02. Juli 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Stimmen zum Urteil gegen den Thüringer AfD-Chef Höcke. Zentrales Thema in den Kommentarspalten ist aber die erste Runde der Parlamentswahl in Frankreich, bei der die Rechtspopulisten unter Marine Le Pen einen großen Erfolg verzeichnen konnten.

02.07.2024
Eine Wahlkabine deren Vorhänge die Farben der Französischen Flagge zeigen. Hinter den Vorhängen sind die Füsse von Wählenden zu sehen.
Viel kommentiertes Thema ist die Parlamentswahl in Frankreich. (picture alliance / abaca / Blondet Eliot / ABACA)
Die SÜDWEST-PRESSE aus Ulm schreibt dazu: "Le Pen steht nun direkt vor den Toren der Macht. Mit einer deutlichen Mehrheit für ihren Rassemblement National bei der Stichwahl am Sonntag könnte sie erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Rechtsaußen-Regierung in Frankreich bilden – und dann ihr europafeindliches, rassistisches Programm umsetzen. Noch gibt sich die Putin-Freundin Le Pen als Wölfin im Schafspelz. Doch spätestens nach der möglichen Regierungsübernahme wird die Frontfrau des RN ihre Zähne zeigen. Sie wird nicht nur die französische Gesellschaft nach ihren Vorstellungen umkrempeln, sondern ganz Europa", prophezeit die SÜDWEST-PRESSE.
"Es sind zwei ernüchternde Botschaften, die von diesem Wahlsonntag in Frankreich ausgehen", bilanziert die FRANKFURTER RUNDSCHAU: "Zum einen ist die EU in ihren Grundfesten erschüttert, was ihren Zusammenhalt in einer Welt angeht, in der die Demokratien immer mehr unter Druck geraten. Wenn der deutsch-französische Motor abgewürgt ist, dann droht der EU die geopolitische Bedeutungslosigkeit. Zum anderen: Dass die Allianz der Demokraten stärker ist als die Verheißungen der Populisten – darauf jedenfalls kann man in Europa nicht mehr zählen. Die demokratisch gewählten Institutionen müssen die von ihren Bürgerinnen und Bürgern am drängendsten wahrgenommenen Probleme von Kaufkraftverlust über irreguläre Migration bis hin zum Klimawandel lösen oder sie zumindest lindern. Der schleichende Verlust an Vertrauen, dass die demokratischen Regierungen dazu in der Lage sind, ist Gift für die Demokratie", unterstreicht die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg beobachtet: "Das Ergebnis der Parlamentswahl in Frankreich ist Teil des EU-weiten Rechtsrucks. Der hat Gründe: Dazu gehören die Arroganz der Macht, die Verachtung des Bürgerwillens, die falsche Migrationspolitik und eine bedingungslose Ukraine-Unterstützung. Emmanuel Macrons gnatziger Entscheid nach der Klatsche bei der Europawahl wurde zum förmlichen Freibrief für die Rechtsextremen."
Die TAGESZEITUNGTAZ analysiert: "Der politische Sieg der extremen Rechten ist eine logische Folge ihrer 'Banalisierung'. Ihre Ideen haben sich längst festgesetzt in vielen Köpfen. Was noch vor wenigen Jahren schockiert hätte, wird fast beiläufig in Talkshows wiederholt, ohne Reaktionen auszulösen. Das ist die wahre Niederlage der linken Demokraten, die seit Jahrzehnten gegen diese Ideologie ankämpften, aber etwas naiv glaubten, es reiche, die Rassisten in die Schäm-dich-Ecke zu stellen."
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ist überzeugt, der Erfolg der Rechtspopulisten habe auch gesellschaftspsychologische Gründe: "Die Anhänger von Marine le Pen - die Lepenisten - profitieren auch von dem, was man in Frankreich 'déclinisme' nennt, das kommt vom Wort déclin: Niedergang. Gerade auf dem Land finden viele, sie seien gefangen in einer Abwärtsspirale. Die Industrien sind weg, die kleine Landwirtschaft, die Perspektiven. Le Pen ruft ihnen zu: Wir stehen auf einem Trümmerfeld, alle Kontrolle haben wir verloren. Es bringt nichts, wenn man den Menschen auf dem Land sagt, eigentlich sei alles nicht so schlimm, die Arbeitslosigkeit sei gar so niedrig wie lange nicht mehr, der französische Sozialstaat bleibe einer der üppigsten im Westen. Alles wahr, aber es hilft nicht. Es zählt nur die Wahrnehmung", stellt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fest.
Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf findet, der französische Präsident habe die Lage falsch eingeschätzt und sei deshalb mitverantwortlich für das Wahlergebnis: "Emmanuel Macron ist ein Zocker. Übertragen auf die Neuwahl-Volte aus der Europawahlnacht bedeutet dies: Er glaubte, das überraschend starke Abschneiden der französischen Rechtspopulisten und die schmerzhafte Niederlage der französischen Liberalen einfach umdrehen zu können, wenn er nur mit größtmöglichem Knalleffekt den Franzosen vor Augen führt, was in ihrem eigenen Land auf dem Spiel steht. Er hat sich für ein Russisch-Roulette entschieden, um alle Aufmerksamkeit auf den eigenen Mut zu lenken, und erst hinterher entdeckt, dass in allen Trommellagern des Revolvers eine Kugel steckt, er sich also nur selbst abschießen kann", heißt es in der RHEINISCHEN POST.
Auch das HANDELSBLATT hat kein Verständnis für die vorgezogenen Neuwahlen: "Macron hätte drei Jahre mit relativ stabiler Mehrheit regieren können, drei wertvolle Jahre, die Europa Zeit gegeben hätten, um mit der sicherheitspolitischen Bedrohung durch Russland oder den Herausforderungen, die sich durch Trump 2 ergeben, fertigzuwerden. Ein ungesunder Mix aus Hybris, Fahrlässigkeit und Trotz hat Präsident Macron offenbar bewogen, diese irrsinnige Wahl anzusetzen."
"Dabei hat der Präsident nach sieben Jahren im Amt eine Bilanz vorzuweisen", wirft das STRAUBINGER TAGBLATT ein: "Er zeigte sich präsent auf der internationalen Bühne, stärkte die Wirtschaft und die Industrie, senkte die Arbeitslosigkeit und beschloss während der Corona-Pandemie und der Energiekrise umfassende Staatshilfen – für die ihm heute niemand dankt. Auch seine Rentenreform war zwar unbeliebt, aber notwendig."
Die STUTTGARTER ZEITUNG hält fest: "In anderen Demokratien müsste ein Parteichef oder Staatspräsident nach einer solchen Schlappe, einem solchen politischen Eigentor den Hut nehmen. In Frankreich, wo der Präsident wegen der Verfassung eine sehr starke Stellung hat, kann sich Emmanuel Macron bis auf Weiteres im Elysée-Palast halten. Er hat durch seine Sprecher schon vor einer Woche prophylaktisch verlauten lassen, ein Rücktritt käme für ihn nicht in Frage. Wie es scheint, hat er das Ausmaß seiner persönlichen Niederlage bis heute nicht erkannt", notiert die STUTTGARTER ZEITUNG.
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER überlegt zu den politischen Optionen des Präsidenten: "Will Macron nicht zum Steigbügelhalter von Le Pen werden, kann er sich kaum einer Kooperation mit dem Linksbündnis verweigern. Einen relativ farblosen Vertreter des Linksbündnisses, das ohne eigenen Spitzenkandidaten angetreten war, zum Premierminister zu erheben, wäre für Macron sicherlich weniger schmerzlich als den charismatischen Jordan Bardella vom Rassemblement National. Angesichts leerer Staatskassen und einem EU-Verfahren gegen Frankreich aufgrund der hohen Verschuldung, dürfte es den Linken schwerfallen, mit Rentengeschenken und der Stärkung des Sozialstaates an Zustimmung zu gewinnen. Es bleibt also die Hoffnung, dass enttäuschte Wähler bis zur nächsten Präsidentschaftswahl in drei Jahren zu den Liberalen zurückkehren", meint der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER, und soviel zu diesem Thema.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG greift das jüngste Urteil gegen den Thüringer AfD-Chef Höcke auf und kommentiert das generelle Verhältnis der Partei zur Justiz: "Über den Rechtsstaat braucht sich die AfD nicht zu beschweren. Die unabhängige Justiz stellte klar, dass der Parteitag in Essen stattfinden konnte. Die Gleichheit der Parteien vor dem Gesetz ist gewährleistet. Man sieht sich als Opfer - will aber auch nicht als Nazi dastehen. Das wird auch im Umgang mit Höcke deutlich, der nun zum zweiten Mal wegen des Verwendens der nur sehr Eingeweihten bekannten SA-Parole 'Alles für Deutschland' zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist", bemerkt die F.A.Z.
"Dieses Urteil wird der Partei richtig wehtun", ist sich die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG sicher: "Bedenkt man, wie Höcke sich vor Gericht wand mit immer neuen Anträgen und Verzögerungsversuchen, wird klar: Um dieses Urteil wäre er lieber herumgekommen. Stolz auf ein angebliches Martyrium sieht anders aus. Der wäre auch abwegig. Das gemessen an den Prognosen maue Ergebnis der AfD bei der Europawahl dürfte ein Fingerzeig sein, dass die Wähler rechte Verstöße gegen das Gesetz gerade nicht belohnen." Das war zum Ende der Presseschau die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.