24. Juli 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Ein Thema in den Kommentaren ist das Nationale Luftreinhalteprogramm, das die Bundesregierung in Teilen nachbessern muss. Zunächst aber zu den Plänen von Ampel-Parteien und Union, das Bundesverfassungsgericht besser vor der Einflussnahme extremer Parteien zu schützen.

24.07.2024
Außenaufnahme des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht (picture alliance / dpa / Uli Deck)
"Wer nach guten Nachrichten aus der Politik sucht – hier ist eine" findet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München. "Die Regierungsparteien und die größte Oppositionsfraktion haben sich aufeine Art institutionellen Hochwasserschutz für das Gericht verständigt. Dass dies gelungen ist, ist weder trivial noch selbstverständlich. Doch so sehr die Einigung selbst zu loben ist: Beim Inhalt des Kompromisses sollte nachgebessert werden. Ausgerechnet ein entscheidender Bestandteil der bisherigen Regeln soll es nicht ins Grundgesetz schaffen: die Wahl der Richterinnen und Richter mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Bundesländer sollten hier auf Nachjustierung dringen", mahnt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Auch der KÖLNER STADT-ANZEIGER beschäftigt sich mit diesem Punkt, kommt aber zu einem anderen Ergebnis: "Die Zweidrittelmehrheit für die Wahl der Richter soll nicht ins Grundgesetz aufgenommen werden. Was im ersten Moment widersprüchlich wirkt, ist wohlüberlegt. Über einen 'Ersatzwahlmechanismus' soll künftig der Bundesrat die Wahl übernehmen können. An dieser Stelle müssen sich Ampel und Union allerdings den Vorwurf gefallen lassen, dass sie zu einem Trick greifen, der den in den Ländern etablierten Parteien größere Entscheidungsmacht gibt. Das ändert aber nichts daran, dass SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU in so seltener wie wohltuender Gemeinsamkeit dieses Land vor Verfassungsfeinden zu schützen versuchen. Der Demokratie erweisen sie einen großen Dienst", lobt der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
"Dem Kompromiss haftet der Beigeschmack an, dass die etablierten Parteien eine 'Lex AfD' geschaffen haben - eine Sonderregelung, um eine mögliche Einflussnahme der rechten Partei zu verhindern", wendet die AUGSBURGER ALLGEMEINE ein. "Der Vorstoß muss deshalb sehr gut erklärt werden. Gesetzesänderungen dürfen nicht die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ersetzen. Das hinterließe einen fatalen Eindruck, würde die Opferrolle rechter Parteien stärken und trüge letztendlich zu dem bei, was der Kompromiss verhindern soll: Eine Beschädigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die eigentliche Arbeit haben Ampel und Union also noch vor sich", erwartet die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
"Dass die Koalition der verfassungsrechtlich Willigen der AfD jetzt einen Steilpass zuspielt, muss man aushalten", meint die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz. "Die Rechten behaupten ja schon, Karlsruhe werde von den 'Etablierten' instrumentalisiert, um sie auszubooten. Was nicht der Fall und Unsinn ist. Denn wie Autokraten mit unabhängigen Institutionen umgehen, lässt sich in anderen europäischen Ländern gut beobachten – in Ungarn etwa oder bis vor Kurzem noch in Polen. In beiden Staaten ist die liberale Demokratie über Jahre hinweg ordentlich gestutzt worden. Ob sich die Strukturen dort mit denen hierzulande vergleichen lassen, sei dahingestellt. Aber das darf kein Vorbild sein. Solche Stoppschilder wie das zur Resilienz des Verfassungsgerichts sind daher richtig und wichtig, weil die Demokratie ihren Gegnern zeigt, dass sie lebt und sich verteidigt", heißt es in der RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG sieht es so: "Die Baupläne für die Festung Karlsruhe lassen sich bis hierher sehen. Eine Entlastung für die Fraktionen sind sie aber nicht. Die prekäre Lage, die sie zum Handeln zwingt, haben sie schließlich mitzuverantworten. Sähe es im Bundestag so aus wie womöglich schon bald in manchen Länderparlamenten, wären sie am Ende ihres Lateins. Polen und Ungarn sind in der Tat abschreckende Beispiele. Die Lehre daraus ist aber: Ein konservativer Schutz bewährter Institutionen reicht nur so weit, wie dessen Verfechter in der Lage sind, sich in Wahlen durchzusetzen." Das war die FAZ.
Hier knüpft die TAGESZEITUNG an: "Natürlich ist es richtig, Maßnahmen zu ergreifen, um staatliche Strukturen möglichst resilient gegen autoritäre Vereinnahmung auszugestalten. Nur wenigen Menschen in der Bundesrepublik ist bewusst, wie angreifbar tatsächlich auch unser System von Checks and Balances ist. Aber: Allein mit neuem Verfassungsrecht lässt sich die Demokratie nicht retten. Dass das Bundesverfassungsgericht nun sturmfester gemacht wird, darf nicht zu einem Entlastungsdiskurs führen. Zumal bei den Landtagswahlen im Osten erhebliche Disruptionen bevorstehen könnten. Von den bröckelnden Brandmauern zur extrem rechten AfD auf kommunaler Ebene ganz zu schweigen. Dagegen braucht es nicht nur mehr Unterstützung für eine starke Zivilgesellschaft, sondern auch gute Politik. Es braucht keinen Überbietungswettbewerb bei der Übernahme rechtsextremer Forderungen, sondern einen halbwegs anständigen Wettstreit über Probleme wie Wohnungsnot, Klimakrise und eine kaputtgesparte Infrastruktur." Das fordert die TAZ aus Berlin.
Themenwechsel. Nach einer Klage der Deutschen Umwelthilfe und einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg muss die Bundesregierung ihr sogenanntes Nationales Luftreinhalteprogramm in Teilen nachbessern. "Die Strategie, die Politik aus den Parlamenten in die Gerichte zu verlagern, ist ein zweischneidiges Schwert", meint dazu der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER. "Einerseits ist es richtig, wenn Richter die Politiker an den Zielen messen, die sie sich selbst gegeben haben. Andererseits sind weder die Deutsche Umwelthilfe noch die Richter vom Volk gewählt. Die Richter mussten auch nur beurteilen, ob die Maßnahmen ausreichen, um die gesteckten Ziele zu erreichen und nicht, ob genügend Geld für Maßnahmen wie die Förderung von Elektroautos vorhanden ist. Diese wurde kurioserweise als Folge des Urteils eines anderen Gerichts zur Verfassungskonformität des Haushalts gestrichen", erinnert der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG beobachtet: "Vor wenigen Monaten war es das Klimaschutzgesetz, nun trifft es das Luftreinhalteprogramm. Die Deutsche Umwelthilfe darf sich wieder mal als Planetenretter vom Dienst feiern, und die Ampel-Regierung muss sich wieder mal als Versager vom Dienst schelten lassen. Mit Spott und Häme allerdings lässt sich das Grundproblem auch nicht lösen. Es stimmt schon, mit Ruhm bekleckert hat sich die Ampel hier nicht. Nur: Ob die nächste Regierungskoalition beim Thema Klimaziele wirklich eine bessere Figur machen wird, ist mehr als fraglich. Denn die sind bereits jetzt kaum mehr realistisch, und selbst Etappenziele werden nur mit enormen Anstrengungen erreichbar sein. Einfach herbeiklagen kann man das leider nicht", erklärt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
DIE GLOCKE aus Oelde kritisiert: "Das Urteil nährt Zweifel an der Fachkompetenz in den verantwortlichen Ministerien für Bau, Umwelt und Verkehr. Denn es sind handwerkliche Fehler unterlaufen, die durchaus vermeidbar erscheinen. Wenn etwa davon ausgegangen wird, dass alle Kohlekraftwerke bis 2029 vom Netz gehen, dann ist das realitätsblind. Man fragt sich zwangsläufig, ob mehr als Blauäugigkeit dahintersteckt – etwa die Überlegung: Wenn wir von einem früheren Aus der Kohleverstromung ausgehen, müssen wir an anderer Stelle keine unangenehmen Entscheidungen treffen", stellt DIE GLOCKE aus Oelde heraus.
"Das Ganze landet wohl vor dem Bundesverwaltungsgericht", prognostiziert abschließend die RHEINPFALZ aus Ludwigshafen. "Weil es nicht nur um Umwelt- und Gesundheitsschutz geht, sondern auch um diese Frage: Darf eine Regierung Maßnahmen miteinberechnen, die noch gar nicht beschlossen sind – wie das Gebäudeenergiegesetz oder die Abgasnorm Euro 7? Darf die Politik dann die Hände in den Schoß legen, wenn ihre Annahmen sich als falsch herausstellen? Die Realität sieht jedenfalls so aus: Es werden mehr Schadstoffe ausgestoßen als im Nationalen Luftreinhalteprogramm erlaubt ist." Und mit dieser Stimme aus RHEINPFALZ endet die Presseschau.