02. August 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Kommentaren zum Entwurf des Bundeshaushalts 2025, der möglicherweise nachverhandelt werden muss. Doch im Mittelpunkt steht der Gefangenenaustausch zwischen Russland, Belarus und mehreren westlichen Ländern, darunter Deutschland.

02.08.2024
Der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa in einer gläsernen Zelle vor Gericht.
Die Zeitungen äußern sich zu einem Gefangenenaustausch, bei dem u.a. der russische Oppositionelle Kara-Mursa freigelassen wurde (Archivbild). (IMAGO / ITAR-TASS / Maxim Grigoryev)
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG erläutert: "Es gibt gute Nachrichten, die jede Art von Jubel verbieten. In diese Kategorie fällt der Gefangenenaustausch, wie er nun zwischen Russland und dem Westen über Vermittlung des türkischen Geheimdienstes gelaufen ist. Zumal das Wort Gefangenenaustausch eine Beschönigung ist. Was in Wahrheit geschehen ist: Russland hat deutsche und amerikanische Staatsbürger als Geiseln genommen, um einen Mörder und andere Verbrecher freizupressen. Der sogenannte Tiergartenmörder, der 2019 in Berlin einen Georgier in der Berliner Parkanlage offensichtlich im Auftrag des russischen Geheimdienstes erschossen hat, steht im Mittelpunkt des schmutzigen Deals, auf den sich der Westen eingelassen hat", unterstreicht die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Auch der SÜDKURIER aus Konstanz urteilt, dieser diplomatische Erfolg habe einen bitteren Beigeschmack: "So sehr die in Russland und Belarus festgehaltenen Geiseln – und genau das waren sie – ihre Freiheit verdienen, so hoch ist der Preis dafür. Denn dieser Gefangenenaustausch signalisiert Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko: Der Westen lässt sich erpressen. Selbst der politische Mord im Berliner Tiergarten, der vom Kreml in Auftrag gegeben wurde, bleibt jetzt ungesühnt. Für die Zukunft bedeutet das nichts Gutes. Evan Gershkovich, Rico Krieger oder Ilja Jaschin saßen nicht hinter Gittern, weil sie Verbrechen begangen hätten. Sie wurden mit fadenscheinigen Begründungen gefangen gehalten, weil die Herrscher in Moskau und Minsk ein Faustpfand brauchten, um ihre Gefolgsleute im Ausland freizupressen", argumentiert der SÜDKURIER.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hält es für falsch, mit Geiselnehmern zu verhandeln. Denn: "wer sich als erpressbar erweist, wird weiter erpresst werden, vom selben Erpresser oder von anderen. Auch im Falle Putins hat sich das bewahrheitet. Der Austausch des Waffenhändlers But gegen die amerikanische Sportlerin Griner und die Verhandlungen über Nawalnyj hatten dem Kreml gezeigt, dass alles nur eine Frage des Preises ist - in Form von Menschen. Auch nach dem aktuellen Austausch, der in Moskau als großer Erfolg gegen den weichen Westen gefeiert werden wird, hindert niemand Putin daran, sich neue Geiseln zu besorgen oder freigelassene Gefangene später zu beseitigen, wie das bei Skripal mit Nowitschok versucht wurde. Dem Kreml wird es nicht schwerfallen, weitere Agenten zu finden, die bereit sind, im Westen für ihn zu morden", befürchtet die F.A.Z.
Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm beobachtet: "Abschreckung, Spionage, jetzt ein Gefangenenaustausch: Der eisige Hauch des Kalten Krieges, er weht wieder durch Europa. Dabei werden Deals ausgehandelt, deren bitterer Beigeschmack dem Westen übel aufstoßen muss. Russland lässt Menschen frei, die es per Willkür-Justiz als politische Geiseln hielt: Journalisten und Regimegegner. Deutschland hingegen lässt einen Russen laufen, der einen politischen Auftragsmord mitten in Berlin begangen hat. Journalisten auf der einen Seite, Killer auf der anderen: Die Unwucht lässt sich nur begründen, weil man spätestens seit dem Tod von Alexei Nawalny weiß, was den Inhaftierten in russischen Gefängnissen droht", lesen wir in der SÜDWEST PRESSE.
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER dagegen findet: "Der Austausch ist auch eine Chance: Er zeigt, dass Ost und West noch miteinander sprechen. Und dass Verhandlungslösungen möglich sind, wenn beide Seiten davon profitieren. Wenn der Westen mit Russland ins Geschäft kommen will, dann muss er etwas anbieten. Womöglich wäre das auch ein Ansatz für Frieden in der Ukraine. Denn dass das überfallene Land sein gesamtes Staatsgebiet zurückerobert, wird immer unwahrscheinlicher."
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat sich zu einer möglichen Friedenslösung zur Beendigung des russischen Angriffskriegs geäußert. Dazu heißt es im KÖLNER STADT-ANZEIGER: "In einem Interview mit französischen Medien bekräftigte Selenskyj sein Nein zur Abtretung eines Teils des Staatsgebiets an den Aggressor Russland – fügte aber hinzu, dass er als Politiker darüber gar nicht entscheiden könne. Die Veränderung der Grenzen sei Sache des ukrainischen Volkes. Es ist die Wiedergabe der in der ukrainischen Verfassung festgehaltenen Regel. Dass Selenskyj diese Möglichkeit aber nennt, lässt aufhorchen. Vielleicht, ganz vielleicht, ist da also so etwas wie ein Lösungsansatz erkennbar. Es wäre wünschenswert, auch wenn noch viele Wenns und Abers im Wege stehen: Die Ukrainerinnen und Ukrainer müssten in einer unabhängigen Volksabstimmung befragt werden und einem verkleinerten Territorium zustimmen", spekuliert der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Die MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem der DONAUKURIER aus Ingolstadt gehört, bewertet die Ausführungen des ukrainischen Präsidenten wie folgt: "Auch Selenskyj bereitet sich angesichts der schwierigen Lage an der Front sowie zunehmender Kriegsmüdigkeit im Land auf Kompromisse vor. Inwiefern die lange verzögerten Waffenlieferungen das Blatt noch zu wenden vermögen, ist offen. Wichtigstes Ziel für den Westen muss dabei bleiben, dass Kiew bei Friedensgesprächen aus einer Position der Stabilität und Stärke verhandeln kann. Bisher stehen solche Verhandlungen in den Sternen".
Themenwechsel. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG äußert sich zum Haushaltsentwurf für 2025: "Nun haben Experten diesen Kompromiss im Auftrag der Regierung begutachtet und warnen, dass das luftige Konstrukt nicht tragen könnte: Offenbar sind gleich mehrere der Buchungstricks bedenklich – auch verfassungsrechtlich. Offensichtlich regiert die Ampel am Rande des Rechtsbruchs. Nur mit größter Kreativität lässt sich der Abgrund zwischen Linken und Liberalen überhaupt noch überwinden. Schon zu Beginn hat die Ampel Geld aus der Corona-Krise für den ökologischen Umbau umdefiniert und damit den Graben zwischen Sparern und Geldausgebern überwunden. Die Seile dieser sehr wackeligen Hängebrücke schnitt Ende 2023 allerdings das Bundesverfassungsgericht durch. Seitdem wächst sich der Streit ums Geld immer wieder zur existenziellen Gefahr für das Regierungsbündnis aus. Nach der jüngsten Warnung der Experten dürfte der Streit um den Haushalt 2025 aufs Neue beginnen", vermutet die SÜDDEUTSCHE.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU bemerkt zum Kanzler: "Noch vor einer Woche zeigte sich Olaf Scholz zuversichtlich, dass es gelingen werde, das Loch von acht Milliarden Euro im Haushaltsentwurf 2025 mit ein paar Kunstgriffen zu stopfen. Doch nun hat er es schwarz auf weiß: Bei den von Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt vorgeschlagenen Maßnahmen handelt es sich um verfassungsrechtlich bedenkliche Tricks zur Umgehung der Schuldenbremse. Alle Koalitionäre sitzen in einem Boot. Das hat nun wieder ein riesiges Leck, das angesichts der Konjunkturlage im Verlauf des Jahres noch größer werden könnte", schätzt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Der Berliner TAGESSPIEGEL erwartet: "Wenn es so weiter geht, muss das große Ampel-Drama um den Bundeshaushalt für 2025 im Elfmeterschießen entschieden werden. Mit Christian Lindner im Tor und den Größen von SPD und Grünen als Schützen mit dem Ball am Punkt. Vorerst aber geht’s in die Verlängerung. Dabei hatte sich die Koalition bei der Erstellung des Regierungsentwurfs schon ziemlich viel Nachspielzeit eingeräumt. In dem langen Gerangel seit Anfang Mai hatten SPD und Grüne auf mehr Kreditfinanzierung gepocht, während sich die FDP auf Defensive verlegte. Weil die Sommerpause nahte, weil die Kritik lauter wurde, weil die Fraktionen im Bundestag ungeduldig wurden, hat der Kanzler die reguläre Spielzeit abgebrochen – auch wenn noch eine Lücke von 17 Milliarden Euro klaffte."