03. September 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen geht es nun um mögliche Koalitionen und auch um Folgen für die Bundespolitik.

Deutschland, 1. September 2024, erste Hochrechnungen der Landtagswahlen, hier in Thüringen
Welche Parteien werden in Thüringen und Sachsen regieren? (picture alliance / Wolfgang Maria Weber / R7172)
Die OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera schreibt: "Wer jetzt ernsthaft darüber nachdenkt, nicht alle Optionen auf den Tisch zu legen, der hat nicht verstanden, was die Wählerinnen und Wähler sagen wollen. Mit dem Wahlergebnis zeigen sie deutlich, dass ihnen Frieden und eine geordnete Asylpolitik deutlich wichtiger sind als 500 Euro Weihnachtsgeld für arme Rentner oder ein kostenfreies Schulessen. Das muss niemandem gefallen. Aber jene, die jetzt auf dem politischen Tanzparkett stehen, haben das zu akzeptieren. Und auf diesem Parkett steht, das mag schmecken oder nicht, auch die AfD. Und gegen die Partei kann nur mit einem wie auch immer gearteten Bündnis des im Landtag verbliebenen Restes regiert werden. Wenn ein solches Konstrukt zustande kommt. Dann aber fallen mehr als 30 Prozent der Wähler hinten runter, wenn nicht vorher zumindest miteinander gesprochen wurde. Nur so lässt sich noch einmal transparent deutlich machen, dass die Schnittmengen der Parteien doch nicht so groß sind, wie gemeinhin vermutet." So weit die OSTTHÜRINGER ZEITUNG.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg sieht die CDU in beiden Bundesländern in der Zwickmühle: "Mit der Brandmauer Richtung AfD und andererseits gegen die Linke hat die CDU im Wahlkampf klar Position bezogen. Dumm nur, dass genau diese Festlegung jetzt zur Koalitionsfalle gerät. Schon immer gab es Christdemokraten, die ein Zusammengehen mit der AfD zur eigenen Machterhaltung nicht kategorisch ausschließen wollten – gegen die erklärte Parteilinie. Jetzt werden auch Stimmen laut, die Abgrenzung nach links pragmatisch aufzuweichen. Ersteres gliche einem politischen Dammbruch mit unabsehbaren Folgen. Variante zwei müsste noch mal penibel unter die Lupe genommen werden. Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass die Mehrheit der Alt- und Beton-Kommunisten aus den Reihen der Linken sich längst Richtung Wagenknecht-Partei verabschiedet hat. Genau da lauert schon die nächste Koalitionsfalle für die CDU", notiert die VOLKSSTIMME.
Die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg findet: "Eindeutig zweideutig wirken die Signale der Union nach Links. Das Bündnis der früheren Vorzeige-Kommunistin Sahra Wagenknecht schlagen Michael Kretschmer in Sachsen sowie Mario Voigt in Thüringen gedanklich fast schon dem eigenen künftigen Koalitionslager zu – als seien die Forderungen des BSW etwa nach einem Stopp der Waffenhilfe für die Ukraine harmlos und irrelevant. CDU und CSU stehen extrem schwierige Debatten ins Haus."
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG gibt mit Blick auf das BSW zu bedenken: "Zum einen ist das BSW inhaltlich recht widersprüchlich aufgestellt, was es bei Koalitionsverhandlungen äußerst schwierig macht – gerade für die potenziellen Partner. Zum anderen könnte ein zweiter Punkt noch schwerer wiegen bei einer möglichen Regierungsbeteiligung: Das BSW muss es hinbekommen, in kürzester Zeit eine handlungsfähige Regierungs- sowie eine Landtagsmannschaft aufzustellen. Dabei geht es nicht allein um Minister und Abgeordnete. Sprich, was der Partei noch fehlt, ist der personelle Unterbau", betont die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG plädiert klar für eine Koalition mit dem BSW, trotz Risiken: "Bringt man diese Partei nun in die Verantwortung, gibt es ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder das BSW bekommt es hin und erweist sich als vielleicht unkonventioneller, aber unterm Strich konstruktiver, verlässlicher Regierungspartner. In diesem Fall hätte das dann gut regierte Bundesland etwas gewonnen. Oder, zweite Möglichkeit, der Versuch endet im Desaster. Dann wüsste Deutschland, vielleicht noch vor der Bundestagswahl, Bescheid, dass mit dieser Partei kein Staat zu machen ist. Auch diese Erkenntnis könnte einiges wert sein", meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die Berliner TAZ warnt vor langen Koalitionsverhandlungen: Es "zeichnet sich in Dresden und Erfurt ein Trauerspiel ab, ein wochen- oder monatelanges Gezerre, an dessen Ende eine politische Totalblockade stehen kann. Man braucht wenig Fantasie, um zu ahnen, wem das nutzen würde. Der AfD."
Aus Sicht der NORDWEST-ZEITUNG haben die Wähler in Sachsen und Thüringen die Ampel-Regierung im Bund "brutal abgestraft". "Die Realitätsverweigerung machte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert stellvertretend für die Koalition deutlich: 'Es kann jetzt nicht die Antwort sein, alles um 180 Grad umzudrehen', meint der. Es sei besser zu sagen, 'wir haben einen Standpunkt und den können wir auch erklären.' Die Idee, dass man seine Politik einfach nur 'erklären' müsse, damit sie auch der letzte unterbelichtete Ossi versteht, ist dabei so bevormundend wie wählerverachtend, und so verbreitet wie ein untrügliches Kennzeichen der Berliner Blase", bemerkt die NORDWEST-ZEITUNG aus Oldenburg.
"Es ist nicht viel, was der SPD an Lehren aus den historisch schlechten Wahlergebnissen ihrer Landesverbände in Sachsen und Thüringen einfällt", kritisiert auch die FRANKFURTER RUNDSCHAU, und fordert: "Es ist an der Zeit, dass sich die Partei von Olaf Scholz fragen sollte, ob sie die richtigen Schwerpunkte setzt. Und auch, ob sie das richtige Führungspersonal hat. Ein Jahr ist in der Politik eine Ewigkeit. Veränderungen bis zur Bundestagswahl wären möglich. Die SPD wird nun noch bis zur Landtagswahl in Brandenburg am 22. September stillhalten. Gewinnt Ministerpräsident Dietmar Woidke die Wahl gegen die AfD, wird die SPD neuen Mut schöpfen. Verliert sie dort, wo sie seit 1990 die Macht hat, dürfte die Lehre nicht eine bessere Führung sein, sondern eine andere Führung", erwartet die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
"In dieser Lage, in der die Vertrauenskrise in die Ampel zur Demokratiekrise zu werden droht, sind die Volksparteien in der Pflicht", unterstreicht der TAGESSPIEGEL aus Berlin. "SPD und CDU/CSU sollten sich jetzt auf die Bildung einer großen Koalition verständigen. Dafür müssen alle drei Partner über ihre parteitaktischen Schatten springen. SPD und Union könnten im Bundestag rasch dringliche Entscheidungen in der Migrations-, Wirtschafts- und Innenpolitik, bei der Ausstattung der Bundeswehr, bei der Infrastruktur herbeiführen. Es geht um nichts weniger als die Selbstbehauptung der Demokratie", mahnt der TAGESSPIEGEL.
Zum nächsten Thema. Der Autobauer Volkswagen schließt im Rahmen seines Sparprogramms betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen nicht mehr aus. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG erläutert: "Die bis 2029 laufende Beschäftigungssicherung soll kippen, was ein Schritt hin zu Entlassungen im großen Stil wäre. Auch tarifliche Einschnitte sind nicht mehr tabu. Hier verlief bislang eine rote Linie, die im stark mitbestimmten Unternehmen niemand übertreten wollte. Die Arbeitnehmervertreter sprechen von einem 'Spardiktat' und rufen zum Kampf auf, aber Fakt ist: Solche Entscheidungen sind überfällig. Noch immer will sich niemand festlegen, aber die Rechnungen früherer Jahre zeigen, in welche Richtung es gehen muss: Die Stammmarke hat mehr als 20.000 Mitarbeiter zu viel an Bord. Ein Viertel bis ein Drittel zu viel Kapazität steckt im Fabriknetz. So ist VW nicht überlebensfähig", bilanziert die F.A.Z.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG erinnert: "Die bisherige Überlebensstrategie der Autobauer: Sparprogramme und die Verlagerung der Produktion in kostengünstige Länder. Damit fließt das investierte Geld ins Ausland. Wenn die Politik es nicht endlich schafft, das Geschäft für die Unternehmen zu erleichtern, wird sich der aktuelle Trend verschärfen. Das kann niemand wollen, schließlich sorgt der Zweig bisher noch für 22 Prozent der Industrie-Arbeitsplätze in Niedersachsen. Und: Ergreift diese 'systemrelevante' Branche weiterhin die Flucht und baut ab, schadet das am Ende nicht nur Niedersachsen, sondern Deutschlands gesamtem Wirtschaftswachstum."