31. Mai 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Überlegungen zum Einsatz von NATO-Waffen im Ukrainekrieg auch auf militärische Ziele in Russland sind weiterhin Thema, ebenso die Entschuldigung der FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl nach einem Autismus-Vergleich. Beachtung in den Kommentarspalten findet zudem eine vom Bundesfamilienministerium veröffentlichte Studie zur Einsamkeit in Deutschland.

Eine Person steht in Unschärfe hinter einem regennassen Fenster.
Bundesfamilienminsterin Paus hat eine Studie zu Einsamkeit in Deutschland vor gelegt. (imago / Addictive Stock / Alberto Menendez )
Dazu schreibt die NEUE OSABRÜCKER ZEITUNG: "Immer mehr Menschen fühlen sich einsam. Das kommt dabei raus, wenn sich eine Gesellschaft der Individualisierung bis hin zur Egomanie verschreibt. Aber ganz ehrlich – Einsamkeit bekämpfen, worum soll sich der Staat noch alles kümmern? Muss er immer dort einspringen, wo die Gesellschaft versagt? Entbindet man damit nicht jeden Einzelnen der Verantwortung für sein persönliches Wohlergehen und befördert so eine Vollkasko-Mentalität? Laufen die Ansprüche, die wir Bürger an die Volksvertreter stellen, nicht langsam aber sicher aus dem Ruder? Unsere Politiker sind gut darin, Symptome zu bekämpfen. An den Ursachen so mancher Misere ändern sie nichts. Also, lasst Bundesfamilienministerin Lisa Paus mehr gegen Einsamkeit tun – versteht es dann aber bitte auch als eine Aufforderung an einen jeden einzelnen von uns. Der Kampf gegen Einsamkeit beginnt im Alltag – mit der Verbesserung des sozialen Klimas", betont die NEUE OSABRÜCKER ZEITUNG.
Die TAZ führt aus: "Familienministerin Paus möchte Einsamkeit enttabuisieren und veranstaltet dafür Kaffee-Talks, Aktionswochen und ein 'Singen gegen die Einsamkeit'. Das alles fühltsich nach einer reinen Symbolpolitik an. Der Frau, die ihre kranke Mutter zu Hause pflegt, wird sich nicht bei einem Kaffee mit der Familienministerin über ihre Sorgen unterhalten. Was ihr fehlt, ist ein ambulanter Pflegedienst, den sie bezahlen kann. Der 18-Jährige, der zwar Freund:innen hat, sich aber trotzdem ständig einsam fühlt, dem bringt ein 'Singen gegen Einsamkeit' nichts. Stattdessen braucht er einen Therapieplatz, ohne monatelanges Warten. Die Reduzierung von Wartezeiten ist in der Einsamkeitsstrategie des Familienministeriums zwar vorgesehen, aber ohne konkrete Umsetzungsvorschläge oder Zeitpläne. Das wird einem derartdringenden Thema wie diesem nicht gerecht", moniert die TAZ.
Die STUTTGARTER ZEITUNG wirft ein: "Natürlich kann sich die politische Arbeit nicht um die persönlichen Isolationserlebnisse kümmern. Aber die Politik setzt die Rahmenbedingungen für unseren Alltag. Ob der Städtebau Kommunikationsräume schafft, ist eine politische Entscheidung. Ob das Jugendzentrum dichtmachen muss, wird im Stadtrat beschlossen. Ob Renten so auskömmlich sind, dass soziale Teilhabe möglich ist – auch das ist eminent politisch. Umgekehrt wirkt Einsamkeit als soziales Massenphänomen auf die Politik zurück. Einsame Menschen wenden sich ab, misstrauen den Institutionen oder radikalisieren sich schlimmstenfalls", warnt die STUTTGARTER ZEITUNG.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU nennt einen Befund alarmierend: "Während sich bei den alten Menschen allmählich wieder Vor-Corona-Werte zeigen, bleibt die Einsamkeitsrate bei den 18- bis 29-Jährigen auch jetzt noch signifikant höher. Wichtig ist, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht wieder vergessen werden, wie das in der Pandemie häufig der Fall war. Die Studie könnte ein Anlass sein, auf breiter Basis etwas gegen das Problem Einsamkeit zu unternehmen", hofft die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Der Berliner TAGESSPIEGEL sieht nicht nur den Bund in der Pflicht: "Was hilft es, wenn eine Bundesfamilienministerin das Thema ernst nimmt, der Bürgermeister einer ländlichen Gemeinde aber nicht? Warum kein Einsamkeitsgipfel mit Vertretern der Kommunen? Jede Gemeinde und insbesondere jede Stadt, in der Anonymität Einsamkeit fördert, kann Angebote schaffen."
Die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Strack-Zimmermann, hat Menschen mit Autismus um Entschuldigung gebeten für einen Vergleich mit Bundeskanzler Scholz. Die DITHMARSCHER LANDESZEITUNG aus Heide meint: "Dem eigenen Regierungschef autistische Züge vorzuwerfen, ist unerträglich. Da Strack-Zimmermann sich beim Kanzler nach ihrer sprachlichen Entgleisung noch nicht einmal entschuldigt hat, ist sie nicht mehr haltbar. Sie sollte ihren Hut nehmen. Strack-Zimmermann verwechselt offenbar den Geist des Liberalismus mit dem Recht, alles sagen zu dürfen, auch in einer Regierungskoalition."
Die Zeitung DIE WELT lobt, dass die FDP-Politikerin nicht Scholz, sondern Menschen mit Autismus um Entschuldigung gebeten hat: "Der Bundeskanzler weiß, dass im Wahlkampf gehobelt wird, und kann so etwas ab. Was Strack-Zimmermann zuvor gesagt hatte, entspricht leider einer üblichen diskriminierenden Praxis gegenüber Autisten: Sie setzt 'autistisch' gleich mit 'kommunikationsunfähig und irgendwie gestört'. Damit hat sie sich eingeschrieben in eine lange Tradition der Pathologisierung von Menschen, die mit Autismus leben. Autismus gilt aber als sogenannte Spektrumsstörung, die in unterschiedlichen Ausprägungen auftritt. Nicht jeder Autist kommuniziert so dürftig wie der Kanzler. Viele sind hochfunktional. Andere stark hilfebedürftig. Wer Menschen mit Autismus pauschal als gestört diffamiert, beweist fehlende Sensibilität", kritisiert DIE WELT.
Weiter geht es mit der Debatte um einen Einsatz von NATO-Waffen durch die Ukraine gegen militärische Ziele in Russland. Für die SÜDWEST PRESSE ist klar: "Völkerrechtlich ist der Befund eindeutig: Die Ukraine darf sich auch auf russischem Territorium gegen den russischen Angriff zur Wehr setzen. Und sie darf das mit Waffen tun, die ihr von anderen Ländern geliefert wurden. Also auch mit von Deutschland bezahlten und zur Verfügung gestellten Raketen zum Beispiel. Die Frage ist, ob Wladimir Putin das auch so sieht", kommentiert die SÜDWEST PRESSE aus Ulm.
Die PFORZHEIMER ZEITUNG notiert: "Wer der Ukraine weiter Gegenschläge mit westlichen Marschflugkörpern und Raketen verweigert, zwingt sie zum Kampf gegen Windmühlen: Ihr Luftabwehr-Arsenal geht zur Neige, während Putins Soldaten aus sicherer Entfernung fortwährend weitere Geschosse abfeuern. Es ist an der Zeit, im Einklang mit dem Völkerrecht die Fesseln für die Ukraine zu lockern und ihr einen klaren Rahmen vorzugeben, welche Ziele in Russland sie attackieren darf – ohne öffentlich groß darüber zu reden. Der Westen sollte Putin über Pläne, Strategie und Waffenlieferungen im Unklaren lassen", empfiehlt die PFORZHEIMER ZEITUNG .
Die Zeitung ND DER TAG warnt vor einer weiteren Eskalation: "So nähert sich die Entwicklung weiter dem großen Krieg in Europa, vor dem Michail Gorbatschow so dringlich wie ungehört gewarnt hatte. Die Falken wischen die 'roten Linien' des Kreml als Bluff beiseite, berufen sich heuchlerisch auf das Völkerrecht. Russland mit Gewalt zum Einlenken zwingen zu können, ist eine tödliche Illusion. Wie hoch gespielt wird, zeigte jüngst der Angriff gegen die Radaranlage Armawir des russischen Frühwarnsystems zur Erkennung von anfliegenden US-Atomraketen. Im Interesse der Ukraine und Europas kann es keine militärische, sondern nur eine politische Lösung des Konflikts geben", unterstreicht ND DER TAG.
Zum Schluss ein Blick nach Spanien. Das Parlament in Madrid hat das Amnestiegesetz für katalanische Separatisten endgültig beschlossen. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG gibt zu bedenken: "Eine Amnestie setzt voraus, dass die Nutznießer des Straferlasses glaubwürdig versichern, dass sie dem abgeschworen haben, was zu den Bestrafungen geführt hat. Das, was der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez allerdings mit den katalanischen Separatisten veranstaltet, hat einen ganz anderen Charakter. Die Separatisten hatten keine Sekunde vor, von ihren Abspaltungsplänen abzulassen, die sie mittels einer illegalen Volksabstimmung durchzusetzen hofften. Sánchez hat sich mit seinem Amnestievorhaben eine zweite Amtszeit erkauft. Er hat sich sehenden Auges in die Hände von Extremisten begeben, die nichts von dem bereuen, was sie Spanien angetan haben. Somit trägt der Regierungschef in Madrid nicht zur Befriedung, sondern eher zur weiteren Eskalation der Lage bei", ist sich die F.A.Z sicher.