein Fahrzeug der Polizei steht auf einer Straße.
Religiös und politisch motivierte Straftaten haben stark zugenommen. (picture alliance I dpa | Friso Gentsch)
Zunächst ein Blick in die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG, die sich mit der Statistik zu Politischen Kriminalität befasst: "Angesichts der jüngsten Überfälle auf Politiker im Wahlkampf kann die Entwicklung niemanden überraschen: 2023 hat das Bundeskriminalamt mehr als 60.000 politisch motivierte Straftaten erfasst. Damit befindet sich die politisch getriebene Kriminalität auf dem höchsten Stand seit Einführung der Statistik. Das ist nicht nur ernüchternd. Die wachsende Radikalisierung – egal, ob von links oder rechts – muss unsere Gesellschaft erschüttern. Die politisch motivierte Kriminalität ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Konflikte in unserem Land. Hinter dem Phänomen verbergen sich so unterschiedliche Gruppierungen wie Reichsbürger, Antisemiten, Antifa-und Klima-Aktivisten ebenso wie Islamisten", zählt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG auf.
Die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg meint: "Die nackten Zahlen des Bundeskriminalamtes zu den politisch motivierten Straftaten in Deutschland machen klar: Der Hass nimmt in unserer Gesellschaft dramatisch zu, die Bereitschaft, Toleranz zu leben und Verschiedenheit und Fremdheit auszuhalten, nimmt spiegelbildlich ab. Natürlich hat das auch Ursachen, die nicht aus unserer Gesellschaft selbst stammen. Der Hamas-Terror im Nahen Osten, der Überfall auf die Ukraine und die Folgen dieser Verbrechen erhöhen auch hierzulande die Spannungen und führen zu Polarisierungen. Der Staat muss hier klar machen, dass das Versammlungsrecht an feste Regeln gebunden ist, dass der Schutz der Masse nicht zum Verbreiten von Hassparolen und demokratiefeindlichen Weltsichten missbraucht werden darf", unterstreicht die BADISCHE ZEITUNG.
"Es ist schnell die Rede von einer ernsten Lage – die haben wir jetzt", hebt die TAZ hervor. "Natürlich fordert das zuerst die Zivilgesellschaft: Sie muss, wo sie kann, dem Hass Einhalt gebieten. Nun ist aber auch der Staat gefordert. Und es ist nicht falsch, wenn er Härte gegen die Gewalt zeigen will – nur sollte er es an der richtigen Stelle tun. Statt die Versammlungsfreiheit zu stutzen, gibt es anderswo genug zu tun: Immer noch gibt es zu viele Rechtsextreme mit Waffen oder offenen Haftbefehlen. Das Demokratiefördergesetz, seit zehn Jahren versprochen, ist bis heute nicht in Kraft. Immer noch dauert es oft zu lange, bis nach politischer Gewalt Tatmotive anerkannt und Urteile gesprochen werden", analysiert die TAZ.
Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle fragt: "Wohin steuert die Republik, wenn sich immer mehr Teile der Bevölkerung rechts, links, religiös oder einfach in Opposition zum demokratischen System radikalisieren? Man kann dem Staat nicht vorwerfen, auf dem einen oder anderen Auge blind zu sein. Man hat aber den Eindruck, dass Politik und Behörden der Dynamik hinterherregulieren."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG beobachtet eine Verrohung der politischen Kommunikation: "Körperliche Angriffe auf Politiker sind etwas anderes als Beschimpfungen. Ein politischer Gegner ist niemals ein Feind, gegen den Selbstjustiz verübt werden darf. Das Gewaltmonopol hat der demokratische Rechtsstaat. Das muss offenbar nicht nur einigen Migranten erst beigebracht werden. Die Prozesse gegen "Reichsbürger", die offenbar ihr bürgerliches Leben hinter sich lassen wollten und im Begriff waren, zum Sturm auf den Reichstag zu blasen, sprechen ebenfalls Bände", heißt es in der F.A.Z.
Auch die BADISCHEN NEUSTEN NACHRICHTEN blicken auf den Frankfurter Prozess gegen Mitglieder der "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich Prinz Reuß: "Größte Razzia, umfangreichster Prozess, dickste Anklageschrift. Die juristische Aufarbeitung des Reuß-Komplexes strotzt vor Superlativen. Tatsächlich ist es ziemlich daneben, wenn die jetzigen Verfahren gegen insgesamt 26 Beschuldigte in Stuttgart, Frankfurt und bald auch München gelegentlich gar mit den RAF-Prozessen gleichgesetzt werden. Die Linksextremisten damals begingen 34 Morde und erschütterten das Land bis ins gesellschaftliche Mark. Die nun angeklagte Prinzentruppe verursacht in breiteren Gesellschaftsschichten eher keine tiefere Erschütterung, sondern ungläubiges, teilweise belustigtes Augenreiben und wohl manchmal auch das Gefühl der Fremdscham. Dass aber auch sie vermutlich bereit waren, über Leichen zu gehen, ist nicht nur eine These der Bundesanwaltschaft", betonen die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe.
DIE WELT stellt fest: "Es ist eine bizarr anmutende Gruppe, die in Frankfurt am Main vor Gericht steht: ein 72-jähriger Prinz, mehrere ehemalige Bundeswehrsoldaten, eine Politikerin, zahlreiche gescheiterte Existenzen. Sie wollten laut Anklage den Reichstag stürmen, die Bundesregierung verhaften. Man müsste lachen, wäre die Sache nicht doch ernst: Nicht nur, weil ein bewaffneter Angriff der Gruppe mit Blick auf ihr gewaltiges Waffenarsenal möglich schien. Sondern auch, weil Gedanken der Reichsbürgerszene mittlerweile deutlich weiter verbreitet sind, als es die kleine Terrorzelle um Heinrich XIII. Prinz Reuß vermuten lassen würde. Es gärt am politischen Rand", heißt es in der WELT.
Das STRAUBINGER TAGBLATT bemerkt mit Blick auf die Gruppe um Reuß: "Mag sein, dass ihre Ideologie, die teilweise an den bizarren amerikanischen QAnon-Kult angelehnt war, wirr ist. Das jedoch macht sie nicht ungefährlich. Es ist möglich, dass die Gerichte zu unterschiedlichen Urteilen kommen. Das wäre ein gefundenes Fressen für alle, die meinen, dass die Justiz mit Kanonen auf Spatzen schieße."
Themenwechsel: Die SÜDWEST-PRESSE aus Ulm setzt sich mit den Reaktionen auf den Tod des iranischen Präsidenten Raisi auseinander: "Über Tote soll man nicht schlecht reden, heißt es gewöhnlich, und in den meisten Fällen wird diese Regel eingehalten, auch wenn es um verstorbene Staatsoberhäupter und Regierungschefs geht. In diesem Sinne haben Bundeskanzler Olaf Scholz und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nur das Naheliegende getan, als sie in Stellungnahmen Beileid für den Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi ausdrückten. Die Frage ist, ob es auch das Richtige war. Aus gutem Grund trug Raisi den Titel 'Schlächter von Teheran'", hält die SÜDWEST-PRESSE fest.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG verweist auf das diplomatische Protokoll für den Umgang unter Staaten: "Stirbt der Präsident eines Landes bei einem Hubschrauberabsturz, verlangt das Protokoll, dass die höchsten Repräsentanten anderer Länder kondolieren. Dies nicht zu tun, kommt einem Affront nahe. Das – und nur das – ist der Grund, warum etliche westliche Regierungen, ebenso EU-Ratspräsident Charles Michel nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi ihr Beileid kundgetan haben.Diplomatisch sind die Kondolenzadressen daher vollkommen in Ordnung. Ob sie politisch klug und angemessen waren, ist hingegen eine andere Frage", findet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Der Berliner TAGESSPIEGEL ärgert sich über den Umgang der Bundesregierung mit den Haftbefehls-Anträgen des Internationalen Strafgerichtshofs zum Gaza-Krieg: "Ob Präsident, Kanzler oder Außenminister – alle Welt äußert sich hochoffiziell und empört über den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, weil der Haftbefehle beantragt gegen israelische Politiker wie gegen Hamas-Terroristen. Als gäbe es keinen Unterschied. Und in Deutschland? Äußert sich kein Präsident, kein Kanzler, keine Außenministerin, quälende Stunden lang. Ein Fehler, keine Frage. Denn da gibt es das Wort von der 'Staatsräson', das Versprechen, dass Deutschland stets fest an der Seite Israels steht. Wenn das jetzt einer dieser Momente der Wahrheit war – und in der Welt, besonders in Israel, sehen sie es so –, dann sieht die amtierende Bundesregierung nicht gut aus", befindet der TAGESSPIEGEL.