10. Juli 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert werden neben dem NATO-Gipfel in Washington die geplanten Steuervorteile für ausländische Fachkräfte. Doch zunächst geht es um die jüngsten russischen Angriffe in der Ukraine mit Opfern in einer Kinderklinik, für die Moskau im UNO-Sicherheitsrat scharf verurteilt wurde.

10.07.2024
    Ein Teilnehmer am NATO-Gipfel geht durch das Walter E. Washington Convention Center in Washington
    Die Zeitungskommentare beschäftigen sich unter anderem mit dem dreitägigen NATO-Gipfel in Washington. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Noah Berger)
    Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz spricht von einem Kriegsverbrechen und fragt: "Wo bleibt die allgemeine, breite, laute Empörung? Wer nun lediglich mit den Schultern zuckt, ergibt sich der schleichenden Gewöhnung – was dem Kriegstreiber in Moskau in die Karten spielt. Der Kreml wird sich die Reaktion des Westens auch in diesem Fall genau anschauen. Und er dürfte daraus seine Schlüsse ziehen, etwa wie er in seinem Krieg weiter vorgeht. Es stimmt zwar, dass wir Putin nicht mehr menschlicher machen werden. Aber wenn auch wir unmenschlich werden, hat er schon gewonnen", urteilt die ALLGEMEINE ZEITUNG.
    Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG betont, die militärische Realität sei oft komplex: "Das Krankenhaus liegt neben dem Infrastrukturministerium, das den Transport der Waffen organisiert. Im Norden Kiews trafen russische Raketen Wohnhäuser, vor allem aber trafen sie die Artem-Munitionsfabrik in der Nachbarschaft. In Frontnähe sind militärische und zivile Infrastruktur noch dichter nebeneinander. In den Dörfern des Donbass leben Soldaten mit Zivilisten oft Tür an Tür. In Kramatorsk oder Pokrowsk übernachten sie in Hotels, kaufen in Supermärkten ein, stationieren Panzer unter Brücken oder in Parks. Insofern ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass Russland ein anderes Ziel verfolgt hat als die Zerstörung des Kinderkrankenhauses. Selbst wenn die russische Führung die Bombardierung des 'Ochmatdyt' nicht geplant hat, so nimmt sie diese durch ihre Art der Kriegsführung in Kauf", erläutert die SÜDDEUTSCHE.
    Aus Sicht der Zeitung DIE WELT zeigt der russische Angriff auf das Kinderkrankenhaus erneut "den fundamentalen Fehler in der Herangehensweise des Westens. Weil wir die Ukraine davon abhalten, die Gefahr im Vorfeld aktiv auf russischem Boden zu bekämpfen, statt dann, wenn die Raketen schon in der Luft und im Anflug auf ihre Ziele sind. Zusätzlich zu mehr Flugabwehr braucht die Ukraine zweierlei: mehr Waffen mit längerer Reichweite, wie etwa die deutschen Marschflugkörper vom Typ Taurus. Und dann die Erlaubnis, sie auch gegen militärische Ziele weit auf russischem Territorium einzusetzen. Es ist höchste Zeit, die Immunität zu beenden, die Russlands Todesmaschine auf dem eigenen Territorium genießt", verlangt DIE WELT.
    Themenwechsel. Die NATO feiert ihr 75-Jähriges Bestehen in Washington. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG findet, das könne nur ein "Gipfeltreffen der gemischten Gefühle sein: Zufriedenheit beim Blick in die Vergangenheit, Anspannung im Ringen mit den Bedrohungen der Gegenwart, Sorge über die Zukunft, auch angesichts unguter Entwicklungen innerhalb des Bündnisses. 75 Jahre lang hat die 'North Atlantic Treaty Organization', das war ihr Gründungszweck, den Kreml davon abgehalten, auch noch den westlichen Teil Europas unter sein Joch zu zwingen, das die Mittel- und Südosteuropäer von 1945 bis 1989 zu tragen hatten. Polen, Ungarn, die baltischen Republiken und viele andere Staaten traten nach der Befreiung von dieser Fremdherrschaft und der Wiedergewinnung ihrer Souveränität aus freien Stücken dem westlichen Verteidigungsbündnis bei, das zum Garanten ihrer Freiheit und territorialen Integrität wurde", vermerkt die F.A.Z.
    "Es heißt, Bündnisse sterben mit ihren Gegnern", lesen wir in der RHEINISCHEN POST aus Düsseldorf: "Gemessen daran, wäre die NATO seit 1991 - mit der Auflösung des Warschauer Paktes - Vergangenheit. Doch die Nordatlantische Allianz lebt, mehr noch: Sie ist mit mittlerweile 32 Mitgliedern so groß wie nie zuvor, sie ist geeint und sie ist so entschlossen wie lange nicht. Wenn die NATO in diesen Tagen beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Washington D.C. ihre Gründung vor 75 Jahren feiert, liegt auch eine düstere Erkenntnis über diesem Festakt: Das Bündnis hat nach Jahren der Entspannung wieder einen Gegner, vermutlich sogar Feind: Es ist das Russland des Wladimir Putin. Sowohl in Polen als auch in den baltischen Staaten ist die Angst vor dem russischen Landhunger allgegenwärtig", hebt die RHEINISCHE POST hervor.
    Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt (Oder) beobachtet, die NATO habe ihre Sinnsuche "nach dem russischen Überfall auf die Ukraine beendet, und auf die Sprünge geholfen hat ihr vor allem Trumps Nachfolger, Joe Biden. Der NATO-Gipfel hätte also ein außenpolitischer Triumph für ihn werden können. Doch seit seinem verheerenden Auftritt im TV-Duell gegen seinen Herausforderer Trump kann Biden nicht mehr auf den guten Willen des Publikums zählen, der für eine solche Anerkennung notwendig wäre. Stattdessen wird jede Geste, jeder Satz, jedes verschluckte Wort des 81-Jährigen genau darauf untersucht, ob er wirklich nur einen schlechten Abend hatte oder ob er schlichtweg zu alt ist für das angeblich schwerste Amt der Welt", vermutet die MÄRKISCHE ODERZEITUNG.
    Die TAGESZEITUNG stellt fest: "Es war US-Präsident Joe Biden, der gleich zu Kriegsbeginn in der Ukraine 2022 die Fäden in der Hand hielt – und der NATO recht schnell seine fast bedingungslose Unterstützung zusagte. Nun sind rund zweieinhalb Jahre vergangen, und die Solidarität scheint zu bröckeln. Frankreich ist kein Garant mehr für Stabilität nach den ad hoc anberaumten Parlamentswahlen. Rechtspopulistische Regierungen machen keinen Hehl mehr aus ihrer Putin-Nähe. Aber der größte Unsicherheitsfaktor sind die USA selbst. Wenn im November Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt wird, könnte sich das Militärbündnis entscheidend verändern." So weit die TAZ und so viel zu diesem Thema.
    Nun noch Stimmen zu den geplanten Steuervorteilen für ausländische Fachkräfte, die die Bundesregierung im Zuge eines Maßnahmenpakets zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland plant. Die BERLINER MORGENPOST meint: "Es ist unklug, den Start ins deutsche Arbeitsleben mit einer Ungerechtigkeit zu beginnen. Boni, Wohnzuschüsse oder betriebliche Prämien - steuerlich absetzbar - wären sicher die bessere Alternative zu einer steuerlichen Diskriminierung deutscher Arbeitnehmer. Die sind durch anhaltend hohe Abgaben genug frustriert und hätten für eine derartige Vorzugsbehandlung sicher wenig Verständnis. Es hat sich einfach nicht bewährt, Deutsche gegen Ausländer über den Geldbeutel auszuspielen. Das hat schon Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer versucht, der die Autobahnmaut nur bei den Ausländern kassieren wollte. Das endete kläglich vor Gericht und wurde für die Steuerzahler ziemlich teuer", gibt die BERLINER MORGENPOST zu bedenken.
    Auch der MÜNCHNER MERKUR sieht das Vorhaben kritisch: "Die von der Ampel und hier besonders von der FDP ersonnenen Steuernachlässe nur für Zuwanderer führen in die Irre: Sie diskriminieren erstens Inländer gegenüber Ausländern und sorgen für böses Blut unter Arbeitnehmern. Sie verschlimmern zweitens den Bürokratie-Wust, weil neue Steuer-Sonderregeln auch zusätzliche Staatsdiener brauchen, die sie überwachen. Und sie setzen drittens zu sehr auf Zuwanderung statt auf die Mobilisierung vorhandener inländischer Potenziale."
    Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG ist anderer Meinung: "Die Wahrheit ist doch: Mehr als ein Dutzend anderer europäischer Länder locken begehrte Spezialisten seit Langem mit Steuervorteilen und anderen Vergünstigungen – von Belgien über Frankreich bis Zypern. Deutschland spielt unter den begehrten Standorten noch gerade so im Mittelfeld mit. Flüchtlinge dürfen gerne nach Deutschland weiterreisen, Fachkräfte aber behalten alle lieber gerne bei sich. Und bieten ihnen dafür auch etwas. Die Steuervorteile für drei Jahre kann man auch anders bewerten: Für den Preis der befristeten Bevorzugung bei der Steuer profitiert auch der deutsche Steuerzahler langfristig von der Ansiedlung von Wissen, Kompetenz und Geschäftssinn im Land", argumentiert die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG zum Ende der Presseschau.