03. Juli 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Themen sind der Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Orban in der Ukraine und der Wechsel der Grünen-Politikerin Melis Sekmen in die CDU/CSU- Bundestagsfraktion. Doch zunächst Stimmen zu den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen.

Warschau: Bundeskanzler Scholz wird vom polnischen Ministerpräsidenten Tusk zu den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen begrüßt.
Die Zeitungen kommentieren unter anderem die deutsch-polnischen Regierungskonsultationen. (AP / Czarek Sokolowski)
Die Zeitung DIE WELT erläutert in ihrer Online-Ausgabe: "Nun also hat sich der aktuelle Bundeskanzler mit seinem halben Kabinett auf eine Klassenfahrt nach Warschau begeben. Man hat sich mit einem ambitionierten, 40 Seiten langen 'Aktionsplan' gegenseitig versichert, die Kooperation in Zukunft zu intensivieren. Auch im Blick auf die Gefahren, die aus Russland drohen. Das ist gut so. Wie auch die nüchterne Geschäftsmäßigkeit des Treffens den Beginn einer erfreulichen diplomatisch-demokratischen Normalität anzuzeigen scheint. Das ist schon deswegen von Vorteil, weil auch das Polen mit Donald Tusks Regierung ein schwieriger Partner bleiben wird. In der Migrationsfrage etwa steht Polens neue Regierung der alten näher als den deutschen Sozialdemokraten oder gar den Grünen. Man kann nur hoffen, dass die deutsche Regierung dem Verhältnis zu Polen in Zukunft deutlich mehr Aufmerksamkeit widmet", notiert DIE WELT.
Die FREIE PRESSE aus Chemnitz hebt hervor, acht Jahre lang habe "die nationalkonservative PiS-Regierung in Polen das Verhältnis mit antideutschen Tönen zerrüttet. Eine gute Zusammenarbeit der beiden Länder für Europa war leider kaum noch möglich. Jetzt regiert in Polen ein Mitte-Links-Bündnis unter dem Proeuropäer Donald Tusk – und es gibt, trotz mancher Unterschiede in den politischen Interessen, neue Chancen. Polen hat zwei Gesichter. Tusk steht für das weltoffene, europäische Polen. Fast jeden, der schon in Warschau war, begeistert dieses Land. Gleichzeitig gibt es das engstirnige und illiberale Polen. Beide Lager sind ähnlich stark. Für Tusk wäre es verheerend, wenn im eigenen Land der Eindruck entstünde, er spiele nach den Regeln der Deutschen", argumentiert die FREIE PRESSE.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg verweist auf eine Zusage Deutschlands: "Die angekündigten Hilfen für polnische Nazi-Opfer sind, wenn auch noch nicht finanziell untersetzt, eine überfällige Geste. Sie sind ein Mittel gegen die Nachwirkungen der von der vormaligen PiS-Regierung geschürten Diffamierungskampagne. Ausgeräumt sein dürfte das Thema damit zwar noch lange nicht, aber es ist entschärft. Für die nötige Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen kann dies ein Katalysator sein", vermutet die VOLKSSTIMME.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meint: "Letztlich ist nicht Deutschland dafür verantwortlich, unrealistische Vorstellungen wie die Reparationsforderungen über 1,3 Billionen Euro aus der polnischen Debatte zu entfernen. Auch polnische Panzer müssen nicht von der EU bezahlt werden. Polen hat sich, nicht zuletzt dank europäischer Hilfe, gut entwickelt. Das ist eine gute Voraussetzung, um gemeinsam wieder mehr in die Zukunft zu blicken als in die Vergangenheit."
Die KIELER NACHRICHTEN stellen fest: "Auch den zweiten heiklen Punkt – wie stark Deutschland Polen an der Ostflanke der NATO unterstützen wird – haben Tusk und Scholz durch eine Verlegung der Klärung in die Zukunft zunächst abgeräumt. Tusk erweist sich wie früher als Pragmatiker. Aber sein Selbstbewusstsein ist viel stärker als noch vor ein paar Jahren. Und an dieser Stelle fällt eine Schwäche des Kanzlers auf. Tusk, dessen Land an der Rolle des NATO-Frontstaats in der Auseinandersetzung mit Russland gewachsen ist, benennt die Probleme beim Namen, stellt einfach fest, dass die Menschen in ganz Europa verständliche und kluge Antworten auf offene Fragen und dann Lösungen brauchen. Scholz bleibt dagegen blass und bemüht sich um Zurückhaltung", analysieren die KIELER NACHRICHTEN.
Themenwechsel. Die TAGESZEITUNG äußert sich zum Besuch von Ungarns Regierungschef Orban in Kiew: "Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dürfte diesem seit Monaten vorbereiteten Treffen eher gänsehäutig entgegengeblickt haben – wie auch dem Umstand, dass Budapest am 1. Juli für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Schließlich gilt Orbán im Brüsseler Klub als kremlfreundlichster Ministerpräsident. Bislang hat er keine Gelegenheit ausgelassen, um gegen die Ukraine vorzugehen. Mehrfach verzögerte oder blockierte Budapest Finanz- und Militärhilfen für die Ukraine und versuchte, Sanktionen gegen Moskau zu verhindern. Bliebe das Thema 'Frieden'. Ginge es nach Orbán, müsste sich Kiew sofort an den Verhandlungstisch begeben – zu Moskaus Bedingungen", vermerkt die TAZ.
Die MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, bemerkt mit Blick auf die EU-Ratspräsidentschaft Ungarns: "Dass Orban als erste Amtshandlung nun nach Kiew gefahren ist, überrascht. Und zwar positiv. Damit stellt er sich wieder in eine Reihe mit den übrigen europäischen Staaten. Obwohl er in Kiew eine Position vertrat, die manchen erschreckt. Orban schlug Präsident Selenskyj eine Feuerpause vor. Das mutet unerhört an. Denn zweifellos würde eine einseitige Feuerpause nur den Russen nützen. Und doch führt es zu nichts, wenn Kiew von seinen Gästen immer nur das Gefällige zu hören bekommt; was meist der Fall ist, wenn EU-Regierungschefs in die Ukraine reisen. Der diplomatische Stillstand muss überwunden werden. Und dazu können selbst indiskutable Vorschläge dienen. Dass Orban dabei auch ganz eigennützig an das russische Gas gedacht haben mag, das über die Ukraine immer noch in sein Land fließt, steht auf einem anderen Blatt. Orban bleibt halt doch Orban." So weit der Kommentar der MEDIENGRUPPE BAYERN.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ist der Ansicht, Orban spreche mitunter Wahrheiten aus, die andere "politisch korrekt auftretende europäische Regierungschefs ebenso verschweigen wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Etwa die, dass die Ukraine trotz aller Schönfärberei der EU-Kommission die Bedingungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen in Wahrheit nicht erfüllt. Kaum zufällig war die Orban-Visite in Kiew ein bilateraler Besuch, keiner im Namen der EU. Orban sprach nur für sich selbst."
Abschließend Stimmen zur Grünen-Politikerin Melis Sekmen, die als Bundestagsabgeordnete in die Unionsfraktion gewechselt ist. Dazu schreibt das STRAUBINGER TAGBLATT: "Wenn eine führende Wirtschaftspolitikerin ihren Mitgliedsausweis abgibt, weil sie mit der Wirtschaftspolitik des zuständigen Ressortchefs aus ihrer Partei, Robert Habeck, unzufrieden ist, wiegt das schwerer als jede Attacke der Opposition. Sekmen ist offensichtlich nicht der Ansicht, dass die Grünen Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen, wie sie selbst beteuern. Indem sie dann noch erklärt, wie sie sich eine Debattenkultur vorstellt, bescheinigt Sekmen ihrer Ex-Partei, unbequeme Realitäten nicht zu benennen und Menschen für ihre Meinungen oder ihre Sorgen in Schubladen zu stecken", urteilt das STRAUBINGER TAGBLATT.
Sekmen sei als Grüne in den Bundestag gewählt worden, betont die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle: "Sie führt ihre Wähler an der Nase herum. Man kann durchaus von Wählerbetrug sprechen. Warum konnte sie nicht die Partei wechseln und das Mandat niederlegen? Oder zumindest den Rest der Legislaturperiode fraktionslos bleiben? Der Verdacht liegt nahe, dass es hier um die künftige Karriere in einer vergleichsweise erfolgreichen Partei geht. Die Appelle aus ihrem Kreisverband, auf das Mandat zu verzichten, werden ungehört verhallen. Vertrauen zur Politik entsteht so nicht. Und dass wohl der Fraktionschef der Union persönlich die Abwerbung gestaltete, ist ebenfalls unanständig", kritisiert die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.
Die RHEINPFALZ aus Ludwigshafen empfiehlt: "Eingeklemmt zwischen den Zwängen des Regierens und dem Anspruch, für bestimmte Werte zu stehen, müssen sich die Grünen neu erfinden. Wenn sie es nicht schaffen, ihre Politik als Chance herauszustellen, beispielsweise beim Abstreifen der fossilen Energiefesseln, werden sie auf absehbare Zeit in der Bundespolitik keine wichtige Rolle spielen."