10. Juni 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert wird der Ausgang der Europawahl. Die meisten Zeitungen legen dabei den Fokus auf die Ergebnisse für die deutschen Parteien.

10.06.2024
Die Teilnehmerin einer Demonstration hat sich Europa-Fähnchen in die Frisur gesteckt.
Europa hat gewählt. (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Wuppertal notiert: "Die Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP liegt auf der Intensivstation. Gut zehn Prozentpunkte büßte die sogenannte Ampel ein, und vor allem die Grünen bezahlen die Zeche für die mitunter erbärmlichen Auftritte des Kabinetts von Bundeskanzler Scholz. Der Regierungschef muss sich bei einem Ergebnis von nur 14 Prozent für seine SPD die Frage gefallen lassen, ob er überhaupt noch der richtige Mann im wichtigsten Amt des Staates ist. Er ist trotz des schwachen Abschneidens der Grünen der große Verlierer. Die Ergebnisse vor allem von AfD und BSW sind eine Rote Karte für die Bundesregierung. Sie muss den Worten zur Einwanderungspolitik und zum Abschieben schwer kriminell gewordener Asylanten zügig Taten folgen lassen. Sonst werden die empörungs-politischen Ränder nicht nur im Osten Deutschlands noch stärker und folgt der herben Niederlage im Herbst nächsten Jahres eine dramatische Niederlage, die Potenzial hat, diese Republik unliebsam zu verändern", befürchtet die WESTDEUTSCHE ZEITUNG.
Der MÜNCHNER MERKUR bemerkt: "Der Aufstieg von Putinversteherin Sahra Wagenknecht, der Durchmarsch der AfD im Osten trotz ihres Peinlich-Kandidaten Max Krah, der Kollaps der Ampelparteien und hier vor allem der katastrophal gescheiterte Realitätstest der in Berlin regierenden Grünen: In der Bundesregierung herrscht Endzeitstimmung. Und alle blicken auf die FDP und auf die Frage, welche Schlüsse sie aus ihrem Europawahlergebnis zieht."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hält fest: "Eine Europawahl ist keine Bundestagswahl. Politiker wie Wähler messen ihr geringere Bedeutung zu, als die EU real hat. Aber eine Europawahl ist eine bundesweite Abstimmung und sagt deshalb mehr als Landtagswahlen, die sonst als Gradmesser für die aktuelle Stimmung herangezogen werden. Im deutschen Ergebnis sticht vor allem ein Befund hervor: Die Union hat sich von allen anderen politischen Kräften weit abgesetzt. Das ist vor allem ein Erfolg für Friedrich Merz, den ihm gerade die alten Merkel-Anhänger in seiner Partei lange nicht zugetraut haben. Die Herausforderung für die CDU wurde immer wieder so dargestellt, dass sie die Mitte nicht verlieren dürfe. Was heute Mitte ist, hat sich aber nach rechts verschoben. Merz ist dafür belohnt worden, dass er das erkannt hat", analysiert die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
Die NORDWEST-ZEITUNG aus Oldenburg ist folgender Meinung: "Die Ampel wurde wegen ihrer objektiv schlechten Politik abgestraft. Der Wähler wollte seiner unbeliebten Regierung schlicht einen mitgeben. Ein lahmer Wahlkampf tat ein Übriges. Wobei insbesondere die FDP bemerkenswert suizidal agierte: Die Präsentation der Spitzenkandidatin Strack-Zimmermann – Bürgerbeschimpfung inklusive – wirkte wie eine Bedrohung des Wählers. Es ist auch keine gute Idee, in Deutschland mit einer Hardcore-Bellizistin an den Start zu gehen. Und die Grünen? Die sind auf ihre Kernwählerschaft reduziert worden", beobachtet die NORDWEST-ZEITUNG.
"Nur ein Drittel der Stimmen für die Ampelparteien?", fragt die TAZ und erläutert: "Das ist mehr als Ausdruck situativen Missvergnügens. Das letzte Mal, dass Regierungsparteien bei einer Europawahl so miserabel abschnitten, war 2004. Ein Jahr später war Rot-Grün am Ende. Man muss kein Untergangsprophet sein, um das für ein Menetekel zu halten. Diese Wahl zeigt: Die Stimmung ist anti-öko und anti-links. Beides spiegelt sich auch im Aufstieg der Wagenknecht-Partei und im Abstieg der Linkspartei. Die Mitte-links-Parteien stehen vor einer unschönen Frage: Müssen sie populistischer werden, um die Populisten zu schlagen?" So weit die TAZ.
Der MANNHEIMER MORGEN erläutert: "Selten fühlte sich Brüssel derart fern an wie in den zurückliegenden Wochen, in denen so etwas wie elektrisierender Wahlkampf kaum wahrzunehmen war. Die Parolen oft einsilbig wie austauschbar: für Wohlstand, gegen Hass, für Freiheit, gegen Putin. Selbst der deutschen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gelang es nicht, Europa-Begeisterung zu wecken. Sie bemühte sich auch nicht. Die CDU-Politikerin steht auf keinem Wahlzettel, da sie selbst nicht fürs Europaparlament kandidiert. Aber den wichtigsten Job in Brüssel will sie weiter haben. Das muss man alles nicht verstehen. Die gute Wahlbeteiligung kann daher nur andere Gründe haben, und die liegen in Berlin. Es scheint so, als hätten die Wähler der Bundesregierung ihren Frust zeigen wollen. Dieses Ergebnis ist ein innenpolitisches Beben, kein europäisches Signal", unterstreicht der MANNHEIMER MORGEN.
Der WESER-KURIER aus Bremen wirft ein: "So eindeutig die Abrechnung mit der Ampelkoalition auch ausgefallen ist: Eine Vorentscheidung für den Bundestagswahlkampf 2025 ist das nicht. Erstens liegt Amtsinhaber Olaf Scholz in allen Umfragen, in denen es um den zukünftigen Bundeskanzler geht, vor Oppositionsführer Friedrich Merz. Zweitens war vor der jüngsten Bundestagswahl zu beobachten, wie schnell sich ein Trend drehen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Ampel in den ausstehenden 15 Monaten die ständigen Streitereien ruhen lässt und sachlich die anstehenden Probleme löst."
In der FREIEN PRESSE ist zu lesen: "In Deutschland muss Rot-Grün erkennen, dass die Mitte nach rechts ausgewichen ist. Die AfD kommt zwar nicht auf die Bestwerte der Umfragen vor einigen Wochen, aber sie verzeichnet das beste von ihr je bei bundesweiten Wahlen erzielte Ergebnis. Das zeigt, selbst ein außer Kontrolle geratener Spitzenkandidat kann ihr nicht wirklich schaden. Für sie ist es nahezu egal, wen sie aufstellt. Sie lebt von dem sich weit in die Mitte hineinfressenden aktuellen Unmut und einem soliden Sockel, der diese Partei nicht trotz der erstarkten rechtsextremen Kräfte in ihr wählt, sondern genau deshalb dort sein Kreuz macht", ist sich die FREIE PRESSE aus Chemnitz sicher.
Auch die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg sorgt sich um das gute Abschneiden der AfD: "Eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei wird zweitstärkste Kraft in Deutschland und landet im Osten sogar an der Spitze. Das ist ein Alarmzeichen für die Republik, das nicht ernst genug genommen werden kann. Ein Neuanfang muss her – innerhalb einer endlich konstruktiv arbeitenden Koalition oder in einer neuen Regierungskonstellation. Viel Zeit bleibt nicht mehr."
"Die Grünen, das hat man bereits bei den Landtagswahlen in Bayern gesehen, polarisieren heute fast so sehr wie die AfD", heißt es in der AUGSBURGER ALLGEMEINEN: "Das Spitzenpersonal der Partei muss sich fragen lassen, wie es dazu kommen konnte. Ein Blick auf die Themen Klimaschutz und Migration liefert Erklärungsansätze. Die meisten Bürgerinnen und Bürger, das zeigen Umfragen, wollen Klimaschutz – aber eben mit Augenmaß. Und sie wollen politisch Verfolgten Zuflucht gewähren, aber eben nicht jeden aufnehmen, der es – oft illegal – nach Deutschland schafft. Die Grünen hatten zuletzt oft das genaue Gegenteil im Angebot: Klimaschutz, der für die Wähler teuer zu werden drohte, und immer neue, auch moralische Hürden gegen jedwede Begrenzung der Zuwanderung", stellt die AUGSBURGER ALLGEMEINE fest.
Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle an der Saale führt aus: "Diese Wahl kann einen nicht froh stimmen. In den nächsten fünf Jahren wird es noch schwieriger werden, die Europäische Union als Einheit gegen die globalen Herausforderungen zusammenzuhalten. Das Wahlergebnis ist insofern leider ein Votum gegen europäische Solidarität. Der nationale Stimmungstest für die Bundesregierung fällt hundsmiserabel aus. Die Klatsche für die Koalitionäre ist hausgemacht. Mit Abwendung reagieren die Bürgerinnen und Bürger insbesondere auf den Dauerstreit von SPD, FDP und Grünen, auf deren fehlenden Pragmatismus beim Lösen von Problemen und auf einen Kanzler, der zwar öffentlich präsent ist, aber den Menschen viel zu wenig Halt gibt." Das war zum Ende der Presseschau die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.