26. Juni 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Diesmal mit Stimmen zu Julian Assange, zum Beginn der EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine und dem anhaltenden Streit in der Ampel-Koalition über den Haushalt.

26.06.2024
Demonstration für Julian Assange vor dem High Court in London im Mai 2024. Eine Person hält ein Schild mit dem Bild Assanges in die Höhe.
Lange hatten Anhänger von Julian Assange für seine Freilassung demonstriert, nun ist es so weit. (imago / ZUMA Press Wire / Vuk Valcic)
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER geht aber - wie viele andere Zeitungen auch - auf die Freilassung des Wikileaks-Gründers ein: "Nach sieben Jahren politischem Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London und fünf Jahren im Gefängnis von Belmarsh endet das juristische Tauziehen um den Gründer von Wikileaks. Endlich kann er Frau und Kinder, die ihren Vater noch nie in Freiheit gesehen haben, in die Arme schließen. Ein Schritt, der längst überfällig war. Auf das Verhältnis der USA zur Pressefreiheit wirft es dennoch ein düsteres Licht, wenn Journalisten jahrelang verfolgt werden, während die Täter der enthüllten Kriegsverbrechen ungeschoren davonkommen", kritisiert der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Die Zeitung DIE WELT findet es verständlich, dass sich Assange auf einen Deal eingelassen hat: "Unverständlich bleibt, warum die Biden-Regierung so lange für diese Lösung gebraucht hat und sie die australische Regierung erst nach so langer Zeit für ihren Staatsbürger vermittelt hat. Für die Pressefreiheit ist dies ein schlechter Tag. Dieser Deal, der es den USA erlaubt, sich 'gesichtswahrend' aus der Affäre zu ziehen, legitimiert Assanges Verfolgung und bedeutet eine Drohung für den investigativen Journalismus. Assange war kein Geheimnisträger, er hat die Weltöffentlichkeit über relevante, teils kriminelle Vorgänge aufgeklärt", unterstreicht DIE WELT.
Das sieht die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG anders: "Indem er Dokumente ungefiltert öffentlich machte, brachte er Informanten und Soldaten in Gefahr. Später griff er in den Präsidentschaftswahlkampf ein, als er Hillary Clintons private E-Mails publizierte. Ein öffentliches Interesse schien da kaum noch eine Rolle zu spielen, mehr ging es um Geltung und Rache. Dennoch war es überfällig, eine Lösung für Assanges juristische Zwickmühle zu finden. So legitim es ist, Geheimnisverrat nach den Regeln des Rechtsstaats zu ahnden - Assanges faktische Strafe hatte die Grenzen der Verhältnismäßigkeit längst erreicht", befindet die F.A.Z.
"Julian Assange war immer mehr Aktivist als Journalist", lautet das Urteil der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG. "Dass er nun frei ist, ist trotz seiner zweifelhaften Agenda eine gute Nachricht. Denn wer wünschte ihm schon jene unfassbaren 175 Jahre Haft, die ihm im Falle einer Auslieferung in die USA gedroht hätten? Mit dem Aktivisten Julian Assange und der Supermacht USA trafen zwei Unbeugsame aufeinander. Der Klügere hat jetzt nachgegeben."
Für die AUGSBURGER ALLGEMEINE ist der Deal denn auch die - Zitat: "pragmatischste aller Lösungen. Gesichtswahrend ist er vor allem für Amerika: Das Weiße Haus kann darauf verweisen, den Konflikt beendet zu haben. Assange kann zumindest ein neues Kapitel in seinem Leben aufschlagen."
ZEIT ONLINE bewertet den Deal als Erleichterung für US-Präsident Biden: "Assanges Verfolgung war in den USA nie wirklich populär. Die Obama-Administration hatte aus guten Gründen von einer Anklage abgesehen, zu groß schien der Schaden für die Demokratie, in der die Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung Verfassungsrang haben. Es war der Ex-US-Präsident Donald Trump, der sich darüber hinwegsetzte und die Jagd auf Assange 2019 formal eröffnete; sein Außenminister Mike Pompeo nannte WikiLeaks gar in einem Atemzug mit Terrororganisationen wie Al-Kaida und dem 'Islamischen Staat'. Biden erbte das Verfahren und hat es nun, rechtzeitig vor der heißen Phase des Wahlkampfes, abgestreift, ohne dabei politische Konzessionen machen zu müssen", konstatiert ZEIT ONLINE.
Das STRAUBINGER TAGBLATT greift den Beginn der Beitrittsgespräche zwischen der EU und der Ukraine auf - und erinnert: "Die Ukraine hatte vor Putins Invasion keine Chance auf eine EU-Mitgliedschaft, und zur Wahrheit gehört auch, dass es im Kampf gegen Korruption, gegen Geldwäsche, gegen den Einfluss von Oligarchen sowie im Umgang mit nationalen Minderheiten noch gewaltige Fortschritte braucht. Zwar ist es richtig, der Ukraine eine Perspektive zu eröffnen. Doch dieser jüngste Schritt könnte bereits zu weit gehen – und sich rächen. Denn die Union befeuert die hohen Erwartungen in Kiew weiter, obwohl sie sie in naher Zukunft weder erfüllen kann noch darf", mahnt das STRAUBINGER TAGBLATT.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg glaubt: "Während Moldau im EU-Verbund zu verkraften sein sollte, ist ein Ukraine-Beitritt auf mittlere Sicht ökonomisch und gesellschaftlich nichts als eine große Illusion für das 40-Millionen-Volk. Es sei denn, die EU wirft die Beitrittskriterien über Bord und stellt den psychologisch-propagandistischen Faktor im Kampf gegen Russland nach vorn. Unter einer Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wäre ein Sonderstatus mit einem Federstrich denkbar", meint die VOLKSSTIMME.
Nach Einschätzung der MÄRKISCHEN ODERZEITUNG geht es in erster Linie um Symbolik: "'Ihr gehört zu uns' soll den Ukrainern vermittelt werden, um auch auf diese Weise ihre Moral im Kampf gegen den russischen Aggressor zu stärken. Konkrete Hilfe – zum Beispiel in Form von Geld und Waffenlieferungen – wird das allerdings nicht ersetzen können. Klar ist auch: Ein Land im Krieg kann niemals EU-Mitglied werden. Der Moment der Wahrheit für Europa und die Ukraine kommt also genau dann, wenn hoffentlich eines Tages die Waffen schweigen". Das war ein Auszug aus der MÄRKISCHEN ODERZEITUNG, die im brandendenburgischen Frankfurt erscheint.
Ins Inland: Der MÜNCHNER MERKUR hängt seinen Kommentar an der Nachricht auf, dass die Bundesregierung den Haushaltsentwurf 2025 später als geplant vorlegen will. Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner werden dem Blatt zufolge immer mehr zu Getriebenen ihrer Parteien: "Ob sie noch über die Autorität verfügen, ihre Abgeordneten zu disziplinieren und auf Kompromisse einzuschwören, ist nach den Geschehnissen der letzten Tage die Frage. Von ihrem Kanzler versprechen sich die Parlamentarier der SPD keine Wahlerfolge mehr und auch nicht die Sicherung ihrer Mandate. Tonangebend ist jetzt Parteichefin Esken. Ihre Partei, droht sie, lasse nicht zu, dass Deutschlands Solidarität mit der Ukraine gegen die Solidarität mit der eigenen Bevölkerung ausgespielt werde. Der Satz und die darin enthaltene Schmähung des Bundesfinanzministers ist toxisch und dürfte das Ampel-Klima weiter vergiften", prophezeit der MÜNCHNER MERKUR.
Die RHEIN-ZEITUNG geht noch davon aus, dass es zumindest buchhalterisch eine Lösung des Schuldenstreits gibt: "Zu viel stünde auch für die Abgeordneten bei Neuwahlen auf dem Spiel, denn alle drei Ampelfraktionen müssten mit erheblichen Stimmeinbußen rechnen. Doch, und das weiß auch Scholz – es gibt in der Politik Dynamiken, die man nicht mehr einfangen kann. Scholz lässt sich nicht in die Karten schauen. Lindner nicht brüskieren, die eigenen Leute bei der Stange halten: Lange wird der Balanceakt nicht mehr gut gehen", fürchtet die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz.
Die TAGESZEITUNG aus Berlin macht immerhin eine Hoffnung aus: "Dass sich die Parteistrategen nach ihren Erfahrungen in dieser Legislatur schon jetzt darauf vorbereiten, wie sie in einer künftigen Koalition erfolgreicher agieren könnten. Aller Voraussicht nach wird es nach 2025 zwar keine Ampel mehr geben. Stand jetzt ist es auch unwahrscheinlich, dass Rote und Grüne in einer anderen Konstellation miteinander weiterregieren. Gut möglich ist aber, dass eine der beiden Parteien mit der Union koaliert – und dann wieder mit einem schwierigen Partner konfrontiert ist. Welche von ihnen es auch sein wird: Wie sie Friedrich Merz besser beikommt als Christian Lindner – das ist noch entscheidender als die Frage, wie sie bei der Bundestagswahl wieder ein paar Prozentpunkte mehr holt." Mit dieser Analyse der TAZ endet die Presseschau.