24. August 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Ein Thema in den Kommentarspalten ist die unionsinterne Debatte um das Renteneintrittsalter. Daneben geht es um den Besuch des indischen Premierministers Modi in der Ukraine. Doch zunächst Stimmen zur Rede der US-Präsidentschaftskandidatin Harris auf dem Parteitag der Demokraten in Chicago.

Kamala Harris steht an einem Rednerpult und blick in die Kamera. Sie spricht und hebt die Hände energetisch.
Die Zeitungen kommentieren u.a. die Rede der US-Präsidentschaftskandidatin Harris beim Parteitag der Demokraten. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / J. Scott Applewhite)
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG bilanziert: "Selbst für eine Wahlkampfrede war Harris' Botschaft geradezu aufreizend vage. Der einzige konkrete Fokus, auf den sie immer wieder zurückkam, war Donald Trump, den man nicht wieder an die Macht lassen dürfe. Aber das Versprechen, den Gegenkandidaten zu verhindern, ist für einen Präsidentschaftskandidaten eine Null-Aussage – es wird ja zwangsläufig nur die eine oder der andere. Als Rednerin ist Kamala Harris weder eine Michelle noch ein Barack Obama. Ihre Stimme klang bisweilen schrill, ihre Pointen wirkten konstruiert und gingen selbst an ihrem Fanpublikum bisweilen hörbar vorbei. Das 'Momentum', das in Chicago so oft beschworen wurde, mag gerade bei ihr liegen. Um die Wahl zu gewinnen, wird sich Kamala Harris noch gewaltig steigern müssen", meint die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG findet, ohne Skript habe sich Harris auf großer Bühne noch nicht bewährt: "Ihr Wirtschaftsprogramm ist diffus. Beim Nahostkonflikt wiederum laviert sie zwischen Verständnis für propalästinensische Demonstranten und Treue zu Israel. Mit dem Krieg in der Ukraine und dem Streit mit China hat sie wenig Erfahrung. Die Einheit der Demokraten muss nicht halten, wenn die Verwüstung Gazas weitergeht. Der linke Parteiflügel ist stark – und die arabischstämmige Wählerschaft im 'Swing State' Michigan bedeutend. Gleichzeitig bilden jüdische Amerikaner ein Milieu, auf das die Demokraten kaum verzichten können. Es wird ein Spagat. Bislang sieht es so aus, als wolle Harris es allen recht machen. Ihr fehlt naturgemäß Bidens Expertise aus 50 Jahren Weltpolitik, der Umgang mit Kriegen, mit Despoten", argumentiert die SÜDDEUTSCHE.
Die BERLINER MORGENPOST empfiehlt: "Harris muss sich durch dosierte Konkretisierung ihrer Vorstellungen in der Wirtschafts-, Umwelt-, Steuer- und Gesellschaftspolitik aus der Deckung wagen, auch wenn sie sich damit angreifbar macht. Und das zügig. Erst in der TV-Debatte gegen Trump in drei Wochen damit herauszurücken, wie sie die Dauerbrenner wie illegale Einwanderung, Teuerung, Kriminalität und Wohnungskrise angehen will, wirkte wie Feigheit vor dem Feind. Trump hätte leichtes Spiel, alles in Stücke zu reißen. Wenn die Jubeltränen von Chicago getrocknet sind, ab Montag also, muss Kamala Harris die zweite Stufe ihrer Mission zünden," hebt die BERLINER MORGENPOST hervor.
Ähnlich äußert sich die VOLKSSTIMME aus Magdeburg: "Als Vizepräsidentin war sie zwar vorhanden, aber nicht für zündende Ideen bekannt. Nun muss Harris aufdrehen – von null auf hundert. Frauenthemen, wie das Recht auf Abtreibung, und der Kampf gegen die Inflation, wie eine Steuerentlastung der Mittelschicht, stehen vorn. Zudem will die Kandidatin das Einwanderungssystem reformieren. Dafür war sie auch unter Biden zuständig, ohne dass sich etwas geändert hätte. Bei den Worten ist Harris schon Spitze – jetzt sind Taten dran."
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG fragt: "Hätten die Demokraten alles anders machen und in Chicago mehr über Inhalte reden sollen? Nein. Das Emotionale hatte Priorität. Denn Geschlossenheit ist im Wahlkampf der Anfang von allem. Der Kandidatenwechsel kurz vor der Wahl war ein riskantes Manöver. Die Delegierten haben sich jetzt hinter Harris gestellt, ohne dass es zu parteiinternen Spaltungen kam. Gute Politik besteht aus Führen und Zusammenführen. Harris kann, wie sich zeigt, beides", konstatiert die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Der Berliner TAGESSPIEGEL beobachtet, die Partei fasse nun wieder Mut, dass sie die Wahl im November gewinnen könne: "Harris hat die Dynamik auf ihrer Seite, doch sie hat noch lange nicht gewonnen. Nach dem Parteitag ist der Weg, wie sie siegen könnte, klarer sichtbar als davor. Neben der Begeisterung geht es nun um harte Arbeit. Barack und Michelle Obama haben die Richtung gewiesen. Es ist eine bemerkenswerte Mischung aus nostalgischer Erinnerung an Obamas Erdrutschsieg 2008 und der Einsicht, dass die Strategie 2024 anders aussehen muss, weil die amerikanische Gesellschaft sich verändert hat", notiert der TAGESSPIEGEL.
Themenwechsel. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG widmet sich der unionsinternen Debatte um das Renteneintrittsalter: "Wer einen Vorgeschmack auf die Post-Ampel-Ära bekommen möchte, muss Friedrich Merz zuhören. Die Rente mit 70 schließt der CDU-Chef für einen kommenden Koalitionsvertrag aus. Auch in anderen sozialpolitischen Themen wie dem Mindestlohn zeigt sich der einstige 'Blackrock'-Manager weichgespült. Merz ist längst da angekommen, wo er die Bundestagswahl gewinnen will: in der alternden, reformmüden Mitte, der bloß nichts zugemutet werden darf. Dort steht er nicht allein. SPD-General Kühnert hat erkannt, dass mit einer Kampagne gegen rechts wie zuletzt im Europawahlkampf nichts zu gewinnen ist. Robert Habeck will die Grünen als Bündnispartei der Mitte positionieren. Spätestens nachdem der Spuk der Ost-Wahlen vorüber ist, wird der Kampf um die wahlentscheidende Klientel Fahrt aufnehmen", erwartet die F.A.Z.
Es lohne sich, genau hinzuhören bei der Merz-Äußerung, betont die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus: "Denn von der auch im neuen Grundsatzprogramm der CDU aufgestellten Forderung der Kopplung von Lebenserwartung und Regelaltersgrenze rückte Merz nicht ab. Wie genau dies umgesetzt werden soll oder konkrete weitere Reformvorhaben zur langfristigen Finanzierung der Rentenkasse finden sich allerdings nicht wirklich in dem Programm. Gerade die erwerbstätigen Wahlberechtigten dürften jedoch bis zur Bundestagswahl an einer konkreteren Aufstellung im Bereich Sozial- und Rentenpolitik interessiert sein. Die Union wird sich konkreter positionieren müssen – auch mit Blick auf künftige Koalitionsgespräche", ist sich die LAUSITZER RUNDSCHAU sicher.
Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf analysiert: "Parteien fürchten Anhänger zu verlieren, wenn sie die Renten-Wahrheit offen ansprechen. Aus diesem Grund ist CDU-Chef Friedrich Merz kurz vor den Wahlen in Ostdeutschland zurückgerudert. Merz' Kontrahenten wissen um den neuralgischen Punkt Rente. Die SPD verschließt aber lieber die Augen vor der Realität und setzt auf den Erhalt aller Rentner-Privilegien. Auch bei den Grünen ist kein Reformwille erkennbar. AfD, BSW und die Linke üben sich ebenfalls im Renten-Populismus. Einzig die FDP gibt sich etwas mutiger, spricht das Notwendige aber auch nicht glasklar an", resümiert die RHEINISCHE POST.
Nun noch Stimmen zum Besuch des indischen Premierministers in der Ukraine. Der SÜDKURIER aus Konstanz spricht von einem doppelten Spiel: "Während Narendra Modi nicht müde wird, seinen angeblichen Einsatz für den Frieden zu betonen, kauft sein Land so viel russisches Öl wie nie zuvor. Er vollbringt das zweifelhafte Kunststück, Selenskyj zu umarmen und gleichzeitig Putins Invasion mitzufinanzieren. Und mehr noch: Modi hat es bislang nicht einmal über die Lippen gebracht, Russlands Angriff auf die Ukraine zu verurteilen. Dieses Schauspiel auf der politischen Bühne mag ihm Ansehen verschaffen, aber für den Regierungschef der größten Demokratie der Welt ist das unwürdig", moniert der SÜDKURIER.
Der indische Premier Modi sähe sich gerne in der Rolle als Friedensstifter, glaubt die KÖLNISCHE RUNDSCHAU: "Aber was immer er eines Tages als möglicher Vermittler zwischen Russland und der angegriffenen Ukraine leisten könnte – noch ist die Zeit nicht reif dafür. Modi zeigt auch in aller Deutlichkeit, dass er, Regierungschef im nach Einwohnern größten Land der Welt, sich nicht vor den russischen Karren spannen lässt. Was hat Putin denn noch zu bieten? Er ist politisch viel schwächer, als seine Claqueure uns glauben machen. Das ist eine gute Nachricht für alle, die an Frieden für die Ukraine interessiert sind", urteilt die KÖLNISCHE RUNDSCHAU zum Ende der Presseschau.